Besuch des ukrainischen Präsidenten

Selenskyj zu Besuch in Berlin: Der Krieg könnte in diesem Jahr enden

Zum ersten Mal seit Kriegsbeginn besucht der ukrainische Präsident Deutschland. Es geht auch um den Kriegsverlauf – und neue Waffen. So verlief der Besuch.

Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine, und Bundeskanzler Olaf Scholz äußern sich bei einer Pressekonferenz nach ihrem Gespräch im Bundeskanzleramt.
Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine, und Bundeskanzler Olaf Scholz äußern sich bei einer Pressekonferenz nach ihrem Gespräch im Bundeskanzleramt.Christoph Soeder / dpa

Der Besuch hat erst nach längerem Anlauf geklappt und war von allerlei Unstimmigkeiten überlagert, doch von der Berlin-Visite des ukrainischen Präsidenten könnte dennoch Optimismus ausgehen.

„Gerade in diesem Jahr rechnen wir damit, dass dieser Krieg zu Ende geht und wir die Niederlage des Aggressors besiegeln können“, sagte Wolodymyr Selenskyj am Sonntagmittag auf der Pressekonferenz im Kanzleramt.

Das 2,7 Milliarden Euro starke neue Waffenpaket, das die Bundesregierung beschlossen und erst tags zuvor bekannt gegeben hat, könnte dazu einen wichtigen Beitrag leisten. Dieses Paket, das man in der Regierung offenbar komplett hinter verschlossenen Türen oder auch gar nicht diskutiert hatte, war denn auch überraschender als der Besuch selbst. Den hatte ein Informationsleck bei der Berliner Polizei vor wenigen Tagen schon publik gemacht.

Allerdings sind offensichtlich nicht alle vom Verteidigungsministerium aufgelisteten Zusagen neu. Eine von der Bundesregierung im Internet veröffentlichte Liste mit den bereits geplanten Waffenlieferungen vom 26. April enthält zum Beispiel bereits zwei weitere Luftabwehrsysteme Iris-T-SLM.

Während der Pressekonferenz stand das halbe Kabinett hinter und neben den anwesenden Journalisten: Verteidigungsminister Boris Pistorius, Finanzminister Christian Lindner, Annalena Baerbock und die anderen Mitglieder des Sicherheitskabinetts zogen sich gleich danach mit dem Kanzler und dem ukrainischen Präsidenten zu einer Besprechung zurück, bevor Selenskyj und Scholz dann gemeinsam nach Aachen flogen. Dort sollten der ukrainische Präsident und das gesamte ukrainische Volk am Nachmittag mit dem Karlspreis für den Frieden ausgezeichnet werden.

Betont freundschaftlich mit Steinmeier, ernste Miene mit Scholz

In Berlin ging es allerdings erst einmal darum, wie der Krieg fortgesetzt wird. Für seine zahlreichen Termine war Selenskyj bereits am Vorabend eingetroffen. Mitgeteilt hatte er das selbst, via Twitter. In Berlin gab es bis zum Schluss keine offizielle Bestätigung dafür – selbst bei den Journalisten nicht, die sich am Freitag für die Teilnahme am Programm akkreditieren mussten. Offiziell taten sie das für den „Arbeitsbesuch eines hochrangigen Staatsgastes“, der vielleicht, vielleicht aber auch nicht stattfinde. Das war auch eine Reaktion auf die vorangegangenen Indiskretionen.

Bevor Selenskyj am Vormittag vom Bundeskanzler mit militärischen Ehren empfangen wurde, war er bereits von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Schloss Bellevue begrüßt worden – betont freundschaftlich. Bei der Ankunft am Bundeskanzleramt waren die Mienen sowohl bei Selenskyj als auch bei Scholz wesentlich angespannter. Aber es ging ja um mehr als nur ein kurzes Hallo unter Freunden.

Selenskyj: „Wir arbeiten daran, eine Kampfjet-Koalition zu schaffen“

Das machte Selenskyj selbst deutlich. Auf die Frage, wie es mit Lieferung von Kampfflugzeugen an die Ukraine steht, erklärte er vor den Journalisten: „Ich denke, dass es darum im zweiten Teil unseres Gesprächs gehen wird.“ Gemeint war die Sitzung des Sicherheitskabinetts, die nach der Pressekonferenz in einem Saal wenige Schritte entfernt begann. „Wir arbeiten daran, eine Kampfjet-Koalition zu schaffen“, so der ukrainische Präsident weiter. „Ich werde mich auch an Deutschland wenden, mit der Bitte, uns da zu unterstützen.“ Russland habe derzeit ein Übergewicht im Luftraum.

Bundeskanzler Olaf Scholz beantwortete die entsprechende Frage auf seine Weise: Er zählte stattdessen erst einmal ausführlich auf, was die Bundesrepublik bereits geliefert habe, und ließ dabei die vielen Initiativen der Zivilgesellschaft nicht unerwähnt. „Ich möchte mich bei jedem deutschen Bürger bedanken, jedem Steuerzahler, jedem Bundesland“, sagte Selenskyj. „Danke für jede Mutter und jedes Kind, das Sie gerettet haben.“

Die Frage, ob die neuen Waffenlieferungen aus Deutschland ausreichend seien, beantwortete er trocken: „Noch einige Besuche hier und dann ist es ausreichend.“ Er räumte aber auch ein, dass Deutschland nach den USA der zweitgrößte Unterstützer der Ukraine sei. „Das ukrainische Volk wird dafür immer dankbar sein“, so Selenskyj weiter. Er machte klar, dass sich die Ukraine nicht nur als europäisches Land sieht, sondern auch einen Anspruch darauf habe, offiziell in die Union aufgenommen zu werden.

Selenskyj weilte zuletzt wenige Tage vor Kriegsbeginn zur Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2022 in Deutschland. Die ersten zehn Monate nach der russischen Invasion hatte er das Land dann gar nicht mehr verlassen. Das änderte er Ende vergangenen Jahres. Inzwischen besuchte er schon Washington, Warschau, Paris, London, Brüssel, Helsinki und Den Haag. Am Sonnabend besuchte er Rom, um dort Papst Franziskus und die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni zu treffen.