In einem New-York-Times-Artikel, der in der Sonntagsausgabe vom 14. Mai 2023 erschienen ist, wird die Wahrscheinlichkeit diskutiert, ob in diesem Jahr ein Waffenstillstand oder sogar Möglichkeiten eines Friedens zwischen der Ukraine und Russland möglich sein könnten.
Wir haben die wichtigsten Fragen und Antworten zusammengefasst.
Welchen Einfluss hat der Ausgang der Gegenoffensive der Ukraine auf mögliche Friedensgespräche?
Laut europäischer und amerikanischer Experten ist der Erfolg der ukrainischen Gegenoffensive, die bald beginnen soll, ein entscheidender Faktor, der darüber entscheiden könnte, ob die Ukraine bereit sein wird, mit Russland in Waffenstillstands- oder Friedensgespräche zu treten. Führende Experten gehen davon aus, dass die Gegenoffensive Monate dauern könnte. Die Ukraine will Land zurückgewinnen und Russland zurückdrängen.
Die Erfolgsaussichten sind ungewiss. Die New York Times schreibt: „Unter Militärstrategen gehen die Meinungen darüber weit auseinander, ob die Ukraine nach mehr als einem Jahr Krieg ihr Territorium zurückgewinnen kann.“ Trotz der zugesicherten Waffenlieferungen der letzten Monate.
Will Wolodymyr Selenskyj aktuell Friedensgespräche?
Nein. Die ukrainische Haltung ist unmissverständlich: Die Führung hat erklärt, dass sie erst dann zu Gesprächen bereit ist, wenn sie die russischen Streitkräfte zurückgedrängt hat. Damit ist ein Zurückdrängen der Russen von ukrainischem Staatsgebiet gemeint, das vor dem Jahr 2014 Gültigkeit hatte.
Will Wladimir Putin Friedensgespräche?
Nein. Führende Experten sind sich einig, dass Putin keine Anzeichen macht, seine Truppen zurückzuziehen oder aktuell über Waffenstillstand oder Frieden zu diskutieren. Nichtsdestotrotz gehen amerikanische Experten davon aus, dass ein Waffenstillstand Russland helfen könnte, Zeit zu kaufen und den Zugewinn an Territorium auf ukrainischem Boden zu festigen, etwa in der Luhansk-Region oder auf der Krim.
Will Joe Biden Friedensgespräche?
Die New York Times erwähnt immer wieder, dass sich amerikanische Top-Diplomaten bereits Gedanken machen, wie ein Friedensplan aussehen könnte. „Ich weiß, dass hochrangige Regierungsbeamte regelmäßig Gespräche darüber führen, wie der Frieden mit unseren ukrainischen Partnern letztendlich aussehen wird“, sagte der Abgeordnete Adam Smith aus Washington in der New York Times, der führende Demokrat im Ausschuss für Streitkräfte. „Wir führen gleichzeitig Gespräche darüber, wie wir die Ukraine bewaffnen und so viel Territorium wie möglich zurückgewinnen können.“ Bidens Berater sagen, dass ihre größte Hoffnung darin besteht, dass die Ukraine während der Gegenoffensive substanzielle territoriale Gewinne erzielt, was ihr in den Verhandlungen mehr Einfluss bei Gesprächen verschaffen würde.
Könnten die Chinesen als Vermittler agieren und Frieden bringen?
Über die Ernsthaftigkeit der Absichten Chinas als Vermittler gehen die Meinungen auseinander. Die Ukraine hat in den vergangenen Wochen ihre Beziehung zu China verbessert. Ein Sondergesandter soll nach Kiew und Moskau reisen, um Friedensbemühungen voranzutreiben. Der chinesische Außenminister Qin Gang hat kürzlich Westeuropa besucht, auch Deutschland, und Chinas Vermittlerrolle bekräftigt. Westliche Diplomaten sind skeptisch gegenüber der chinesischen Vermittlerrolle, da China und Russland als strategische Partner gelten und China den Partner Russland nicht als Aggressor im Ukraine-Krieg bezeichnet hat. Eine weitere Eskalation des Konflikts muss aber nicht im Interesse Chinas sein. Die New York Times legt etwa Wert darauf, die Tatsache zu berücksichtigen, dass der russische Angriffskrieg in der Ukraine Lieferketten gefährdet und Chinas ökonomische Entwicklung gehemmt habe. Dies spreche dafür, dass China keine weitere Eskalation des Krieges will. Eine Beendigung des Krieges müsse aber auch nicht im Interesse Chinas sein, so viele Experten. Die USA sind durch den Ukraine-Krieg in Europa gebunden, während China über eine Eskalation des Taiwan-Konflikts nachdenkt. Die USA sind durch den Ukraine-Krieg geschwächt.
Hat die Ukraine genug Waffen, um militärisch erfolgreich zu sein?
