Auch Tage danach ist der Unglaube darüber nicht vergangen, dass ein Besuch des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in Berlin – angeblich geplant für den kommenden Sonnabend – frühzeitig bekannt und von der Polizei auch noch bestätigt wurde. Die B.Z. hatte aus Sicherheitskreisen erfahren, dass Selenskyj am Sonnabend nach Berlin komme und anschließend nach Aachen reise, um dort den Karlspreis in Empfang zu nehmen. Dazu hat die Zeitung die Besuchsvorbereitungen detailliert beschrieben – bis hin zum Hotel, in dem der Gast absteige.
Die Pressestelle der Berliner Polizei bestätigte anschließend die Vorbereitungen. Danke für so viel Offenheit.
Doch Selenskyj, der Präsident im Krieg? Einer der meistgefährdeten Menschen überhaupt, für den seine russischen Feinde keine andere Variante sehen „als die physische Eliminierung“, wie es vor wenigen Tagen der irrlichternde frühere russische Ministerpräsident Dmitri Medwedew formulierte. Selenskyj, der deswegen seinen schützenden Kokon selten verlässt – und wenn, dann taucht er irgendwo unvermittelt auf, wie Ende der Woche in Helsinki und tags darauf in Den Haag, damit er nicht zur Zielscheibe wird. Und dessen Besuch in Berlin wird Tage zuvor bekannt?
In Kiew zeigte man sich besorgt oder verärgert und verwies auf das besondere Sicherheitsbedürfnis des Präsidenten. Mancher sah den Besuch deswegen schon platzen. Oleksij Makeiev, Botschafter der Ukraine in Deutschland, sagte auf Anfrage: „Ich sage es diplomatisch: Sie sehen mich nicht glücklich.“
Das ist deutlich höflicher formuliert als die Kritik, der Spott, ja der Hohn, der aus allerlei deutschen Provinzen mal wieder auf die Hauptstadt einplapperte. Motto: Typisch Berlin, da klappt einfach nichts. Doch stimmt das?
Da ist die Polizeipräsidentin Barbara Slowik, die lauthals nicht etwa über das Leck in den eigenen Reihen schimpfte, sondern über diejenigen, die es genutzt und den Besuch berichtet haben: „Ich finde es unerträglich, dass – wenn man dem Artikel in der Zeitung Glauben schenkt – ein einzelner Mitarbeiter das Ansehen der Polizei Berlin auf eine derart beschämende Weise national und international beschädigt. Ich kann nur vermuten, dass sich derjenige der Tragweite seines Handelns nicht bewusst war. Dass Schlagzeilen einer Zeitung höhergestellt werden als die Zuverlässigkeit der Polizei Berlin und das in uns gesetzte Vertrauen, ist in keiner Weise zu tolerieren“, sagte sie. Deswegen habe sie auch das Landeskriminalamt mit den Ermittlungen zu dem Geheimnisverrat betraut.
Ich finde es unerträglich, dass ein einzelner Mitarbeiter das Ansehen der Polizei Berlin auf eine derart beschämende Weise national und international beschädigt
Das sind scharfe Worte. Die aber nichts daran ändern, dass es ihre eigene Pressestelle war, die Vorbereitungen auf den Besuch bestätigt – man könnte auch sagen: zugegeben hat. Man habe auf Anfrage gar nichts anderes tun dürfen als antworten. Schließlich sei man „zur Wahrheit verpflichtet“, hieß es.
Nun ist der Begriff Wahrheit natürlich ein weiter. Zur Illustration folgt ein Protokoll der Bundespressekonferenz von Freitag zum selben Thema. Es fragt jeweils ein Journalist. Es antwortet Wolfgang Büchner, Stellvertretender Regierungssprecher, im Regierungsjargon abgekürzt SRS:
Herr Büchner, gibt es irgendetwas Neues, was einen möglichen Besuch des ukrainischen Präsidenten in Deutschland angeht? Es gibt ja zwei beziehungsweise drei Optionen: Er kommt nach Berlin, er kommt nach Aachen oder er kommt gar nicht. Gibt es da irgendwelche Klärungen?
Zu diesem Thema kann ich Ihnen heute überhaupt gar nichts sagen.
Ist bekannt beziehungsweise wird erwartet, dass Herr Selenskyj persönlich den Preis entgegennimmt?
Das, was ich gerade gesagt habe, kann ich gerne wiederholen: Ich kann zu diesem Thema heute nichts beitragen.
Eigentlich sollte ja auch der französische Präsident Emmanuel Macron zur Verleihung des Karlspreises kommen und dort auch eine Rede halten. Er hat dann wieder abgesagt. Hat Herr Macron gegenüber dem Kanzler seine Absage begründet?
Dazu ist mir nichts bekannt.
Ich versuche es noch einmal anders: Angenommen, der ukrainische Präsident würde nach Deutschland reisen. Wäre es im Interesse der Bundesregierung, dass dieser Besuch erst kurz vorher bekannt wird, so wie das ja in Washington, Warschau, Den Haag, Helsinki, Paris und Brüssel auch funktioniert hat?
Wenn es so einen Besuch gäbe, würden wir den kurzfristig ankündigen.
Bereitet sich die Bundesregierung auf alle drei möglichen Szenarien vor?
Ich wiederhole, was ich vorhin gesagt habe: Ich werde zu diesem Thema heute weiter nichts sagen.
Aber Sie können doch sagen, ob Sie sich ...
Nein, werde ich nicht.
... nachdem eine Bandbreite genannt wurde, ...
Nein.
... ob Sie in der Vorbereitung die volle Bandbreite in Arbeit haben?
Ich werde aus Gründen nichts zu diesem Thema sagen.



