Interview

De Masi über Scholz: „Möchte nicht von einem Mann regiert werden, der lügt“

Der Ex-Linke-Politiker und Publizist Fabio De Masi belastet Olaf Scholz in der Warburg-Affäre schwer. Müsste der Kanzler zurücktreten?

Fabio De Masi zeigt auf, wie schwer die Indizien Olaf Scholz in der Warburg-Affäre belasten.
Fabio De Masi zeigt auf, wie schwer die Indizien Olaf Scholz in der Warburg-Affäre belasten.Uroš Pajović/Berliner Zeitung am Wochenende

Worum geht es bei den Anschuldigungen, die Fabio De Masi gegen Bundeskanzler Olaf Scholz erhebt? Wir haben mit dem Finanzexperten gesprochen. Die wichtigsten Punkte in Kürze.

Berliner Zeitung: Herr De Masi, Sie sagen, dass Bundeskanzler Scholz im Fall der Warburg-Bank-Affäre lügt. Welche Lüge meinen Sie konkret?

Fabio De Masi: Erstens: Scholz behauptet, er habe Cum-Ex-Geschäfte schon immer für illegal gehalten. Aber er traf einen Cum-Ex-Bankier (Christian Olearius, Anm. d. Red.), dem zehn Jahre Haft drohen und gegen den damals bereits ermittelt wurde, dreimal, weil dieser die Rückzahlung von 90 Millionen Euro Tatbeute verhindern wollte. Zweitens: Scholz hat diese Treffen immer so lange verheimlicht, bis Journalisten sie enthüllten, obwohl ich ihn im Bundestag nach weiteren Treffen mit Olearius gefragt hatte. Drittens: Scholz hat sich zwischendurch in einer Befragung im Bundestag, die bis kürzlich noch geheim war, mir gegenüber an ein Treffen erinnert und sich dann kurze Zeit später auf Erinnerungslücken berufen. Diese Treffen wurden vom SPD-Bundestagsabgeordneten Johannes Kahrs und dem Scholz-Mentor und Freund, dem Ex-Innensenator Alfons Pawelczyk arrangiert. Kahrs kassierte dafür Parteispenden. Diese wurden von der SPD Hamburg nie zurückgezahlt. Pawelczyk wurde direkt entlohnt.


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Gibt es neben den Tagebüchern des Warburg-Gesellschafters Olearius schriftliche Beweise, dass Scholz in die Ermittlungen eingegriffen hat?

Scholz hat laut den Tagebüchern von Olearius sogar angerufen und ihn aufgefordert, sich in dieser Angelegenheit an ihn zu wenden. Warum, wenn Cum-Ex laut Scholz eine Schweinerei war? Scholz forderte Olearius in dem Telefonat auf, eine Verteidigungsschrift der Warburg Bank, die im Finanzamt bereits vorlag, kommentarlos – also ohne schriftliche Spuren – an seinen damaligen Finanzsenator, Peter Tschentscher, zu geben. Die Argumente der Bank wurden daraufhin mit der nur Senatoren vorbehaltenen grünen Tinte unterstrichen, und das Dokument wanderte erneut in die Finanzverwaltung mit der Aufforderung, den Senator zu unterrichten. Kurz darauf bestellte die Hamburger Finanzbehörde, das Hamburger Finanzministerium, die zuständige Finanzbeamtin Daniela P. ein. Die Entscheidung, die Cum-Ex-Tatbeute einzuziehen, die zuvor in einem fast 30-seitigen Gutachten abgestützt wurde, kippte. Daniela P. hatte zuvor der Warburg Bank ausgerichtet, dass jetzt nur noch die Politik helfen könne, und sogar von einem „teuflischen Plan“ gesprochen. Die Staatsanwaltschaft Köln hat zudem den Bürgermeister-Kalender von Scholz beschlagnahmt und hat Hinweise auf nachträgliche Löschungen gefunden.

Hat der Steuerzahler wegen der möglichen Einflussnahme von Scholz Geld verloren?

