„Das Aufkommen von Atomwaffen ist das Ergebnis des Eingreifens des Allmächtigen, der mit Entsetzen feststellte, dass die Menschen, die Europäer und die Japaner, die sich ihnen anschlossen, innerhalb einer einzigen Generation zwei Weltkriege entfesselt hatten, die zig Millionen Menschenleben forderten. So übergab der Allmächtige der Menschheit die Waffen des Armageddon, um denen, die die Angst vor der Hölle verloren hatten, zu zeigen, dass diese existiere.“
Mit diesen martialischen, vom geradezu religiösen Eifer triefenden Worten betont Sergej Karaganow, Ehrenvorsitzender des bis in die obersten Etagen des Machtsystems Putin stark vernetzten und einflussreichen Thinktanks „Rat für Außen- und Verteidigungspolitik (SVOP)“, in seinem aktuellen Beitrag „Der Einsatz von Atomwaffen könnte die Menschheit vor einer globalen Katastrophe bewahren“ für das russische Politmagazin „Profil“ die Bedeutung eines präventiven Atomwaffeneinsatzes – gegen den Westen – für einen russischen Sieg im Angriffskrieg gegen die Ukraine.

Wer ist Sergej Karaganow?
Sergej Karaganow ist der wohl mit großem Abstand egozentrischste und schillerndste außen- und sicherheitspolitische Vordenker Russlands. In den Reihen der russischen Intellektuellen gilt Sergej Karaganow als ein von zahlreichen – wohl nicht selten selbst gestreuten – Gerüchten umrungener, eine Aura des Geheimen ausstrahlender, hochgradig umstrittener Provokateur von bereits zu Lebzeiten legendären Ausmaßen. Sich selbst sieht der wissenschaftliche Direktor der Fakultät für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen an der renommierten russischen Universität Higher School of Economics als den geistigen Vater der Hinwendung Russlands zur asiatisch-pazifischen Region.
Sergej Karaganow entstammt dem sowjetischen Kulturestablishment, sein Vater Alexander Karaganow war über zwei Jahrzehnte Sekretär des Verbandes der Filmschaffenden der UdSSR, seine Mutter Sofja Karaganowa war die erste Ehefrau des bekannten sowjetischen Dichters Jewgeni Dolmatowski.
Die Zugehörigkeit zur sowjetischen Elite eröffnete Karaganow die Möglichkeit nach dem Wirtschaftsstudium an der Moskauer Staatlichen Lomonossow-Universität (MGU), ein mehrjähriges Praktikum an der UN-Mission der Sowjetunion in New York zu absolvieren. Danach forschte er am renommierten Institut für USA- und Kanadastudien an der Russischen Akademie der Wissenschaften.
Ende der 1980er-Jahre wechselte er an das Europa-Institut der Russischen Akademie der Wissenschaften und übernahm 1989 die Stelle des stellvertretenden Institutsleiters. Parallel zu seiner wissenschaftlichen Laufbahn erfolgte sein Aufstieg als Politikberater, zunächst als Experte des Komitees für internationale Beziehungen bei Obersten Sowjet der UdSSR und ab 1991 als Mitglied des Rates für Außenpolitik beim Außenministerium der Russischen Föderation.
Nach der Auflösung der Sowjetunion wurde er unter anderem Mitglied im Präsidialrates, Experte des Sicherheitsrates der Russischen Föderation, Berater des stellvertretenden Leiters für Außenpolitik an der Präsidialadministration und seit Mitte der 2000er-Jahre Mitglied des Präsidialrates für Zivilgesellschaft und Menschenrechte. Der Werdegang Sergej Karaganows ist nur ein Beispiel von vielen, das eindrucksvoll den Beweis für die nahezu ununterbrochene Elitenkontinuität zwischen der untergegangenen Sowjetunion und dem scheinbar neuen Russland führt.
Über zwei Jahrzehnte galt Sergej Karaganow als ein einflussreicher Berater der russischen Präsidenten Boris Jelzin und Wladimir Putin, Mitbegründer und Ehrenvorsitzender der 1992 gegründeten ältesten russischen NGO „Rat für Außen- und Verteidigungspolitik (SVOP)“ sowie der wichtigen außenpolitischen Zeitschrift „Russia in Global Affairs“. Dabei zählt der „Rat für Außen- und Verteidigungspolitik (SVOP)“ zum wohl bedeutendsten Meilenstein in Karaganows Karriere.
Die phonetische Ähnlichkeit des Kürzels „SVOP“ zum aus dem Finanzwesen entstammenden Begriff „Swap“ – als einer Vereinbarung, Verpflichtungen oder Vermögenswerte auszutauschen, um den beidseitigen Gewinn zu steigern – ist wohl kaum dem blinden Zufall geschuldet.