Auch hier gehen die Meinungen auseinander. Antony Blinken sagte am Dienstag auf einer Pressekonferenz mit dem britischen Außenminister James Cleverly, die Ukrainer hätten „alles, was sie brauchen, um bei der Rückeroberung von Gebieten, die Russland in den letzten 14 Monaten gewaltsam an sich gerissen hat, weiterhin erfolgreich zu sein“. Niemand weiß aber, welche Reserven Russland hat und welche Mittel das Land einsetzen wird, um die ukrainische Gegenoffensive aufzuhalten.
Besteht ein Dilemma mit Blick auf den Ausgang des Krieges?
Ja. Experten befürchten, dass Wladimir Putin einen Zermürbungskrieg erreichen will, der Jahre andauern könnte. In der New York Times wird dies bekräftigt: Geheimdienstkoordinatorin Avril D. Haines sagte letzte Woche vor dem Kongress, dass Putin zwar „seine kurzfristigen Ambitionen“ in der Ukraine zurückgeschraubt habe, die Chancen auf russische Zugeständnisse am Verhandlungstisch in diesem Jahr aber „gering“ seien, so die New York Times. Weiter heißt es in der Sonntagsausgabe der amerikanischen Zeitung: „Ein anderer hochrangiger US-Beamter erklärte, dass der russische Staatschef unabhängig vom Erfolg der Ukraine einfach eine umfassendere Mobilisierung anordnen könnte, um einen Teil seiner militärischen Macht wiederherzustellen.“
Zudem sind die Interessen der Konfliktpartner sehr verschieden. Wenn die Amerikaner sagen, die Russen sollen ukrainisches Territorium verlassen, um Friedensgespräche zu ermöglichen, ist unklar, ob damit die De-facto-Grenzen von Januar 2022 oder Dezember 2013 gemeint sind. Muss Russland die Krim abtreten, um Frieden zu ermöglichen? Oder würden die Amerikaner einen Friedensvertrag akzeptieren, der die Krim den Russen zuschreibt, und sei es als neutrale, entmilitarisierte Zone? Was würden die Russen akzeptieren? Und was die Ukrainer? Wolodymyr Selenskyj pocht auf internationales Recht und sagt, die Grenzen von 2013 müssten wieder Gültigkeit haben, Russland müsste die Krim verlassen, um einem Friedensvertrag eine Chance zu geben.

Welche Rolle spielt Donald Trump?
Experten gehen davon aus, dass Wladimir Putin auf eine Rückkehr Trumps hofft und auf einen Sieg der Republikaner bei den US-Präsidentschaftswahlen im Jahr 2024. Die Republikaner unterstützen die Ukraine aktuell viel zaghafter als die Demokraten. Donald Trump macht immer wieder deutlich, dass die USA sich aus dem Konflikt heraushalten sollten. Die New York Times schreibt: „Putin könnte auch davon profitieren, dass sich der Präsidentschaftswahlkampf 2024 in den Vereinigten Staaten anbahnt, bei dem der ehemalige Präsident Donald J. Trump der frühe Spitzenkandidat der Republikaner sein könnte. Trump und mehrere republikanische Politiker haben die Unterstützung der USA für die Ukraine als verschwenderisch und gefährlich bezeichnet.“
Wird die Ukraine nach einer erfolgreichen Offensive verhandeln oder weiterkämpfen?
Das ist unklar. Die New York Times schreibt: „Die Debatte in Washington über mögliche Friedensgespräche ist widersprüchlich. Es gibt sogar konkurrierende Argumente, die auf ein und demselben hypothetischen Ergebnis basieren: Wenn die Ukraine wesentliche Fortschritte macht, könnte das bedeuten, dass es Zeit für Gespräche ist, sagen einige Staatsbeamte – oder es könnte bedeuten, dass die Ukraine die Diplomatie auf Eis legen und weiter kämpfen sollte.“
Was passiert, wenn die Gegenoffensive der Ukraine scheitert?
Dies könnte zu einer Schwächung der Unterstützung der Ukraine führen, schreibt die New York Times. „Sollte die Ukraine nicht in der Lage sein, nennenswerte Gebiete zu erobern, könnten einige amerikanische und europäische Beamte Wolodymyr Selenskyj zu einer Verhandlungslösung drängen wollen.“ Die Politikexpertin Alina Polyakova sagt, dass solche Überlegungen „schockierend“ für sie seien. Ein Pochen auf Friedensgespräche durch den Westen (egal ob nun die Ukraine etwas Land zurückgewinnt oder gar nicht) würde der Welt zeigen, dass man russische Kriegsverbrechen toleriert und dass Russland als Aggressor sogar dafür belohnt wird. Es würde einen Präzedenzfall schaffen auch mit Blick auf chinesische Aggressionsbestrebungen mit Blick auf Taiwan. General Mark A. Milley, Vorsitzender des Vereinigten Generalstabs der Streitkräfte der Vereinigten Staaten, ist ein Unterstützer der These, Russland und Ukraine bald zu Friedensgesprächen zu drängen. Antony J. Blinken widerspricht diesen Bemühungen.









