Die Debatte über den Präventivgewahrsam könnte zur ersten echten Belastungsprobe für die schwarz-rote Landesregierung werden. Grund ist ein Beschluss des SPD-Parteitags vom vergangenen Freitag. Darin sprechen sich die Genossen gegen eine pauschale Verlängerung der Maßnahme aus. Diese ist dafür gedacht, Menschen davon abzuhalten, eine schwerwiegende Ordnungswidrigkeit oder Straftat zu begehen oder fortzusetzen.
Das Thema ist brisant: Im Wahlkampf hatte die CDU auch wegen der Klimaproteste der Letzten Generation schärfere Regeln gefordert. Derzeit ist der Gewahrsam in Berlin auf maximal zwei Tage begrenzt. Im nun beschlossenen SPD-Antrag heißt es hingegen: „Der Rechtsstaat muss Meinungsäußerungen auch dann aushalten, wenn die Protestformen noch so stark am Nervenkostüm vieler nagen. Der polizeiliche Unterbindungsgewahrsam darf keinen Sanktionscharakter bekommen.“
Der Beschluss der SPD hatte in den vergangenen Tagen auch unter Sozialdemokraten für Unruhe gesorgt. Innensenatorin Iris Spranger (SPD) sah sich gezwungen, gegenüber dem Tagesspiegel zu betonen, dass sie am Koalitionsvertrag festhalten wolle. Darin hatte man sich mit der CDU auf eine knappe Formulierung geeinigt: „Wir schaffen die rechtlichen Voraussetzungen für einen bis zu fünftägigen Präventivgewahrsam“, heißt es im Abschnitt zum Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetz.
Das Konfliktpotenzial verbirgt sich hinter den „rechtlichen Voraussetzungen“. Diskutiert wird nun, bei welchen Delikten der maximale Präventivgewahrsam von fünf Tagen angewendet werden würde.
Dabei zeichnet sich ab, dass die SPD einen längeren Gewahrsam an bestimmte Tatbestände knüpfen will. Und geht es nach der Mehrheit der Sozialdemokraten, gehören dazu keine Straßenblockaden von Klimaaktivisten. Daran dürfte sich auch dann wenig ändern, sollte die Letzte Generation als kriminelle Vereinigung eingestuft werden. Berlins Justizsenatorin Felor Badenberg (parteilos, für CDU) will genau das prüfen lassen.
SPD-Innenexperte: Die Frage ist, wie wir uns mit der CDU verständigen
„In meinen Augen widersprechen sich der Parteitagsbeschluss und der Koalitionsvertrag nicht“, sagt der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Martin Matz, der Berliner Zeitung. Er verweist auf den Wortlaut im Koalitionsvertrag. Darauf, dass offen sei, für welche Straftaten und Ordnungswidrigkeiten was gelten werde. „Wir als SPD sprechen uns dafür aus, die maximale Dauer von fünf Tagen Gewahrsam an bestimmte schwerwiegende Tatbestände zu koppeln – also zum Beispiel an Terrorismus.“
Die CDU tickt da anders. Dort sieht man sich traditionell den Themen Ordnung und Sicherheit verpflichtet, und das nicht nur im Wahlkampf. Aktuell hat Berlin eine deutlich mildere Regelung als die meisten anderen Bundesländer. Dort ist der Gewahrsam zumeist auf eine Woche bis zehn Tage begrenzt. In Baden-Württemberg sind es zwei Wochen, in Bayern sogar zwei Monate.
„Wir sind gegen eine pauschale Verlängerung, die dann auch für die Klimaaktivisten der Letzten Generation gelten würde“, sagt Martin Matz. Bei allem berechtigten Unmut über Straßenblockaden dürfe der Präventivgewahrsam nicht zur Bestrafung angewendet werden. Im Umgang mit den Klimaaktivisten seien beschleunigte Verfahren ein besserer Ansatz. „Die Frage ist jetzt, wie wir uns mit der CDU in den weiteren Beratungen verständigen.“
Diesen Beratungen sieht Burkard Dregger, als innenpolitischer Sprecher der CDU das Pendant zu SPD-Mann Matz, nach eigener Aussage „ganz tiefenentspannt“ entgegen. Im Gespräch mit der Berliner Zeitung verweist er auf den Koalitionsvertrag. Natürlich werde es eine Debatte über den Gewahrsam geben, doch der Ort der Debatte sei das Parlament, so Dregger.