Denn die Zielsetzung des „Rates für Außen- und Verteidigungspolitik (SVOP)“ bestand von Anbeginn in einer engen Vernetzung zwischen den politischen, sicherheitspolitischen, militärischen, akademischen, wirtschaftlichen und medialen Ebenen der damals noch jungen Russischen Föderation. Gerade Karaganows Aktivitäten im Rahmen dieses Projektes brachten ihm die Bezeichnung „Schattenpolitologe“ durch den sowjetisch-russischen Historiker und Publizisten Sergej Kara-Murza ein. Nach Meinung Alexander Dugins, welcher zu Unrecht nicht wenigen westlichen Beobachtern als Chefideologe des Kremls gilt, war der „Rat für Außen- und Verteidigungspolitik (SVOP)“ ein „Einfallstor der US-amerikanischen Einflussnahme auf die russische Politik“.
Freilich geht die absurd-überschießende Kritik Dugins am Kern des Problems vorbei. Denn kaum dürfte Sergej Karaganow aus tiefster innerer Überzeugung von der Notwendigkeit der Westannäherung Russlands gehandelt haben, vielmehr ist ihm ein Phänomen eigen, das zur Sowjetzeiten als ein „Schwanken entlang der Parteilinie“ bekannt war. Dank eines stark ausgeprägten Gespürs fürs Politische entsprach das Meinungsspektrum Karaganows stets der von der russischen Staatsspitze gerade bevorzugten politischen Ausrichtung, welche er jedoch nicht nur blindlings aufnahm, sondern auch zu beeinflussen suchte.
Über viele Jahre galt Karaganow als ein prowestlicher und proeuropäischer Systemliberaler, welcher nicht nur für eine engere Kooperation Russlands mit den USA, der Nato sowie der EU eintrat, sondern im Jahr 2011 im Rahmen seiner Tätigkeit im Präsidialrat für Zivilgesellschaft und Menschenrechte ein Programm zur Ent-Kommunisierung und Ent-Stalinisierung der russischen Gesellschaft als dem einzigen Weg in die Moderne vorschlug.
Doch als nach der angekündigten Rochade zwischen dem damals als vorzeigeliberal geltenden Präsidenten Dmitri Medwedew und „seinem“ Regierungschef Wladimir Putin sowie den gefälschten Parlamentswahlen die Beziehungen Russlands mit dem Westen zunehmend angespannter wurden, gab Karaganow mit erstaunlicher Leichtigkeit die Ideen der europäischen Integration (Groß-Europa) auf und wendete sich mit gleicher Überschwänglichkeit der Idee vom Aufbau eines Groß-Eurasiens zu. Dabei schlug er unter anderem vor, die russische Hauptstadt nach Wladiwostok zu verlegen und die Wirtschaftsmärkte im Osten Russlands auf China auszurichten.
„Atomwaffen sind das Ergebnis des Eingreifens des Allmächtigen“
In seinem jüngsten Beitrag legt Sergej Karaganow seine Gedanken in gewohnt provokanter, teils schwer fassbarer pseudophilosophisch-nebulöser Sprache gehüllt darnieder. Die zentrale Botschaft Karaganows kommt bereits im Beitragstitel „Der Einsatz von Atomwaffen könnte die Menschheit vor einer globalen Katastrophe bewahren“ deutlich zum Ausdruck.
Seiner Ansicht nach solle die Drohung mit Atomwaffeneinsatz die Menschheit in Angst vor einem nuklearen Weltkrieg versetzen und diesen solcherart verunmöglichen. Durch die nukleare Erpressung könne Russland den Westen dazu zwingen, seine Unterstützung für die Ukraine einzustellen, zeigt sich Karaganow überzeugt. Sollte der Westen die russischen Drohungen aber nicht ernst nehmen, so wäre Moskau dazu gezwungen, die Atomwaffen – nicht gegen die Ukraine, aber direkt gegen einzelne zentral- und osteuropäische Nato-Staaten – tatsächlich einzusetzen.
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Im Übrigen wurde Sergej Karaganow 2015 Mitglied des unter dem Schweizer OSZE-Vorsitz ins Leben gerufenen „Weisenrates zur europäischen Sicherheit als gemeinsames Projekt“. Der Abschlussbericht erschien im Dezember 2015 unter dem Titel „Back to Diplomacy“ und bestand aus Empfehlungen für einen intensiven diplomatischen Prozess zur Lösung der „Ukrainekrise“. Die Aggressivität Karaganows erscheint vor diesem Hintergrund umso erschreckender zu sein. Obschon Karaganow den schmachvollen Eingang in die Sanktionslisten der Ukraine und Kanadas fand, blieb ihm die Sanktionierung durch die USA und die EU bislang erspart.
Aufgrund der inhaltlichen Brisanz und der ungeheuren Absurdität einzelner Gedankenstränge Karaganows soll der gesamte Artikel in meiner Übersetzung in voller Länge dargelegt werden. Alexander Dubowy
„Der Einsatz von Atomwaffen könnte die Menschheit vor einer globalen Katastrophe bewahren“ von Sergej Karaganow
Ich möchte Ihnen einige Gedanken mitteilen, die ich seit langem hege und die nach der jüngsten Tagung des Rates für Außen- und Verteidigungspolitik, einer der bedeutendsten in dessen 31-jähriger Geschichte, Gestalt angenommen haben.
