Was tun mit russischen Oligarchen, die sich von Putin und seinem Angriffskrieg lossagen? Wenn es nach dem IT-Unternehmer Arkadi Wolosch geht, dann müsste die EU sofort ihre Sanktionen gegen all diejenigen aufheben, die Russlands Angriff auf die Ukraine öffentlich verurteilen – also auch die Sanktionen, die gegen Wolosch selbst verhängt wurden.
Anwälte des in Israel wohnhaften Oligarchen haben die EU förmlich um die Aufhebung der gegen ihn gerichteten Sanktionen gebeten, nachdem er im August die russische Invasion der Ukraine als „barbarisch“ verurteilt hatte. In einer öffentlichen Erklärung sagte Wolosch, er sei „entsetzt“ darüber, dass die Häuser vieler Ukrainer jeden Tag bombardiert würden. Im kommenden Monat sollen EU-Beamte über den Antrag entscheiden. Das berichtete die „Financial Times“.
Eine Entscheidung mit weitreichenden Folgen
Wolosch ist nicht irgendwer: Als Mitbegründer des russischen IT-Konzerns Yandex ist der 59-Jährige der mächtigste russischstämmige Unternehmer in der Tech-Branche. Hunderte sanktionierte Oligarchen beobachten entsprechend sehr genau, wie sich die EU in Woloschs Fall entscheiden wird.
Die EU begründet die Sanktionierung Woloschs mit dessen zentraler Rolle für Russlands Wirtschaft. So ist Wolosch in Wirtschaftszweigen aktiv, die eine „wesentliche Einnahmequelle“ für den russischen Staat darstellen. Sein Unternehmen Yandex sei darüber hinaus „verantwortlich für die Förderung staatlicher Medien und Narrative“ und „für die Herabstufung und Entfernung von regierungskritischen Inhalten, die sich beispielsweise auf den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine beziehen“. Dass die russische Regierung seit 2019 über eine regierungsnahe Stiftung direkt an Yandex beteiligt ist, wird Wolosch ebenfalls zu Last gelegt.
Die Entscheidung in Brüssel dürfte weitreichende politische Folgen haben – egal, in welche Richtung sie ausfällt. Im Raum stehen gewichtige Fragen: Werden einflussreiche Russen in Zukunft belohnt, wenn sie sich von Putin lossagen? Oder müssen sie weiter unter Sanktionen leben, trotz ihrer Verurteilung des Krieges?
Ziel der Sanktionen ist eigentlich, Oligarchen zu einer Änderung ihrer politischen Haltung zu Putin und zu seinem Krieg zu bewegen. Kritiker der bisherigen EU-Sanktionspolitik werfen Brüssel entsprechend vor, nicht genug Anreize für Oligarchen zu schaffen, sich von Putin loszusagen. Und einige Oligarchen aus Putins engstem Machtzirkel, wie etwa den Nickel-Magnaten Wladimir Potanin, gar nicht erst zu sanktionieren.
Doch warum verurteilt Wolosch den russischen Angriff auf die Ukraine erst jetzt? „Es gab Gründe, während dieses langen Prozesses zu schweigen. Während es auf jeden Fall Fragen über den Zeitpunkt meiner heutigen Erklärung geben wird, sollte es keine Fragen über ihren Kern geben. Ich bin gegen den Krieg“, heißt es dazu in Woloschs Statement.
Wolosch wollte seine Mitarbeiter aus Russland holen
Wolosch trat als Vorstandsvorsitzender von Yandex zurück, nachdem ihn die EU im vergangenen Jahr mit Sanktionen belegt hatte. 1997 eroberte Wolosch den russischen Markt mit der Suchmaschine Yandex – ein Jahr, bevor Google an den Markt ging. 2000 folgte die Gründung des Yandex-Konzerns, der sich zum milliardenschweren Tech-Giganten entwickeln sollte.
Wie ein Vertrauter Woloschs der „Financial Times“ sagte, hielt sich Wolosch so lange mit einer Verurteilung des russischen Angriffskriegs zurück, weil er negative Konsequenzen für seine Mitarbeiter in Russland befürchtet habe. „Jetzt sind sie endlich alle draußen – das ist der wichtigste Grund, aus dem das jetzt passiert ist.“
Yandex’ Zukunft in Russland bleibt ungewiss
Seit Woloschs Rücktritt vom Posten des Yandex-Vorstandsvorsitzenden ist die Zukunft von Yandex in Russland ungewiss. Seine Mehrheitsbeteiligungen an Yandex’ Russland-Sparte sollen laut „Financial Times“ verkauft werden. Es sei jedoch schwierig, Käufer zu finden. Dem Medienbericht zufolge sucht Wolosch nach Käufern, die sowohl Russland als auch westlichen Behörden wohlgesonnen sind.
Der Grund für den Spagat: Wolosch will sicherstellen, dass Yandex als Unternehmen in Russland fortbestehen kann – trotz der Ausgliederung wichtiger Geschäftszweige ins Ausland und seines politischen Bruchs mit Putin. Verhandlungen mit dem Kreml über die Details sollen derzeit andauern. Eine Verstaatlichung von Yandex’ Russland-Sparte durch den Kreml möchte Wolosch um jeden Preis verhindern.
Im vergangenen Jahr hatte Yandex seine Nachrichtenplattformen bereits an den staatlichen Social-Media-Konzern VK verkauft. Kremlkritiker hatten Yandex zuvor vorgeworfen, nichts gegen die Verbreitung von Kremlpropaganda zu unternehmen.
Die EU verlängert einmal im halben Jahr ihre personenbezogenen Sanktionen. Wenn Wolosch Glück hat, laufen die gegen ihn verhängten Sanktionen am 15. September aus. EU-Sanktionen können von Gerichten aufgehoben werden oder wenn die Mitgliedsstaaten zustimmen, dass es „überzeugende Beweise“ dafür gibt, dass die Person oder Organisation „die Kriterien für die Aufnahme in die Liste nicht mehr erfüllt“, wie ein Sprecher der Europäischen Kommission der „Financial Times“ sagte.