Berliner Jusos: Allgemeine Verschärfung wäre nicht hinnehmbar
Derweil lässt SPD-Innensenatorin Spranger keinen Zweifel daran, dass der Präventivgewahrsam verlängert werden sollte. Auf Nachfrage der Berliner Zeitung teilt die Senatsverwaltung für Inneres mit, dass die aktuell geltende Höchstdauer „in einigen Fällen nicht ausreichend“ erscheine, „um unmittelbar bevorstehende Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten von erheblicher Bedeutung wirksam zu verhindern“.
Das Innenressort führt als Beispiele mehrtägige gefährdete Veranstaltungen, häusliche Gewalt und Gewalt im Zusammenhang mit Sportereignissen an. Genannt wird ein einschlägig bekannter Hooligan, der zu einem Fußballspiel anreist. Wenn bei diesem „die Prognose“ vorliege, „dass er im Zusammenhang mit dem anstehenden Spiel Straftaten begehen wird“, müsste er nach jetziger Regelung „bereits am Folgetag entlassen werden, auch wenn das Spiel erst am darauffolgenden Tag stattfindet“.
Schon in einem solchen Fall könnte wohl kaum von Terrorismus die Rede sein. Für Unmut in der SPD wird aber vor allem eine weitere Aussage sorgen. So lässt Senatorin Spranger mitteilen: „Auch im Zusammenhang mit rechtswidrigen Protestaktionen der sogenannten Letzten Generation haben sich Fälle ergeben, in denen Anhaltspunkte dafür vorlagen, dass eine Straftat zwar nicht am nächsten Tag, aber in den unmittelbar folgenden Tagen begangen werden sollte.“
Zwar betont das Ressort, dass grundsätzlich ein Gericht entscheiden müsse, ob und wie lange ein Freiheitsentzug zulässig ist. Aber das gilt auch schon heute für den Präventivgewahrsam, und der soll laut SPD eben grundsätzlich nicht wegen der Aktionen der Letzten Generation eingesetzt werden.
Die Berliner SPD-Jugend jedenfalls dürfte die eigene Senatorin im Auge behalten. Nach Anfrage verweisen die Jusos auf den Parteitagsbeschluss, „der die Präventivhaft zur Vermeidung terroristischer Straftaten als letztes Mittel vorsieht“. Die Formulierung im Koalitionsvertrag wiederum sei sehr offen und böte Raum für eine allgemeine Verschärfung. Das wäre nicht hinnehmbar, heißt es.
„Dass Klimaaktivist:innen, die sich für Klimaschutzziele und unseren Planeten einsetzen, Zielscheibe eines solchen Instrumentes werden sollen, ist unangemessen“, meint die Parteijugend. „Dieser Beschluss wurde von der Partei getroffen und wir erwarten, dass unsere SPD-Senator:innen sich daran halten.“
Grüne kritisieren „populistische Forderungen“ aus dem Senat
In der Opposition stoßen die Regierungspläne schon jetzt auf Kritik. „Mit der geplanten Ausweitung der Präventivhaft schleift die schwarz-rote Koalition an den Grundpfeilern des Rechtsstaats“, sagt der innenpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Vasili Franco, der Berliner Zeitung. „Die Präventivhaft war als Maßnahme der Terrorismusbekämpfung vorgesehen und darf nicht beliebig auf unliebsame Protestformen ausgeweitet werden.“
Auch mit Blick auf die Aktionen der Letzten Generation meinen die Grünen, dass ein Freiheitsentzug keine legitime Antwort auf politischen Protest sei. Das gelte „auch dann, wenn er unbequem ist, nervt und zu mehr Stau auf Berliner Straßen führt“, sagt Franco über die Blockaden der Aktivisten.
An die Justiz- und Innensenatorinnen Badenberg und Spranger gerichtet kritisiert Franco: „Wer als Hüterin des Rechtsstaates lieber mit populistischen Forderungen hausieren geht, bringt weder die Sicherheit noch den Klimaschutz voran.“ Gemeinsam mit den Regierungspartnern SPD und Linke hatten die Grünen die Dauer des Gewahrsams im Jahr 2021 von vier Tagen auf 48 Stunden verkürzt.