Eine wachsende Bedrohung
Unser Land, seine Führung, steht meines Erachtens vor einer schwierigen Wahl. Es wird immer deutlicher, dass die Auseinandersetzung mit dem Westen nicht enden wird, wenn wir in der Ukraine einen Teil- oder sogar einen vernichtenden Sieg erringen.
Wenn wir die Regionen Donezk, Luhansk, Saporischschja und Cherson vollständig befreien, wird das ein minimaler Sieg sein. Ein etwas größerer Erfolg wäre die Befreiung des gesamten Ostens und Südens der heutigen Ukraine innerhalb von ein oder zwei Jahren. Aber es wird immer noch ein Stück davon übrigbleiben, mit einer noch verbitterteren ultranationalistischen Bevölkerung, die mit Waffen vollgepumpt ist – eine blutende Wunde, die unweigerlich zu Komplikationen und einem erneuten Krieg führen wird. Die Situation könnte noch schlimmer sein, wenn wir die gesamte Ukraine unter ungeheuren Opfern befreien und in Trümmern mit einer weitgehend hasserfüllten Bevölkerung zurückbleiben. Es würden mehrere Jahrzehnte dauern, diese „umzuerziehen“.
Jede der oben genannten Optionen, insbesondere die letzte, wird Russland von der dringend notwendigen Verlagerung seines geistigen, wirtschaftlichen, militärischen und politischen Zentrums in den Osten Eurasiens ablenken. Wir werden in der aussichtslosen westlichen Ausrichtung stecken bleiben. Und die Gebiete der heutigen Ukraine, vor allem in der Zentral- und Westukraine, werden Ressourcen beanspruchen – Führungskräfte, Humanressourcen, Finanzen. Diese Regionen wurden schon zu Sowjetzeiten stark subventioniert. Und die Feindschaft mit dem Westen wird fortbestehen; denn dieser wird einen langwierigen Guerillabürgerkrieg in der Ukraine unterstützen.
Die attraktivere Option ist die Befreiung und Wiedervereinigung des Ostens und des Südens und die Erzwingung der Kapitulation für den Rest der Ukraine mit vollständiger Entmilitarisierung, wodurch ein freundschaftlich gesonnener Pufferstaat entsteht. Aber ein solches Ergebnis ist nur möglich, wenn wir den Willen des Westens, die Kiewer Junta zu unterstützen, brechen und den Westen zu einem strategischen Rückzug zwingen.
An dieser Stelle komme ich zu einer entscheidenden, aber kaum diskutierten Frage. Den Hauptgrund für die Krise in der Ukraine, wie auch für viele weitere Konflikte in der Welt sowie die allgemeine Zunahme der militärischen Bedrohung bildet das fortschreitende Versagen der heute herrschenden westlichen Eliten, ein Versagen, das durch die Globalisierungswelle der letzten Jahrzehnte entstanden ist – und zum größten Teil eine Kompradorenbourgeoisie in Europa bildete. Dieses Scheitern geht einher mit einer beispiellos schnellen Verschiebung des Machtgleichgewichts in der Welt zugunsten einer globalen Mehrheit, mit China und teilweise Indien als die wirtschaftlichen Motoren dieser Entwicklung und Russland als dem militärisch-strategischen Anker.
Die Schwächung des Westens versetzt nicht nur die imperial-kosmopolitischen Eliten (Biden und Konsorten) in Wut, sondern macht auch den imperial-nationalen Eliten (Trump) Angst. Der Westen verliert die Fähigkeit, die er fünf Jahrhunderte lang besaß, das Reichtum der Welt abzuschöpfen, indem er in erster Linie mit brachialer Gewalt politische und wirtschaftliche Ordnungsvorstellungen durchsetzte und seine kulturelle Dominanz etablierte.
Solcherart ist mit einem schnellen Ende der defensiv-aggressiven Konfrontation, die der Westen betreibt, nicht zu rechnen. Dieser Zusammenbruch moralischer, politischer und wirtschaftlicher Positionen des Westens bahnt sich seit Mitte der 1960er-Jahre an, wurde durch den Zusammenbruch der UdSSR unterbrochen, setzte jedoch in den 2000er Jahren mit neuer Kraft wieder ein (die Niederlagen der USA und ihrer Verbündeten im Irak und in Afghanistan sowie die Krise des westlichen Wirtschaftsmodells im Jahr 2008 sind hier als Meilensteine zu nennen).
Um diese lawinenartige Talfahrt zu stoppen, hat sich der Westen vorübergehend konsolidiert. Die USA haben die Ukraine in ein Instrument verwandelt, um Russland, das politisch-militärische Rückgrat einer von den Fesseln des Neokolonialismus befreiten nicht-westlichen Welt, zu binden. Im Idealfall möchten die USA natürlich einfach unser Land sprengen und damit die aufstrebende alternative Supermacht China radikal schwächen. Und entweder weil wir nicht erkannten, dass eine Konfrontation unmittelbar bevorstand oder weil wir unsere Kräfte sparen wollten, waren wir zu langsam, um präventiv handeln zu können. Darüber hinaus haben wir im Einklang mit dem modernen, vor allem westlichen politischen und militärischen Denken unvorsichtigermaßen die Schwelle für den Einsatz von Atomwaffen erhöht, die Lage in der Ukraine falsch eingeschätzt und die Spezialmilitäroperation nicht ganz erfolgreich gestartet.
