Dies ist kein Plädoyer für die Aktionen der Initiative Letzte Generation. Einen solchen Satz muss man in diesen Tagen wohl vorausschicken, wenn man in Bezug auf die Aktivitäten der Klimaaktivisten nicht missverstanden werden will. Auch sollen hier der Klimawandel und die Folgen nicht ausgeblendet werden. Die Stimmung beim Reden über die sogenannten Klima-Kleber ist inzwischen enorm aufgeheizt, und die Temperatur steigt weiter.
Das zumindest hat die Gruppe Letzte Generation also geschafft: Alle reden über sie. Nicht nur das. Nach der bundesweiten Razzia am Mittwochmorgen in Wohnungen der Aktivisten steht ihnen der Staat tatsächlich konfrontativ gegenüber. Polizisten mit Waffen gegen Aktivisten, die friedlich auf der Straße sitzen. Jetzt gibt es ein Bild, das genau dieses Bild erzeugt. Außerdem können die Aktivisten jetzt immer behaupten, sie hätten auch die Justiz des Staates gegen sich.
Die Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus (ZET) bei der Generalstaatsanwaltschaft in München trägt hierfür die Verantwortung. Sie geht dem Tatvorwurf nach, dass sieben Beschuldigte im Alter von 22 bis 38 Jahren eine kriminelle Vereinigung im Sinne des Paragrafen 129 StGB gebildet und unterstützt haben sollen. Darüber hinaus lässt die neue Berliner Justizsenatorin Felor Badenberg (parteilos) prüfen, ob es sich bei der Klimagruppe um eine kriminelle Vereinigung handele. Im Grunde muss sich jetzt jeder weitere Unterstützer der Gruppierung fragen, ob er sich dem Staat gegenüber das überhaupt herausnehmen kann, ob man sich nicht selbst schon verdächtig macht.
Am Mittwochmittag ließ sich dann bereits besichtigen, wie sich die hier erfolgte staatliche Eskalation nun wiederum auf das Auftreten der Aktivisten auswirken wird. Damit wären wir bei einer weiteren Erregungssteigerung: Die ohnehin anberaumte Pressekonferenz wurde zu einem Märtyrerdrama. Eine ältere Frau mit mittellangem Haar trug auf dem Podium mit starrer Miene und tonloser Stimme vor, gegen welch „todbringende Gefahr“ sich die Gruppe zur Wehr setze. Wie sie versuche, die Gesellschaft zusammenzubringen, während der Kanzler „die Zukunft vernichte“.
Die Ereignisse des Tages hätten „Wunden geschlagen“, hieß es weiter, „Wunden in der Psyche der Menschen, die gestern mit vorgehaltener Waffe aus dem Bett geholt wurden und sich nun in ihren vier Wänden nicht mehr sicher fühlen.“ Sie haben das Vertrauen in einen Staat verloren, „der friedliche Protestierende wie Schwerverbrecher behandelt“. So wurde der Text später über einen Mailverteiler verschickt.
Am Anfang Hungerstreik
Das Märtyrerhafte, das Aufopferungsvolle umgibt die Letzte Generation von Anfang an. Die ersten Mitglieder machten vor zwei Jahren mit einem Hungerstreik vor dem Kanzleramt auf sich aufmerksam. Das Verweigern der Nahrungsaufnahme ist darauf angelegt, selbst Schaden zu nehmen, sogar zu sterben. Dagegen war das Kleben auf den Straßen bisher eine vergleichsweise harmlose Protestform.
Die Vergangenheitsform ist hier nötig, denn man weiß nicht, wie es auf den Straßen weitergehen wird. Bei Autofahrern, die wegen des Protests im Stau stehen, eskaliert gerade ebenfalls die Stimmung: Manche verlieren die Nerven und schlagen Aktivisten oder spritzen ihnen Wasser ins Gesicht. Man fragt sich, wie die Mitglieder der Letzten Generation nach solchen Vorfällen ihre Angst überwinden, sich trotzdem auf die Straße zu setzen.
Ist ihr Märtyrertum bloß Show oder stürzen sich demnächst Menschen von Autobahnbrücken oder entzünden sich im Stil der Arabischen Revolution selbst, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen? Der Extremismusforscher Matthias Quent sieht durchaus die Gefahr, dass das vehemente Vorgehen der Ermittler zu einer Radikalisierung Einzelner führen könnte.
Und wie weit wird der Staat gehen? Sollen Umweltaktivisten tatsächlich mit dem Paragrafen für Verbrecherorganisationen für Jahre eingesperrt werden? Auf ihrer Pressekonferenz kündigte eine Vertreterin der Gruppe an, dass es auf jeden Fall weitergehen werde mit dem Protest. Man sei stärker als je zuvor.
Es habe nach der Razzia vom Mittwoch eine Welle der Unterstützung gegeben und die Zahl der Teilnehmer auf Protestmärschen habe sich vervierfacht. Noch sind die Zahlen mit jeweils ein paar Hundert Teilnehmern recht niedrig. Doch wer wissen will, wie hartes Vorgehen der Behörden eine Eskalation erst angefacht hat, muss sich mit dem 1. Mai beschäftigen: Das Schwierige ist dann, einen Ausweg aus dieser Gewaltspirale zu finden.




