Kolumne Finde den Fehler

Berlin sucht seine Mitte: „Wir brauchen endlich ein echtes Zentrum!“

Unser Kolumnist fragt sich: Wo ist eigentlich die Mitte Berlins? Ist es der Alexanderplatz? Der Breitscheidplatz? Oder vielleicht nicht doch eher Curry 36?

Curry 36, Mehringdamm, Kreuzberg, Berlin, Deutschland.
Curry 36, Mehringdamm, Kreuzberg, Berlin, Deutschland.imago

Dies ist die neue Folge der humoristischen Kolumne „Finde den Fehler“ von Anselm Neft.

Berlin ist eine faszinierende Metropole von internationalem Format. Doch fehlt der Stadt seit jeher ein Zentrum. New York City hat seinen Times Square, Paris sein 1. Arrondissement, London immerhin einen Centre Point und Traben-Trarbach in Rheinland-Pfalz einen McDonalds in der Fußgängerzone. Berlin wirkt dagegen unfokussiert und zerfasert. Nun will eine Bürgerinitiative Klarheit schaffen.

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Maren Kaschner
Zum Autor
Anselm Neft, geboren 1973 bei Bonn, studierte abseitige Fächer, schrieb seine Magisterarbeit über zeitgenössischen Satanismus, verschliss Jobs vom Tellerwäscher bis zum Unternehmensberater und lebt heute als freier Autor und Schriftsteller in Hamburg. Dort betreibt er den Literaturpodcast „laxbrunch“ und schreibt Artikel und Bücher. Sein neuester Roman heißt „Späte Kinder“ und ist im Rowohlt-Verlag erschienen. Für die Berliner Zeitung schreibt er die humoristische Kolumne „Finde den Fehler“.

Dieter Kantholz (56) und Jenny Wiese (52) wurmt es schon lange, dass sie Besuchern kein eindeutiges Stadtzentrum präsentieren können. Im Oktober vergangenen Jahres gründeten sie deshalb im Jessner Eck (Friedrichshain) mit einer Handvoll Gleichgesinnter die Bürgerbewegung „Berlin sucht seine Mitte“.

Hitzig hatte man diskutiert: Ist der Breitscheidplatz das Zentrum der Wessis und der Alexanderplatz das Zentrum der Ossis? Sollte man den hässlichen Potsdamer Platz in die Luft sprengen und Gedächtniskirche, Stadtschloss und Telespargel dort zusammen neu aufbauen? War die Museumsinsel nicht mal Zentrum Berlins? Und was sprach gegen das Jessner Eck als gefühlte Mitte?

Individualismus der Berliner als Problem

„Jeder Berliner denkt ja: Da wo ich bin, ist die Mitte“, sagt Kantholz. „Nur nicht in Mitte. Da wohnen ja kaum Berliner.“

Auch Wiese ist sich bewusst, dass die Suche nach einem Zentrum nicht leicht ist. „Die Einwohner Berlins sind Individualisten“, führt sie das Problem näher aus. „Für jeden ist der Mittelpunkt woanders. Für den kleinen Dealer ist es die Hasenheide, für den gegelten Journalisten das Borchardt und für Cem Özedemir der Truppenübungsplatz Lehnin.“

„Wir wollen deshalb auch gar kein Zentrum vorgeben“, sagt Kantholz. Der Initiative gehe es vielmehr darum, erst einmal überhaupt ein Problembewusstsein zu schaffen. Dann wolle man Vorschläge aus der Bevölkerung sammeln, und dann müsse schließlich ein Volksentscheid klären, wo genau sich die Mitte Berlins befindet.

Junge Stadt mit bewegter Geschichte

Bis 1920 war Berlin ein großes Nest, das von kleineren Nestern umgeben war. Dann aber erließ die damalige Regierung das „Groß-Berlin-Gesetz“ und gemeindete Käffer wie Zehlendorf, Neukölln und Charlottenburg kurzerhand ein. Die Nazis hatten dann gewaltige Pläne und hätten am liebsten eine Stadt Germania mit titanischem Dom als Zentrum gebaut.

Andere Länder hatten aber keine Lust, sich von den Übermenschen unterwerfen oder umbringen zu lassen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Stadt dann auch noch in Besatzungszonen aufgeteilt, und schließlich hatte 1961 niemand die Absicht, eine Mauer zu erbauen. Wohl aber einen antifaschistischen Schutzwall, der dafür sorgte, dass die Menschen östlich des Walls nicht nur vor Faschismus, sondern auch vor freien Wahlen, Bananen und ausuferndem Wohlstand geschützt wurden. Kein Wunder, dass sich Berlin mit der Benennung eines einzigen Zentrums schwer tut.

Viele Vorschläge gehen ein

Im vergangenen halben Jahr ist die Initiative um etliche Mitglieder gewachsen, hat 1000 von Plakaten geklebt, noch mehr Flugblätter verteilt, eine Internetpräsenz geschaffen und Dutzende von Versammlungen in Kneipen und Cafés organisiert. Auf diese Weise konnten bereits über 100 Vorschläge für das wahre Berliner Stadtzentrum gesammelt werden. Das aktuelle Ranking der am häufigsten genannten Vorschläge (Stand 11. April 2023) liest sich so:

Fünfter Platz: Brandenburger Tor
Vierter Platz: Curry 36
Dritter Platz: Linie U8
Zweiter Platz: Truppenübungsplatz Lehnin
Erster Platz: „Deine Mutter“

Ob noch in diesem Jahr ein Volksentscheid erwirkt werden kann, ist unklar. Sicher ist aber: Die Suche nach Berlins wahrer Mitte bleibt spannend!

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