Worum geht es bei den Anschuldigungen, die Fabio De Masi gegen Bundeskanzler Olaf Scholz erhebt? Wir haben mit dem Finanzexperten gesprochen. Die wichtigsten Punkte in Kürze.
Berliner Zeitung: Herr De Masi, Sie sagen, dass Bundeskanzler Scholz im Fall der Warburg-Bank-Affäre lügt. Welche Lüge meinen Sie konkret?
Fabio De Masi: Erstens: Scholz behauptet, er habe Cum-Ex-Geschäfte schon immer für illegal gehalten. Aber er traf einen Cum-Ex-Bankier (Christian Olearius, Anm. d. Red.), dem zehn Jahre Haft drohen und gegen den damals bereits ermittelt wurde, dreimal, weil dieser die Rückzahlung von 90 Millionen Euro Tatbeute verhindern wollte. Zweitens: Scholz hat diese Treffen immer so lange verheimlicht, bis Journalisten sie enthüllten, obwohl ich ihn im Bundestag nach weiteren Treffen mit Olearius gefragt hatte. Drittens: Scholz hat sich zwischendurch in einer Befragung im Bundestag, die bis kürzlich noch geheim war, mir gegenüber an ein Treffen erinnert und sich dann kurze Zeit später auf Erinnerungslücken berufen. Diese Treffen wurden vom SPD-Bundestagsabgeordneten Johannes Kahrs und dem Scholz-Mentor und Freund, dem Ex-Innensenator Alfons Pawelczyk arrangiert. Kahrs kassierte dafür Parteispenden. Diese wurden von der SPD Hamburg nie zurückgezahlt. Pawelczyk wurde direkt entlohnt.
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Olaf Scholz wurde am 14. Juni 1958 in Osnabrück geboren. Die Eltern arbeiteten in der Textilwirtschaft. Er studierte Rechtswissenschaften und absolvierte 1984 in Hamburg sein Examen. 1975 wurde Scholz Mitglied der Jusos. Auf dem Bild: Olaf Scholz spricht auf dem Juso-Bundeskongress 1984 in Bad Godesberg. Von 1982 bis 1988 war er stellvertretender Juso-Bundesvorsitzender.CC BY-SA 4.0

Die DDR-Staatssicherheit hat über den heutigen Bundeskanzler Scholz in seiner Zeit als Juso-Politiker in den 1980er-Jahren jahrelang Informationen gesammelt. Zwischen 1983 und 1988 besuchte Scholz neunmal die DDR. In der Kritik steht er heute dafür, dass sich Scholz Nato-kritisch positioniert und die DDR freundlich beschrieben hat.Christophe Gateau/dpa

Scholz war von 1994 bis 2000 Vorsitzender des SPD-Kreisverbands Altona. Von 2000 bis 2004 sowie von 2009 bis 2018 war er Vorsitzender der SPD Hamburg. Auf dem Bild ist er mit seiner Ehefrau Britta Ernst in seiner Zeit als SPD-Generalsekretär (2002-2004) zu sehen.Herrmann/imago

Im Mai 2001 wurde Scholz Innensenator. Seine Amtszeit endete nach der Bürgerschaftswahl Ende 2001 mit der Wahl Ole von Beusts (CDU) zum Ersten Bürgermeister. Auf dem Bild: Scholz als Innensenator in Hamburg.UlrichPerrey/dpa

Am Montag, den 28.05.2001, wurde Scholz im Rathaus der Hansestadt von Hamburgs Bürgermeister Ortwin Runde zum neuen Innensenator ernannt.Kay Nietfeld/dpa

2002 gewann Gerhard Schröder als Bundeskanzlerkandidat die Wahlen. Olaf Scholz war da in seiner Funktion als Generalsekretär präsent. Auf dem Bild: Unterschrift unter die Koalitionsvereinbarung zwischen SPD und Grünen. Links Bundeskanzler Gerhard Schröder, SPD, in der Mitte Bundesaußenminister Joschka Fischer, Grüne. Daneben: Olaf Scholz.Thomas Koehler/imago

01.06.2003: Innenminister Otto Schily, Generalsekretär Olaf Scholz und Bundeskanzler Gerhard Schröder (alle SPD) sind bei einem Außerordentlichen Bundesparteitags der SPD in Berlin zu sehen.Christian Thiel/imago

Bundeskanzler Gerhard Schröder, der designierte SPD-Parteivorsitzende Franz Müntefering (r) und der noch amtierende SPD-Generalsekretär Olaf Scholz (M) nahmen am 07.02.2004 an der Sitzung des SPD-Präsidiums in Berlin teil. Schröder hatte zuvor seinen Rücktritt vom Parteivorsitz bekannt gegeben und Scholz auf eine Fortsetzung seiner Tätigkeit verzichtet.Andreas Altwein/dpa

