Drei Jahre lang haben Sinem Tasan-Funke und Peter Maaß die Berliner Jusos, die Jugendorganisation der hauptstädtischen SPD, geführt und dabei die etablierte Parteispitze gehörig genervt. Jetzt hören die beiden auf – ein Jahr vor dem regulären Wahltermin. Im September wollen sie auf der Juso-Landeskonferenz ihre Ämter an zwei Nachfolger übergeben. Warum?
Tasan-Funke erklärt den Schritt damit, dass die Arbeit nicht nur spannend und bereichernd, sondern eben auch herausfordernd und kräftezehrend sei. Auf Twitter beschreibt es die 31-Jährige, die hauptberuflich als Referentin in einem Bundesministerium arbeitet, so: „Als Menschen mit Berufen abseits der Politik hat uns das regelmäßig an unsere persönlichen Grenzen gebracht. Wir brauchen eine Pause von dieser Intensität, und die Jusos neue Impulse.“ Der Vollständigkeit halber: Ihr bisheriger Co-Vorsitzender Peter Maaß, 30, aufgewachsen in der brandenburgischen Kleinstadt Lindow nördlich von Berlin, ist Lehrer an einem Berliner Gymnasium.
Mussten „auf so vielen Hochzeiten tanzen“
Im Gespräch mit der Berliner Zeitung beschreibt Sinem Tasan-Funke den Entschluss als das Ergebnis einer eingehenden Selbstbefragung. „Wir reden so viel darüber, wann die eigenen Grenzen erreicht sind. Für uns lautet die Antwort: Jetzt!“ Zusammen mit Maaß habe sie „in den vergangenen Jahren so viele Kampagnen machen, auf so vielen Hochzeiten tanzen müssen“, dass sie jetzt eine Pause brauchen.
Die wohl lauteste und stärkste Kampagne war die gegen die Bildung eines schwarz-roten Senats nach der desaströs verlaufenen Wiederholungswahl im Februar. Die Jusos spannten sich an die Spitze der Partei-Linken, die für ein „Weiter so“ in einer rot-grün-roten Koalition eintraten. Und das, obwohl die SPD einmal mehr Hauptverliererin der Wahl wurde und nur noch eine Winzigkeit vor den Grünen lag. Aber vorne sei vorne. Dabei hätte man offenbar sogar in Kauf genommen, dass die bei vielen SPD-Linken unbeliebte Franziska Giffey Regierungschefin geblieben wäre. Aber alles sei besser, als die CDU an die Regierung zu hieven, sagten viele.
Die Parteimitglieder sahen es bekanntlich anders und stimmten mehrheitlich für den Wechsel zur CDU – obwohl dies nach 22 Jahren den Auszug aus dem Roten Rathaus bedeutete. Am Ende folgten 54 Prozent dem Weg der Parteispitze als Juniorpartnerin in eine große Koalition.
Tasan-Funke und Maaß haben mit der Groko lange gehadert
Es hat eine Weile gedauert, bis Jusos und Partei-Linke die Niederlage akzeptierten. Noch bei der Wahl Kai Wegners zum Regierenden Bürgermeister im Berliner Abgeordnetenhaus ließ mancher seine Muskeln spielen. Wegner brauchte drei Wahlgänge, ehe er die erforderliche Mehrheit holte. Einem weiteren Abstimmungsdurchgang hätte sich der klare Wahlsieger vom 12. Februar wahrscheinlich nicht gestellt. Es war also sehr knapp.
Sinem Tasan-Funke und Peter Maaß waren an Wegners Fast-Desaster nicht beteiligt, beide sitzen nicht im Berliner Parlament. Dennoch hatten auch sie lange daran zu knabbern, die Abstimmung über die große Koalition verloren zu haben – und dann auch noch so knapp. „Wenn es so knapp ist, will man natürlich auch gewinnen“, sagt Tasan-Funke. „Und gemessen an dem, was wir erwarten konnten und was auch die Parteispitze erwartet hat, war es ein gutes Ergebnis. Wir werten das als Auszeichnung für unsere Arbeit.“
Zukunft der Jusos ist offen
Was bedeutet das vorzeitige Aus möglicherweise für die Berliner SPD? Werden die Jusos jetzt zahm? Das ist nun nicht zu erwarten, aber wer die Nachwuchsorganisation künftig wohin lenken wird, ist noch offen.