Da die westlichen Eliten intern versagten, begannen sie, aktiv das Unkraut zu züchten, das auf dem Nährboden von siebzig Jahren Wohlstand, Überfluss und Frieden gediehen war. Dabei handelt es sich um all die menschenfeindlichen Ideologien: die Verleugnung von Familie, Heimat, Geschichte, Liebe zwischen Männern und Frauen, Glaube, Dienst an höheren Idealen, all das, was das Wesen des Menschen ausmacht. Jene, die sich widersetzen, werden ausgemerzt. Das Ziel ist es, die Menschen zu gängeln, um ihre Fähigkeit zu verringern, dem modernen „globalistischen“ Kapitalismus zu widerstehen, dessen Ungerechtigkeit und Schädlichkeit für den Menschen und die Menschheit immer offensichtlicher wird.
Unterdessen bringen die geschwächten USA Europa und andere von ihnen abhängigen Staaten um, und versuchen, sie in gemeinsam mit der Ukraine in das Fegefeuer der Konfrontation hineinzuziehen. Die Eliten in den meisten dieser Länder haben die Orientierung verloren und führen ihre Staaten, von der Panik angesichts des eigenen Scheiterns überwältigt, gehorsam zur Schlachtbank. Gleichzeitig fällt der Hass Europas auf Russland aufgrund des Versagens, des Gefühls der Machtlosigkeit, der jahrhundertealten Russophobie, der intellektuellen Verwahrlosung und des Verlusts der strategischen Kultur beinahe heftiger aus als derjenige der USA.
Der Entwicklungsvektor der meisten westlichen Nationen zeigt: Sie bewegen sich auf einen neuen Faschismus und (bislang) „liberalen“ Totalitarismus zu.
In Zukunft, und das ist das Wichtigste, wird es dort nur noch schlimmer zugehen. Waffenstillstände sind möglich, nicht aber eine Aussöhnung. Wut und Verzweiflung werden wellenartig anwachsen. Dieser Bewegungsvektor des Westens ist ein klares Signal für das Abdriften in Richtung eines Dritten Weltkrieges. Doch der Weltkrieg hat bereits begonnen und könnte sich aufgrund der wachsenden Inkompetenz und Verantwortungslosigkeit der herrschenden Kreise des Westens zu einem ausgewachsenen Flächenbrand entwickeln.
Die Einführung von künstlicher Intelligenz, die Robotisierung des Krieges, erhöht die Gefahr einer unbeabsichtigten Eskalation. Maschinen könnten der Kontrolle der verwirrten Eliten entgleiten.
Die Situation wird durch ein „strategisches Parasitentum“ noch weiter verschärft – 75 Jahre eines relativen Friedens haben die Menschen die Schrecken eines großen Krieges vergessen lassen. Die Menschen haben die Angst vor Atomwaffen verloren. Überall, aber besonders im Westen, ist der Selbsterhaltungstrieb erlahmt.
Ich habe viele Jahre damit verbracht, die Geschichte der Nuklearstrategien zu studieren und bin zu einem eindeutigen, wenn auch unwissenschaftlichen Schluss gekommen. Das Aufkommen von Atomwaffen ist das Ergebnis des Eingreifens des Allmächtigen, der mit Entsetzen feststellte, dass die Menschen, die Europäer und die Japaner, die sich ihnen anschlossen, innerhalb einer einzigen Generation zwei Weltkriege entfesselt hatten, die zig Millionen Menschenleben forderten. So übergab der Allmächtige der Menschheit die Waffen des Armageddon, um denen, die die Angst vor der Hölle verloren hatten, zu zeigen, dass diese existiere. Auf dieser Angst gründete der relative Frieden des letzten Dreivierteljahrhunderts. Nunmehr ist diese Angst verschwunden. Das Undenkbare in Bezug auf frühere Vorstellungen von nuklearer Abschreckung ist geschehen – eine Gruppe herrschender westlicher Zirkel hat in einem Anfall von verzweifelter Wut einen groß angelegten Krieg im Unterleib einer nuklearen Supermacht entfesselt.
Die Angst vor einer nuklearen Eskalation muss zurückkehren. Sonst ist die Menschheit dem Untergang geweiht.
Auf den Feldern der Ukraine entscheidet sich jetzt nicht nur und nicht einmal so sehr, wie die zukünftige Weltordnung aussehen wird, sondern auch, ob die Welt, an die wir uns gewöhnt haben, dieselbe bleiben oder ob der Planet nur noch aus radioaktiven Trümmern bestehen wird.