Olaf Scholz galt als fleißiger Mitarbeiter der SPD. Man nannte ihn auch den Aktenfresser.Christian Thiel/imago

2007 war der große Karrieresprung: Olaf Scholz wurde zum Minister für Arbeit und Soziales ernannt. Müntefering hatte seinen Rückzug angetreten, um sich um seine kranke Frau zu kümmern. Scholz blieb Minister bis 2009.Johannes Eisele/dpa

Hier auf dem Bild: Minister Scholz mit Bundeskanzlerin Angela Merkel 2008.Torsten Leukert/imago

Arbeitsminister Olaf Scholz (SPD) im Stahlwerk der Salzgitter AG in Salzgitter. Ein Bild aus dem Jahr 2008.Christian Thiel/imago

2011 ging Scholz als Spitzenkandidat der SPD zur Wahl für die Hamburger Bürgerschaft ins Rennen. Er wurde Hamburgs Erster Bürgermeister. Am 7.3.2011 fand die Vereidigung statt.Angelika Warmuth/dpa

Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz arbeitete eng mit dem Finanzsenator Peter Tschentscher (SPD, r) zusammen. Später spielte Tschentscher eine entscheidende Rolle in der Warburg-Affäre. Auch er soll von dubiosen Cum-Ex-Geschäften gewusst und nichts getan haben.Bodo Mask/dpa

Die in den Cum-Ex-Skandal verwickelte Privatbank M.M.Warburg & CO in der Ferdinandstraße 75 in der Hamburger Innenstadt. Scholz traf sich dreimal mit Bankiers der Warburg-Bank. Wollte er sie warnen, dass gegen sie ermittelt wird?Hanno Bode/imago

Der Linke-Politiker Fabio De Masi deckte die Verstrickungen von Scholz und der Hamburger SPD in der Warburg-Affäre auf. Der Verdacht liegt nahe, dass Scholz die Banker schützen wollte.Malte Christians/dpa

Ein Bild von Scholz aus dem Jahr 2012.Marcus Brandt/dpa

Im Jahr 2018 wurde Olaf Scholz Finanzminister. Die Warburg-Affäre war da noch nicht aufgedeckt.Golejewski/imago

2018 ergatterte Scholz das wichtige Finanzministerium für die SPD.IPON/imago

2021 kam der nächste Karriereschritt. Olaf Scholz wurde auf dem Online-Bundesparteitag der SPD zum Kanzlerkandidaten nominiert.Wolfgang Kumm/dpa

2021 platzte die Wirecard-Blase. Scholz wurde vorgeworfen, als Finanzminister die dubiosen Geschäfte von Wirecard nicht gestoppt zu haben.IPON/imago

Die Warburg-Affäre brachte Scholz noch mehr in Bedrängnis. Die Cum-Ex-Geschäfte soll er nicht vereitelt haben.Sven Simon/imago

2021 gewann die SPD die Bundestagswahlen und konnte mit der FDP und den Grünen eine Koalition bilden. Die Warburg-Affäre wurde Scholz nicht zum Verhängnis.Sven Simon/imago

Doch die Recherchen von Fabio De Masi belasteten ihn schwer. Nun soll ein Untersuchungsausschuss für Klarheit schaffen.IPON/imago

Die Warburg-Affäre hat Scholz noch nicht ausgestanden.Kay Nietfeld/dpa

Der Image-Schaden könnte sehr groß sein, falls die Warburg-Affäre eine größere Aufmerksamkeit erfährt.Jörg Boethling/imago