Aber selbst Juso-Kritiker wie Kai Kottenstede, Leiter des Leitungsstabes von Innensenatorin Iris Spranger (SPD) und Initiator eines Yes-Groko-Bündnisses, ist sich nicht sicher, was der vorzeitige Wechsel an der Spitze bedeuten wird. Im Gespräch mit der Berliner Zeitung zollt er dem scheidenden Duo Respekt. „Es war ein harter, aber respektvoller Austausch“, sagt Kottenstede. „Und dieser Umgang miteinander wird sicher auch künftig ein Thema bleiben“, sagt er.
Da klingt noch einmal durch, wie grundsätzlich, massiv und nicht selten auch verletzend inhaltliche Auseinandersetzungen in der Partei geführt werden. Insbesondere Franziska Giffey, im Berliner SPD-Kanon rechts gelesen, weiß, wovon die Rede ist.
Doch wie geht es jetzt weiter für die Ex-Jusospitze? „Ich kann mir vorstellen, dass ich wieder Verantwortung für die SPD Berlin übernehmen werde, aber die Frage stellt sich im Moment nicht“, sagt Tasan-Funke.
Mit der zweiten Aussage hat die 31-Jährige zweifelsohne recht. Allzu lange wird dieser Schwebezustand aber wohl nicht andauern. Schon jetzt blickt die Berliner SPD voller Spannung auf den nächsten ordentlichen Parteitag, der im kommenden Frühjahr ansteht. Dann wird turnusgemäß der Vorstand neu gewählt. Und da werden wohl Köpfe rollen.
Das Ende der Ära Franziska Giffey/Raed Saleh
Grund dafür ist ein Beschluss des Parteitags vor zwei Monaten, wonach es im geschäftsführenden Landesvorstand, dem Machtkern der Berliner SPD, keine Mehrheit von Regierungspolitikern geben darf. In letzter Konsequenz ist dies das Ende der Ära Franziska Giffey/Raed Saleh. Wollten beide noch einmal antreten, müssten sie sich einen jeweils anderen Partner an ihre Seite holen.
Doch welches Duo wäre dann wohl das stärkere? Das mit der Wirtschaftssenatorin plus X oder das mit dem langjährigen Fraktionsvorsitzenden plus X? Stand jetzt spricht vieles für Raed Saleh. Er kennt alle und jeden in der Partei. Viele Abgeordnete stehen loyal zu ihm, weil sie ihm ihren Posten verdanken. Nicht zuletzt hat es Saleh in diesem Frühjahr geschafft, eine Mehrheit für Schwarz-Rot zu organisieren.
Franziska Giffey hätte vermutlich nur noch dann eine Chance, wenn sie eine Urwahl durch die Mitglieder herbeiführen könnte. Unter den Parteitagsdelegierten dürfte die ehemalige Neuköllner Bürgermeisterin, ehemalige Bundesfamilienministerin und ehemalige Regierende Bürgermeisterin wohl keine Gnade finden. Ihr ist es in den mittlerweile dreieinhalb Jahren an der Spitze der Berliner SPD nie gelungen, eigene Mehrheiten, jenseits von Raed Saleh, zu organisieren.
Tasan-Funke: „Ich würde nichts ausschließen“
Doch wer übernimmt stattdessen welche Position? Viele in der Partei trauen Sinem Tasan-Funke künftig eine führende Rolle zu. Manche sehen sie schon an der Seite von Raed Saleh ganz vorne – und das, obwohl sie als Juso-Chefin auch Saleh stets heftig und öffentlich für den Schwenk hin zur CDU kritisierte. Und natürlich durfte sich auch Saleh angesprochen fühlen, als die Jusos nach dem wieder einmal historisch schlechtem Ergebnis bei der Wiederholungswahl „schonungslose Aufarbeitung“ forderten. Die Antwort auf die Frage, ob Saleh diese Aufarbeitung ausreichend und schonungslos genug geliefert hat, wird mitentscheidend sein.








