Ukraine-Krieg

Importe von Düngemitteln: So liefert Russland wieder billiges Gas nach Deutschland

Die neueste Statistik überrascht: Mitten im Ukraine-Krieg exportiert Russland um 334 Prozent mehr günstigere Düngemittel nach Deutschland. Wie Gas, nur anders?

Exporte von Stickstoff-Düngern aus Russland haben sich nach Deutschland vervierfacht.
Exporte von Stickstoff-Düngern aus Russland haben sich nach Deutschland vervierfacht.Countrypixel/imago

Deutschland ist seine Gas-Abhängigkeit von Russland losgeworden, doch diese kehrt durch die Hintertür zurück. Die Eigenproduktion von Chemikalien ist im letzten Jahr zu teuer geworden und wird auch heute nicht wesentlich günstiger: Ein guter Anlass für Russland, um noch mehr Produkte nach Deutschland und in die EU zu exportieren. Denn Nahrungs- und Düngemittel sind nicht von den EU-Sanktionen betroffen.

So sind die deutschen Importe von landwirtschaftlich unverzichtbaren Stickstoff-Düngern aus Russland in der gerade zu Ende gegangenen Saison nochmals um 334 Prozent auf rund 167.000 Tonnen angestiegen. Das teilt der Industrieverband Agrar der Berliner Zeitung unter Berufung auf die neuesten Daten des Statistischen Bundesamtes (Destatis) mit.

Zwischen Juli 2022 und Juni 2023 waren es nur noch rund 38.500 Tonnen. Russlands Anteil an den Gesamtimporten ist somit in nur einem Jahr von 5,6 auf fast 18 Prozent gestiegen. Vor allem die Importe von Harnstoff, der mit 46 Prozent den höchsten Stickstoffgehalt aufweist, sind im ersten Halbjahr 2023 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum laut Destatis um 304 Prozent gestiegen. Gezahlt haben die deutschen Importeure dabei nur rund 360 Euro pro Tonne statt 536 Euro in der Vorsaison.

Stickstoff-Dünger aus Russland: Exporte in die EU verfünffacht

Die neue Deutschland-Statistik überschneidet sich auch mit der europäischen Tendenz: Russland hat in der Saison 2022/23 seine Exporte von Stickstoff-Düngern in die EU verfünffacht auf einen Anteil von 19 Prozent, wie der Agrar-Verband bereits im Mai berichtete. „Für Deutschland war es im vergangenen Jahr eine große Kraftanstrengung, sich von russischen Gaslieferungen unabhängig zu machen“, kommentiert der Geschäftsführer und Kommunikationsleiter beim Verband, Martin May, gegenüber der Berliner Zeitung. Jetzt dürfe man den strategischen Fehler nicht wiederholen, sich bei anderen unverzichtbaren Rohstoffen in eine riskante Importabhängigkeit zu begeben.

„Gas und Energie machen an den Herstellungskosten von Mineraldüngern 80 bis 90 Prozent aus. Das heißt auch: Letztlich sind die importierten Düngemittel nichts anderes als billiges russisches Erdgas auf der nächsten Wertschöpfungsstufe“, kritisiert May. Die EU müsse sich nun dringend überlegen, fordert der Verbandschef, wie sie verhindere, dass „im gleichen Zuge die eigene Düngeproduktion in die Knie gezwungen und Putins Kriegskasse gefüllt wird“.

Stickstoff-Dünger: Deutsche Industrie produziert nur noch fünf Prozent des Gesamtverbrauchs

Doch nicht nur Russland profitiert von mehr Exporten nach Deutschland. Deutschland importiert seit Herbst 2021 und insbesondere seit dem Ukraine-Krieg zunehmend mehr Düngemitteln, statt sie zu produzieren. Der Hauptgrund dafür seien die erheblich gestiegenen Preise für Energie und insbesondere Erdgas, die einen erheblichen Teil der Produktionskosten ausmachen würde, erklärt Martin May. Ein Blick auf die Statistik bestätigt die traurige Entwicklung in der deutschen Chemieindustrie: Zwischen dem Juli 2021 und dem Juni 2022 haben deutsche Unternehmen zum Beispiel noch 37 Prozent des Gesamtverbrauchs an Stickstoff-Düngern produziert. In der letzten Saison waren es schon kaum fünf Prozent!

Das heißt: 95 Prozent aller Stickstoff-Dünger werden nach Deutschland gerade importiert, vor allem aus Belgien und den Niederlanden. Im Hintergrund laufen die Schlagzeilen aus dem letzten Jahr: 60 Prozent der Ammoniakproduktion in der EU, der Schweiz, Norwegen und Großbritannien wurden stillgelegt, darunter durch die BASF in Ludwigshafen. Zur Kenntnis: Ammoniak ist ein wichtiger Grundstoff für Stickstoff-Dünger. 

Der Industrieverband Agrar appelliert deswegen an die Bundesregierung: „In Deutschland braucht die produzierende Industrie kurzfristig wieder Energiepreise, die sie international wettbewerbsfähig hält, und mittelfristig mehr erneuerbare Energie für eine klimafreundliche Düngemittelproduktion.“ Der Dachverband der chemischen Industrie (VCI) fordert in diesem Sinne schon längst einen Industriestrompreis, den inzwischen auch die SPD unterstützt – aber nicht Bundeskanzler Olaf Scholz. Abgesehen von den Düngemitteln gebe es derzeit keine Russlandauffälligkeiten, beschwichtigt ein VCI-Sprecher auf Anfrage. Die Produktion von Ammoniak und Düngemitteln bleibe aber ein spezifisches Problem, weil sie auf Gas angewiesen sei, nicht auf den Strom. 

Neuer Monopol-Händler: Russland will mehr Einfluss auf dem Weltmarkt für Düngemittel

Mittlerweile überlegen sich russische Player auf dem globalen Düngemittel-Markt und sie unterstützende Behörden, wie man mit einem einheitlichen Monopol-Händler den Export von Düngemitteln sowie den Preiseinfluss auf den Weltmärkten erhöhen könnte. Darüber schreibt der Wirtschaftsnachrichtendienst Bloomberg unter Verweis auf drei Personen, die mit den Gesprächen in Russland vertraut sind.

Ein solcher Vorschlag wurde laut dem Bloomberg-Bericht im Juli vom Gründer der Uralchem Group, Dmitri Masepin, vorgelegt und dann von Premierminister Michail Mischustin und dem Minister für Industrie und Handel Denis Manturow diskutiert. Ob diese Idee tatsächlich umgesetzt wird, bleibt vorerst unklar. Russland ist bereits einer der führenden Lieferanten von mineralischen Düngemitteln, vor allem von Ammoniumnitrat, Kali- und Phosphatdüngern. 

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