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) steht im Bundeskanzleramt nach der Aufzeichnung einer Fernsehansprache zum Einmarsch russischer Truppen in der Ukraine. Sein Zögern in seiner Entscheidungsfindungen wird auch hier medial gerne kritisiert.Markus Schreiber/AP
Gibt es neben den Tagebüchern des Warburg-Gesellschafters Olearius schriftliche Beweise, dass Scholz in die Ermittlungen eingegriffen hat?
Scholz hat laut den Tagebüchern von Olearius sogar angerufen und ihn aufgefordert, sich in dieser Angelegenheit an ihn zu wenden. Warum, wenn Cum-Ex laut Scholz eine Schweinerei war? Scholz forderte Olearius in dem Telefonat auf, eine Verteidigungsschrift der Warburg Bank, die im Finanzamt bereits vorlag, kommentarlos – also ohne schriftliche Spuren – an seinen damaligen Finanzsenator, Peter Tschentscher, zu geben. Die Argumente der Bank wurden daraufhin mit der nur Senatoren vorbehaltenen grünen Tinte unterstrichen, und das Dokument wanderte erneut in die Finanzverwaltung mit der Aufforderung, den Senator zu unterrichten. Kurz darauf bestellte die Hamburger Finanzbehörde, das Hamburger Finanzministerium, die zuständige Finanzbeamtin Daniela P. ein. Die Entscheidung, die Cum-Ex-Tatbeute einzuziehen, die zuvor in einem fast 30-seitigen Gutachten abgestützt wurde, kippte. Daniela P. hatte zuvor der Warburg Bank ausgerichtet, dass jetzt nur noch die Politik helfen könne, und sogar von einem „teuflischen Plan“ gesprochen. Die Staatsanwaltschaft Köln hat zudem den Bürgermeister-Kalender von Scholz beschlagnahmt und hat Hinweise auf nachträgliche Löschungen gefunden.
Hat der Steuerzahler wegen der möglichen Einflussnahme von Scholz Geld verloren?
Nein, aber das haben wir Gerichten zu verdanken. Das Hamburger Finanzamt ging damals klipp und klar davon aus, dass die Tatbeute steuerlich verjähren würde. Später schritt ein mutiger Richter ein und ermöglichte es, durch die Anwendung eines Paragrafen, der der Vermögensabschöpfung der organisierten Kriminalität dient, das Geld noch im Strafprozess einzuziehen. Als Finanzminister sicherte Scholz den Einzug von Tatbeute im Strafprozess auch mit einem Gesetz ab, wollte die nachträgliche Einziehung aber für Altfälle untersagen. Unter dem Druck der Warburg-Affäre korrigierte er das Gesetz. Sonst wären Milliarden verloren gegangen.
Welche Konsequenzen sollte Bundeskanzler Scholz Ihrer Meinung nach ziehen? Sollte er zurücktreten?
Das haben die Wählerinnen und Wähler zu entscheiden. Ich persönlich werde nicht gerne von einem Mann regiert, der Deutschland belügt. Aber Cum-Ex ist nicht nur ein Thema von Scholz. Der Oppositionsführer Friedrich Merz von der CDU war sogar im Aufsichtsrat einer Bank, bei deren Vorständen Cum-Ex-Razzien stattfanden. Ex-CDU-Finanzminister Schäuble hat damals die Verfolgung von ähnlich gelagerten Cum-Cum-Geschäften verhindert. Und die Grünen hungern in NRW und in Baden-Württemberg die Ermittler personell aus, die diese kriminellen Geschäfte aufklären sollen. Die FDP pflegte wiederum engste Kontakte zu Hanno Berger, der es Vermögenden ermöglicht hat, mit privatem Geld an Cum-Ex-Geschäften zu verdienen, und nun zu einer achtjährigen Haftstrafe verurteilt wurde. Im Freundeskreis führender Politiker lauern also etliche Jahre Knast.
Was denken Sie, was waren die Motive für die angebliche Lüge von Scholz?
Ich glaube, dass er in einer Zwickmühle steckte. Scholz brauchte Olearius für verschiedene Projekte, etwa bei der Elbphilharmonie. Scholz sagte einmal, in Hamburg könne man nicht gegen die Elbchaussee regieren, wo viele Multi-Millionäre leben. Er hat sich sogar mit Olearius über Interviews mit dem Spiegel abgestimmt, damit dieser ihm nicht die Show stiehlt. Das Unheil nahm aber wohl früher seinen Lauf. Denn auch die frühere Landesbank HSH Nordbank machte, noch während sie nach der Finanzkrise von Hamburg und Schleswig-Holstein gestützt wurde, Cum-Ex-Geschäfte. Die HSH Nordbank kam damals mit einer zu geringen Summe davon. Die Risiken aus den Geschäften belasteten den Verkaufsprozess der Bank. Scholz hat sich bereits damals zu Cum-Ex bei der HSH Nordbank mit seinen Amtskollegen in Kiel ausgetauscht. Die Schonung der HSH Nordbank hat einen Präzedenzfall für Warburg geschaffen.
Was versprechen Sie sich von den Untersuchungen?
Ich habe 2020 im Bundestag diese Sache fast im Alleingang aufrollen müssen. Kurz vor der Wahl haben dann auch andere ihr Interesse an der Warburg-Affäre entdeckt und die Veröffentlichung eines geheimen Protokolls der Befragung unterstützt, die ich bereits 2020 beantragt hatte. Ich begrüße es zwar, dass die Union jetzt das Thema in die Hand nimmt. Aber ehrlicher wäre es gewesen, auch auf die Rolle von Herrn Schäuble bei Cum-Ex zu blicken. Neue Erkenntnisse erwarte ich mir vor allem von der Staatsanwaltschaft. Diese ermittelt etwa gegen Herrn Kahrs und die Finanzbeamtin. Ich fordere außerdem Herrn Olearius, Herrn Kahrs und die Finanzbeamtin auf, ihr Gewissen zu erleichtern. Es ist nie zu spät und das Gefängnis ist ein dunkler Ort.
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