Nein, aber das haben wir Gerichten zu verdanken. Das Hamburger Finanzamt ging damals klipp und klar davon aus, dass die Tatbeute steuerlich verjähren würde. Später schritt ein mutiger Richter ein und ermöglichte es, durch die Anwendung eines Paragrafen, der der Vermögensabschöpfung der organisierten Kriminalität dient, das Geld noch im Strafprozess einzuziehen. Als Finanzminister sicherte Scholz den Einzug von Tatbeute im Strafprozess auch mit einem Gesetz ab, wollte die nachträgliche Einziehung aber für Altfälle untersagen. Unter dem Druck der Warburg-Affäre korrigierte er das Gesetz. Sonst wären Milliarden verloren gegangen.

Welche Konsequenzen sollte Bundeskanzler Scholz Ihrer Meinung nach ziehen? Sollte er zurücktreten?

Das haben die Wählerinnen und Wähler zu entscheiden. Ich persönlich werde nicht gerne von einem Mann regiert, der Deutschland belügt. Aber Cum-Ex ist nicht nur ein Thema von Scholz. Der Oppositionsführer Friedrich Merz von der CDU war sogar im Aufsichtsrat einer Bank, bei deren Vorständen Cum-Ex-Razzien stattfanden. Ex-CDU-Finanzminister Schäuble hat damals die Verfolgung von ähnlich gelagerten Cum-Cum-Geschäften verhindert. Und die Grünen hungern in NRW und in Baden-Württemberg die Ermittler personell aus, die diese kriminellen Geschäfte aufklären sollen. Die FDP pflegte wiederum engste Kontakte zu Hanno Berger, der es Vermögenden ermöglicht hat, mit privatem Geld an Cum-Ex-Geschäften zu verdienen, und nun zu einer achtjährigen Haftstrafe verurteilt wurde. Im Freundeskreis führender Politiker lauern also etliche Jahre Knast.

Was denken Sie, was waren die Motive für die angebliche Lüge von Scholz?

Ich glaube, dass er in einer Zwickmühle steckte. Scholz brauchte Olearius für verschiedene Projekte, etwa bei der Elbphilharmonie. Scholz sagte einmal, in Hamburg könne man nicht gegen die Elbchaussee regieren, wo viele Multi-Millionäre leben. Er hat sich sogar mit Olearius über Interviews mit dem Spiegel abgestimmt, damit dieser ihm nicht die Show stiehlt. Das Unheil nahm aber wohl früher seinen Lauf. Denn auch die frühere Landesbank HSH Nordbank machte, noch während sie nach der Finanzkrise von Hamburg und Schleswig-Holstein gestützt wurde, Cum-Ex-Geschäfte. Die HSH Nordbank kam damals mit einer zu geringen Summe davon. Die Risiken aus den Geschäften belasteten den Verkaufsprozess der Bank. Scholz hat sich bereits damals zu Cum-Ex bei der HSH Nordbank mit seinen Amtskollegen in Kiel ausgetauscht. Die Schonung der HSH Nordbank hat einen Präzedenzfall für Warburg geschaffen.

Was versprechen Sie sich von den Untersuchungen?

Ich habe 2020 im Bundestag diese Sache fast im Alleingang aufrollen müssen. Kurz vor der Wahl haben dann auch andere ihr Interesse an der Warburg-Affäre entdeckt und die Veröffentlichung eines geheimen Protokolls der Befragung unterstützt, die ich bereits 2020 beantragt hatte. Ich begrüße es zwar, dass die Union jetzt das Thema in die Hand nimmt. Aber ehrlicher wäre es gewesen, auch auf die Rolle von Herrn Schäuble bei Cum-Ex zu blicken. Neue Erkenntnisse erwarte ich mir vor allem von der Staatsanwaltschaft. Diese ermittelt etwa gegen Herrn Kahrs und die Finanzbeamtin. Ich fordere außerdem Herrn Olearius, Herrn Kahrs und die Finanzbeamtin auf, ihr Gewissen zu erleichtern. Es ist nie zu spät und das Gefängnis ist ein dunkler Ort.

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