Heute gibt es kein rotes Thüringen mehr (…), die Leute dort wollen Nationalismus und Sozialismus“, so sprach 1932 Fritz Sauckel, ungelernter Postbediensteter aus Unterfranken. Seine Partei, die NSDAP, hatte am 31. Juli 1932 bei der Landtagswahl in Thüringen mit 42,5 Prozent gewonnen. So wurde Sauckel zum Regierungschef des Landes Thüringen. Die Machtübernahme dort nahm die in Deutschland vorweg.
Die Alternative für Deutschland 2023 ist nicht die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei von vor 90 Jahren und die Bundesrepublik ist nicht die Weimarer Republik, aber der historische Vorlauf darf nicht unerwähnt bleiben, nachdem mit dem Rechtsanwalt Robert Sesselmann, gebürtiger Sonneberger, der erste Landrat Deutschlands von der AfD gewählt wurde – mit 52,8 Prozent. Die anderen Parteien sehen nun mit Bangen auf die nächsten Landtagswahlen – in Thüringen, Brandenburg und Sachsen. Gut möglich, dass die Völkischen stärkste Kraft werden. Dass sie Regierungsmehrheiten gegen die Koalitionen der anderen bilden können, ist unwahrscheinlich.
Aber das dauerhafte Ausschließen der größten Wählergruppe ist keine Lösung – beziehungsweise eine, die das Vertrauen in die Demokratie erstickt. Die Parteien werden sich etwas einfallen lassen müssen – keinesfalls können sie den Willen einer wachsenden Zahl Unzufriedener weiterhin derart arrogant ignorieren, wie sie das bisher tun.
Politische Entscheidungen, zumal solche von riesigen Dimensionen, wie sie jetzt angesichts von Klimawandel, Krieg und Verschiebung globaler Kräfteverhältnisse anstehen, brauchen echte Mehrheiten, nicht bloß rechnerische. Davon kann im Moment nicht die Rede sein – die rot-grün-gelbe Regierung bringt ja schon innerhalb ihres Ampel-Verbundes eher ein Nebeneinander von Minderheitenpositionen als ein gemeinsames Vorgehen zustande.
Mit dem Verweis auf die soziale Frage ist das Wahlergebnis von Sonneberg nicht zu erklären. Die Arbeitslosigkeit im Landkreis liegt mit 5,1 Prozent niedriger als in Thüringen (5,8) und im Bund (5,5). Es handelt sich auch nicht um eine Klassenfrage unten gegen oben. Der AfD wünschten im Wahlkampf die Postbotin wie der Unternehmer Glück. Einer Erklärung kommt man näher, wenn man sich die Wahlslogans der AfD zu Gemüte führt: „Sprit teurer, Strom teurer, Gas teurer, Essen teurer – nur die Ausreden werden immer billiger“, „Diplomatie statt Waffen“, „Deutschland, aber friedlich“ etc.
Es geht um den Bäcker, der wegen der Energiekosten pleitegeht, um eine Entschuldigung für überzogene Corona-Maßnahmen, um die Unterbringung von Flüchtlingen, um Russland. Das alles sind reale Fragen. Der Slogan „Der Osten steht auf“ klingt wie eine Drohung, tatsächlich weist die AfD beharrlich auf „die große unterrepräsentierte Bevölkerungsgruppe“ hin und trifft den Nerv. So war es schon, als sie in Brandenburg den Spruch „Vollende die Wende“ plakatierte. Statt die Diskriminierung Ost abzubauen, beließ man es bei Hohn.
Nicht die Themen der AfD übernehmen? Falsch!
Seit es die AfD gibt, wiederholen die anderen Parteien, man solle nicht die Themen der Rechten übernehmen. Das ist Unsinn. Vielmehr ist es andersrum: Man muss sie der AfD wegnehmen. Die Sorgen der Menschen waren zuerst da, sie marodieren unbetreut auf der Straße und unter deutschen Dächern. Die AfD hat es verstanden, die Interessen, Emotionen und Befürchtungen der Menschen aufzugreifen und in griffigen Thesen auf rechts zu drehen. „Wir stehen an Deiner Seite“, plakatierte die AfD.
Die „Guten“ hingegen machen sich lustig über die Proteste gegen „Gender-Gaga“, weil es ja Wichtigeres gebe. Richtig: Klimawandel ist wichtiger, gute Schulen sind es, Wohnungen, Gesundheit – aber wer hat denn den irrwitzigen Kampfplatz geschaffen? Jedenfalls wirkt er wie für die AfD hergerichtet. Zum Verzweifeln sind nicht die vielen Probleme, die die gegenwärtige Situation des Mehrfachumbruchs hervorbringen, sondern dass sie zu AfD-Themen werden konnten.
Ehrlich machen. Ernsthaft
Die klare Mehrheit der Sonneberger Wähler hat Protest gewählt – gegen Missachtung. Ein ländliches, konservatives, familiär gestimmtes, heimat- und traditionsverbundenes Wahlvolk fühlt sich von der auf ein urbanes, libertäres, teilweise luxurierendes Publikum gerichteten Politik vor den Kopf gestoßen. Es wehrt sich mit den Mitteln, die es als Volk zur Verfügung hat: Der Souverän wählt.
Man kann den Parteien nur raten: Macht Euch ehrlich. Schluss mit den Kulturkämpfen. Sonneberg liefert keinen Grund zur Panik, aber für eine neue Ernsthaftigkeit.








