Am 26. April 2023 sprachen der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj und Chinas Staatspräsident Xi Jinping zum ersten Mal seit Beginn der russischen Invasion gegen die Ukraine miteinander.
In seinem Twitter-Account bezeichnete Wolodymyr Selenskyj das Gespräch als ein „langes und bedeutungsvolles Telefonat“ und zeigte sich zuversichtlich, dass dieser Aufruf gemeinsam mit der Ernennung des ukrainischen Botschafters in China „einen starken Impuls für die Entwicklung der bilateralen Beziehungen“ bilden würde.
I had a long and meaningful phone call with 🇨🇳 President Xi Jinping. I believe that this call, as well as the appointment of Ukraine's ambassador to China, will give a powerful impetus to the development of our bilateral relations.
— Володимир Зеленський (@ZelenskyyUa) April 26, 2023
Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen
Noch im Laufe des Mittwochs wurde der ehemalige Minister für strategische Industrien Pawlo Rjabikin zum neuen Botschafter bestellt. Der ukrainische Botschafterposten blieb nach dem Ableben Serhii Kamyshews 2021 über zwei Jahre vakant. Dass die Ernennung mitten im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine erfolgt, ist ein klares Signal der pragmatischen Annäherung zwischen Kiew und Peking.

Über einige weitere Details berichtete der Pressesprecher der ukrainischen Präsidialadministration, Serhii Nykyforow, im Gespräch mit den ukrainischen Medien. Das Gespräch würde „einen ersten Schritt“ bei der Wiederherstellung und Entwicklung der ukrainisch-chinesischen Beziehungen bilden. Auch habe Xi Jinping den im Februar 2023 veröffentlichten chinesischen Friedensplan persönlich vorgestellt. Der Präsident der Ukraine erläuterte im Gegenzug die aus zehn Punkten bestehende ukrainische Friedensformel, so Nykyforow. Auch wenn die beiden Friedenskonzepte Unterschiede aufwiesen, wären beide Seiten gleicher Meinung in Bezug auf den Nichtgebrauch und die Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen, betonte Selenskyjs Pressesprecher.
Ein bemerkenswertes Ereignis
In einer ausführlicheren Erklärung auf Telegram schrieb Selenskyj einige Stunden nach dem Telefonat, dass das Gespräch ein „besonderes Augenmerk auf die Möglichkeiten der Zusammenarbeit zur Schaffung eines gerechten und nachhaltigen Friedens für die Ukraine“ legte. Insbesondere hob der ukrainische Staatschef hervor, könnte es „keinen Frieden auf Kosten von territorialen Kompromissen geben“. Die territoriale Integrität der Ukraine innerhalb der Grenzen von 1991 wäre wiederherzustellen, so Selenskyj.
Die von der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua veröffentlichte offizielle Zusammenfassung des fast einstündigen Gespräches wiederholte die ohnehin bekannten Kernpositionen Pekings, wie beispielsweise die Förderung von „Frieden und Gesprächen“ sowie die „gegenseitige Achtung der Souveränität und der territorialen Integrität“.
Erwartungsgemäß wurden in der Zusammenfassung weder Russland erwähnt noch der Begriff „Krieg“ verwendet. Dennoch ist die offizielle Meldung durchaus bemerkenswert. So wurde der chinesische Staatschef mit den Worten zitiert, dass die Zeit für eine „politische Lösung der Krise“ reif wäre. Als ein ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrates und als „verantwortungsvolle Großmacht“ würde Peking „nicht tatenlos zusehen“ und auch nicht „das Feuer des Konfliktes in der Ukraine“ weiter anzufachen versuchen, so Xi Jinping.
Die Welt freut sich über das Telefonat
Gerade die letztere Äußerung kann durchaus als ein indirektes Signal nicht nur an die Ukraine, sondern vielmehr an den Westen, insbesondere die USA, gedeutet werden, dass Peking Russland keine direkte militärische Unterstützung zu gewähren gewillt ist. Schließlich kündigte Xi Jinping an, einen Sondergesandten in die Ukraine zu entsenden, um eine „intensive Kommunikation“ über eine „politische Lösung der Ukraine-Krise“ zu ermöglichen. Zum neuen chinesischen Sondergesandten für die Ukraine soll der langjährige chinesische Botschafter in Russland (2009-2019) Li Hui ernannt werden. Pikanterweise wurde er 2019 von Wladimir Putin mit dem Orden der Freundschaft ausgezeichnet.
Das nach mehr als 400 Tagen der russischen Invasion gegen die Ukraine geführte Telefonat zwischen Wolodymyr Selenskyj und Xi Jinping hat zweifelsohne das Potential, die Spannungen zwischen China und dem Westen zu mildern. In der EU rief die Annäherung zwischen der Ukraine und China durchwegs optimistische Reaktionen hervor.
So bezeichnete Finnlands Staatschef Sauli Niinistö auf Twitter das Gespräch zwischen Wolodymyr Selenskyj und Xi Jinping als „gute Nachricht“. Der Elysée-Palast betonte, dass Frankreich jede Initiative unterstützte, die „zu einer Lösung des Konflikts im Einklang mit den grundlegenden Interessen der Ukraine und dem Völkerrecht beitragen“ könnte. Auch die US-Administration zeigte sich über das Telefonat zwischen der Ukraine und China erfreut.
Keine große Wende
Letztlich bleibt jedoch die wohl wichtigste Botschaft des Telefonates zwischen Selenskyj und Xi zweifelsohne die Tatsache des Gespräches selbst. Denn so hoffnungsfroh eine aktive Rolle Chinas im Ukrainekrieg auch erscheinen mag, bleibt der Unwille Moskaus gegenüber einer politischen Lösung nach wie vor aufrecht.
Schließlich handelt es sich keinesfalls um eine Wende in der chinesischen Politik. Denn eine Niederlage Russlands liegt nicht im Kerninteresse Chinas. Vielmehr ist die sogenannte „Friedensinitiative“ Chinas (sowie das Telefonat mit Selenskyj als Teil dieser Initiative) als eine diplomatische Finte zu werten, um dem Kreml ein mehr oder minder gesichtswahrendes Ausstiegsszenario unter unbedingter Wahrung der langfristigen chinesischen Nationalinteressen anzubieten. Schließlich ist Pekings Vorstoß in der Ukraine lediglich ein Baustein der neuen globalen chinesischen Sicherheitsstrategie, deren eigentliches Ziel in einer besseren Positionierung Chinas im systemischen Konflikt mit den USA besteht.