Indem wir den Willen des Westens zur Aggression brechen, werden wir nicht nur uns selbst retten und die Welt endlich von dem westlichen Joch befreien, das fünf Jahrhunderte lang gedauert hat, sondern wir werden auch die gesamte Menschheit erretten. Indem wir den Westen zur Katharsis und zur Aufgabe der Hegemonie seiner Eliten zwingen, werden wir ihn zum Rückzug bewegen, bevor es zu einer Weltkatastrophe kommt. Die Menschheit wird eine neue Chance auf Entfaltung erhalten.
Vorgeschlagene Lösung
Natürlich liegt ein harter Kampf vor uns. Es ist auch notwendig, die internen Probleme zu lösen – sich endlich vom Westzentrismus in den Köpfen und von den Westlern in der Verwaltungsschicht, von der Kompradorenbourgeoisie und ihrer eigenartigen Denkweise zu befreien. (Doch der Westen hilft uns unwillentlich dabei.)
Die dreihundertjährige Reise Russlands nach Europa hat uns viele nützliche Informationen geliefert und uns geholfen, unsere große Kultur zu formen. Natürlich werden wir das europäische Erbe in Ehren halten. Doch es ist an der Zeit, nach Hause zurückzukehren, zu uns selbst. Und, das angehäufte Erbe nutzend, endlich zu beginnen, uns des eigenen Verstandes zu bedienen. Unsere Freunde vom Außenministerium haben vor kurzem einen echten Durchbruch erzielt, indem sie Russland in der Konzeption der Außenpolitik als einen Zivilisationsstaat bezeichnet haben. Ich würde hinzufügen – Russland ist eine Zivilisation der Zivilisationen, welche sowohl nach Norden als auch nach Süden, nach Westen und nach Osten offen ist. Die Hauptrichtung der Entwicklung ist nunmehr der Süden, der Norden, vor allem aber der Osten.
Unabhängig davon, wie die Konfrontation mit dem Westen in der Ukraine auszugehen vermag, sollte uns diese Entwicklung nicht von der strategischen Bewegung nach innen ablenken. Einer geistigen, kulturellen, wirtschaftlichen, politischen, militärischen Bewegung in Richtung des Urals, Sibiriens und des Großen Ozeans. Wir brauchen eine neue uralo-sibirische Strategie, die mehrere gewaltige geisterweckende Projekte umfasst, darunter natürlich die Schaffung einer dritten Hauptstadt in Sibirien. Diese Bewegung sollte ein Teil des „russischen Traums“ werden – ein Abbild jenes Russlands und jener Welt, die man zu erreichen sucht.
Ich habe schon oft geschrieben, und damit bin ich nicht allein, dass große Staaten ohne eine große Idee aufhören, groß zu sein und im Nichts aufgehen. Die Geschichte ist übersät mit den Schatten und Gräbern von Mächten, die ihre Idee verloren haben. Diese Idee sollte von oben kommen. Man darf sich nicht, wie es Narren tun, darauf verlassen, dass sie von unten zu entstehen vermag. Die Idee hat den tiefsten Werten und Sehnsüchten der Menschen zu entsprechen und sollte, was am wichtigsten ist, uns alle voranbringen. Aber es liegt in der Verantwortung der Elite und der Führung des Landes, eine derartige Idee zu formulieren. Die Ausformulierung und Umsetzung eines derartigen Ideentraumes haben sich inakzeptabel in die Länge gezogen.
Aber damit die Zukunft einkehren kann, muss der Widerstand der Vergangenheitskräfte – des Westens – überwunden werden. Wenn dies nicht geschieht, wird es mit ziemlicher Sicherheit zu einem umfassenden und für die Menschheit wahrscheinlich letzten Weltkrieg kommen.
Und hier komme ich zum schwierigsten Teil dieses Artikels. Wir können noch ein oder zwei oder drei Jahre den Krieg führen, Tausende und Abertausende unserer besten Männer opfern und Hunderttausende in der tragischen historischen Falle der heutigen Ukraine zermalmen. Aber diese Militäroperation kann nicht mit einem entscheidenden Sieg enden, ohne dabei dem Westen einen strategischen Rückzug oder gar die Kapitulation aufzuzwingen. Wir müssen den Westen dazu zwingen, seine Versuche, das Rad der Geschichte umzukehren, aufzugeben, seine Weltherrschaftspläne aufzugeben und ihn dazu bringen, sich in Hinkunft mit sich selbst zu beschäftigen, um seine aktuellen multiplen Krisen zu verwalten. Um es grobschlächtig auszudrücken: Wir müssen den Westen dazu bringen, sich einfach „zu verpissen“ und sich nicht mehr in die Angelegenheiten Russlands und der gesamten Welt einzumischen.
Dazu muss der Westen seinen verlorenen Selbsterhaltungstrieb wiederfinden, indem jener davon überzeugt wird, dass jedwede Versuche, Russland zu schwächen, indem man die Ukrainer auf Moskau hetzt, für den Westen selbst kontraproduktiv sind. Die Glaubwürdigkeit der nuklearen Abschreckung muss wiederhergestellt werden, indem die inakzeptabel hohe Schwelle für den Einsatz von Atomwaffen gesenkt wird, indem man sich auf der Eskalationsleiter der Abschreckung kalkuliert, doch schnell nach oben bewegt.
Die ersten Schritte sind bereits gesetzt worden. Dazu gehören einschlägige Erklärungen des Präsidenten Putin und anderer führender Politiker, der Beginn der Stationierung von Atomwaffen in Belarus und die Verstärkung der strategischen Abschreckungsstreitkräfte. Die Eskalationsleiter hat viele Stufen. Ich habe etwa zwei Dutzend gezählt. Es könnte sogar darauf hinauslaufen, die russischen Landsleute und alle Menschen guten Willens zu warnen, ihre Häuser in der Nähe von Einrichtungen zu verlassen, die Ziele von Atomschlägen werden könnten, und zwar in allen Staaten, die das Kiewer Regime direkt unterstützen. Der Feind muss wissen: Wir sind bereit, einen Präventivschlag als Vergeltung für alle seine aktuellen und vergangenen Aggressionen zu führen, um ein Abgleiten in einen globalen thermonuklearen Krieg zu verhindern.
Ich habe schon oft gesagt und geschrieben, dass mit der richtigen Abschreckungsstrategie und selbst nach Einsatz einer Atomwaffe das Risiko eines „Vergeltungsschlages“ auf unser Territorium, sei es nuklear oder konventionell, auf ein Minimum reduziert werden kann. Nur mit einem sein eigenes Land hassenden Wahnsinngen an der Spitze des Weißen Hauses würden die USA zur „Verteidigung“ der Europäer zuschlagen und den Preis der Vergeltung zahlen, indem sie beispielsweise Boston für Posen opfern.
Sowohl die USA als auch Europa sind sich dessen wohl bewusst, ziehen es aber vor, nicht darüber nachzudenken. Doch auch wir haben durch unsere friedliebenden Erklärungen zu dieser Gedankenlosigkeit beigetragen. Da ich die Geschichte der US-Atomstrategie studiert habe, weiß ich, dass Washington, nachdem die UdSSR eine glaubwürdige nukleare Vergeltungsfähigkeit erlangt hatte, den Einsatz von Atomwaffen gegen das sowjetische Territorium nicht ernsthaft in Erwägung zog, obwohl die US-Eliten öffentlich stets blufften. Der Einsatz von Atomwaffen wurde lediglich gegen die „vorrückenden“ sowjetischen Streitkräfte in Westeuropa in Erwägung gezogen. Ich weiß, dass die deutschen Bundeskanzler Kohl und Schmidt die Bunkeranlagen verließen, sobald die Frage eines solchen Einsatzes im Zuge von Übungen aufkam.
Die Eskalationsleiter ist relativ schnell zu erklimmen. Angesichts der Entwicklungen im Westen und der Verkommenheit der meisten seiner Eliten fällt jeder ihrer Appelle inkompetenter und ideologisch engstirniger aus als der vorherige. Und bislang können wir nicht erwarten, dass diese Eliten durch verantwortungsvollere und vernünftigere Gegeneliten ersetzt werden. Dies wird erst nach einer Katharsis geschehen – der Aufgabe aller westlichen Ambitionen.
Das „ukrainische Szenario“ darf sich nicht wiederholen. Ein Vierteljahrhundert lang haben wir nicht auf diejenigen gehört, die davor gewarnt haben, dass die Nato-Erweiterung zu einem Krieg führen würde; wir haben versucht, das Unausweichliche zu verzögern, „nachzuverhandeln“. Und das Ergebnis ist ein schwerer bewaffneter Konflikt. In Zukunft wird der Preis für Unentschlossenheit deutlich höher ausfallen.
Doch was passiert, wenn der Westen nicht nachgibt? Wenn der Westen seinen Selbsterhaltungssinn vollständig verloren hat? Dann müssen wir eine Reihe von Zielen in einer Reihe von Ländern angreifen, um diejenigen, die ihren Verstand verloren haben, zur Vernunft zu bringen. Das ist eine moralisch beängstigende Entscheidung – wir setzen die Waffen Gottes ein und verurteilen uns damit selbst zum schwerwiegenden moralischen Leid. Doch wenn wir diesen Schritt nicht wagen, wird nicht nur Russland untergehen, sondern höchstwahrscheinlich die gesamte menschliche Zivilisation.
Wir werden diese Entscheidung treffen müssen. Selbst Freunde und Sympathisanten werden sie anfangs nicht unterstützen. Wäre ich Chinese, würde ich kein abruptes und entscheidendes Ende des Konflikts wollen, denn dieses ermöglicht den USA für den Konflikt mit China Kräfte freizubekommen und gewährt der Volksrepublik China weniger Zeit, um die eigenen Kräfte für eine Entscheidungsschlacht zu bündeln.
Unabhängig davon, ob es sich um eine direkte Auseinandersetzung handeln wird oder, ganz im Sinne von Sunzi, Peking den Versuch unternimmt, den Feind kampflos zum Rückzug zu zwingen. Ich würde mich jedenfalls gegen den Einsatz von Atomwaffen aussprechen, denn das Anheben der Konfrontation auf die nukleare Ebene würde bedeuten, dass mein Land (China) ein Kampf droht, für den es noch zu schwach ist.
Abgesehen davon, würde ein derart entschlossenes Vorgehen nicht der Philosophie der chinesischen Außenpolitik entsprechen, die den Schwerpunkt auf wirtschaftliche Faktoren legt (unter gleichzeitigem Aufbau der militärischen Macht) und direkte Konfrontationen scheut. Ich würde meinen Verbündeten unterstützen, indem ich ihm Rückendeckung gewähre, doch würde ich hinter seinem Rücken agieren und mich nicht in die Auseinandersetzungen einmischen.
(Vielleicht verstehe ich diese Philosophie aber auch nicht gut genug und schreibe den chinesischen Freunden Motive zu, die ihnen nicht zu eigen sind). Falls Russland Atomwaffen einsetzen würde, würde der Chinese dies verurteilen. Aber er würde sich auch im Herzen darüber freuen, dass dem Ansehen und der Position der Vereinigten Staaten ein schwerer Schlag versetzt worden ist.
Wie würden wir reagieren, wenn (Gott bewahre!) Pakistan Indien atomar angreifen würde oder umgekehrt? Entsetzt. Wir wären traurig, dass das nukleare Tabu gebrochen worden ist. Und uns dann damit beschäftigen, den Opfern zu helfen und unsere Nukleardoktrin entsprechend anzupassen.
Für Indien und andere Länder der Weltmehrheitsbevölkerung, einschließlich der Atomwaffenstaaten (Pakistan, Israel), ist der Einsatz von Atomwaffen sowohl aus moralischen als auch aus geostrategischen Gründen inakzeptabel. Ein „erfolgreicher“ Einsatz würde das nukleare Tabu entwerten – die Vorstellung, dass solche Waffen niemals eingesetzt werden sollten, und dass ihr Einsatz ein direkter Weg zum nuklearen Armageddon ist. Wir können kaum mit einer schnellen Unterstützung rechnen, auch wenn viele im „globalen Süden“ mit der Niederlage ihrer ehemaligen Unterdrücker, die geplündert, Völkermorde begangen und ihnen eine fremde Kultur aufgezwungen haben, zufrieden wären.
Aber letztendlich wird über die Sieger nicht gerichtet. Und den Rettern wird gedankt. Die europäische politische Kultur erinnert sich nicht an das Gute. Aber der Rest der Welt erinnert sich mit Dankbarkeit daran, wie wir den Chinesen geholfen haben, sich von der brutalen japanischen Besatzung zu befreien und die Kolonien dabei unterstützten, das koloniale Joch abzuwerfen.
Auch wenn unser Handeln zu Beginn nicht verstanden wird, wird es uns doch zusätzliche Anreize liefern, uns zu vervollkommnen. Dennoch ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass wir gewinnen, den Feind ohne extreme Maßnahmen beruhigen und ihn zum Rückzug zwingen können. Und nach einigen Jahren werden wir China den Rücken stärken, so wie Peking uns aktuell den Rücken stärkt, und China in seinem Kampf gegen die USA unterstützen. Dann kann dieser kommende Kampf ohne einen großen Krieg auskommen. Und wir werden gemeinsam gewinnen, zum Wohle aller, auch der Menschen in den westlichen Staaten.
Und dann werden Russland und die Menschheit durch Dornengestrüpp und alle Traumata hindurch in eine Zukunft gehen, die ich als strahlend sehe – multipolar, multikulturell, bunt. Eine Zukunft, die allen Staaten und Völkern die Chance eröffnet, ihr eigenes wie auch das gemeinsame Schicksal zu gestalten.
*** Ende des Textes von Sergej Karaganow***
Der ewige Untergang des Abendlandes (von Alexander Dubowy)
Die extrem provokanten Thesen sowie die graphomanische Manier des einst wichtigen Kremlstrategen sollen aber keinesfalls darüber hinwegtäuschen, dass Karaganows Worte sich seit gut einem Jahrzehnt um lediglich drei – mehr auf Wunschannahmen als auf Tatsachen gründenden – Gedanken kreisen:
- Untergang des Westens: Die Überzeugung von baldiger – wenn auch teilweiser – Entkoppelung der USA von Europa und der Schwächung transatlantischer Banden, einer faktischen (wenn möglicherweise auch nicht rechtlichen) Desintegration der EU und der Nato sowie der zwingenden Annäherung Europas (jedenfalls von Teilen Zentral- und Südeuropas) an Russland.
- Krieg um die Deutungshoheit über die Weltordnung: Der Traum von einem Groß-Eurasien vom Pazifik bis zum Atlantik mit Russland als dem zentralen verbindenden Element dieser geoökonomischen und geopolitische Struktur.
- Atomwaffen als ein Geschenk Gottes: Diese Überzeugung vertritt Sergej Karaganow ausdrücklich seit spätestens 2017. Jedoch hat Karaganow bereits im Jahr 2004 die Ansicht vertreten, dass Atomwaffen eine „zivilisierende Wirkung auf die Eliten der Länder haben, die jene besitzen“.
Das von Karaganow in die russischen außen- und sicherheitspolitischen Diskussionen eingebrachter Begriff von Groß-Eurasien bietet bei näherer Betrachtung nur wenig konkrete Inhalte. Pikanterweise hat der – in den 1990er und frühen 2000er Jahren für seine erklärt prowestlichen und proamerikanischen Sichtweisen – bekannte Politpublizist noch vor knapp einem Jahrzehnt die Idee eines Groß-Europas unter Einbeziehung Russlands mit ähnlicher Inbrunst verteidigt, wie den Traum eines Groß-Eurasiens heute. Freilich kann der Letztere im Wesentlichen als eine Erweiterung der ursprünglichen Idee Karaganows betrachtet werden.
Als Rechtfertigung seiner Abkehr von den prowestlichen Überzeugungen diente Karaganow die Mär vom postmodernen, jedwede traditionelle Werte verschmähenden Westen und dem familienfreundlichen und hochreligiösen Russland als seinem ewigen Kontrahenten. Dass die emotionslose, der Lügen nicht zu überführende Statistik ein anderes Russland – fern der traditionellen Wertvorstellungen lebendes, identitätsverwirrtes, turbokapitalistisches und bis in die kleinsten Gesellschaftsstrukturen hochgradig individualistisches Land – zeichnet, lässt Karaganow bei seinen Erklärungsversuchen naheliegenderweise außen vor.
Russlands Angst vorm Zerfall
Seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine nimmt auch das Thema des potentiellen Zerfalls Russlands einen wichtigen Platz in Karaganows Gedankenwelt ein. In seinen Artikeln und Interviews schätzt Karaganow kurz- bis mittelfristig die Gefahr des Zerfallsprozesses der Russischen Föderation infolge eines langwierigen Konflikts in der Ukraine und gegen den Westen als hoch ein.
Eingeständnis der Ausweglosigkeit und eine große Prise Weltschmerz
Den Worten Karaganows sollte mit größter Vorsicht begegnet werden. Denn ein Haus- und Hofpolitikberater und unbestrittener Einflüsterer der Mächtigen ist er nicht mehr. Doch auch wenn seine tatsächlichen Einflussmöglichkeiten auf die politische Entscheidungsfindung schon lange enden wollend geworden sind, bleibt er der russischen Propagandamaschinerie als namhafter (Fernseh-)Politologe erhalten.
Auch hat Karaganow viele einflussreiche Gefolgsleute aus seinen Kaderschmieden hervorgebracht. Beinahe die gesamte russische staatsnahe akademische Elite im Bereich der internationalen Beziehungen entstammt der Karaganow’schen Schule.
Schließlich offenbaren Karaganows Artikel und Interviews, die sich aus dem amorphen Selbstbild des heutigen Russlands speisende Sehnsucht russischer Eliten nach einem grandiosen, jedes Fehlverhalten rechtfertigenden Sendungsgedanken – einer die eigene Existenz erklärenden und rechtfertigenden Ideologie – einer globalen Mission für Russland. In dieser Sehnsucht erklingt unüberhörbar das Echo des Phantomschmerzes nach dem verlorenen Paradies der utopisch-kommunistischen Weltumbauidee; nicht des Kommunismus selbst wohlgemerkt.
Der aus den echten wie auch imaginären Unzulänglichkeiten der modernen Welt erwachsende Weltschmerz der intellektuellen politischen Klasse Russlands wird durch das zunehmende Eingeständnis der Ausweglosigkeit enorm verstärkt. Denn ein gesichtswahrendes Ausstiegsszenario aus dem sinnlos-brutalen Angriffskriegs gegen die Ukraine oder gar eine Aussöhnung mit der Ukraine und dem Westen sind für viele Jahrzehnte kaum vorstellbar geworden.
Im Übrigen vertritt laut der jüngsten Umfrage vom 15. Juni 2023 des renommierten regierungskritischen Meinungsforschungsinstitutes Levada-Zentrum eine überwältigende Mehrheit von 86 Prozent der Befragten – letztlich unabhängig von ihrer Einstellung gegenüber dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine – die Meinung, dass Atomwaffen unter keinen Umständen eingesetzt werden dürfen. Lediglich 10 Prozent der Befragten sind unter Umständen mit einem derartigen Einsatz einverstanden.
Und nein, die Wahrscheinlichkeit eines Atomwaffeneinsatzes ist durch die jüngsten Äußerungen Sergej Karaganows keinesfalls gestiegen. Doch darüber wurde bereits an einer anderen Stelle ausführlich geschrieben. Alexander Dubowy















