Kommentar

Das Ungeheuer der Ohnmächtigen: Wie die übrigen Parteien die AfD stärken

Die Wähler der AfD wissen, wie sehr sie Medien und die politische Konkurrenz erschrecken. Leider verschafft man sich so in Berlin Gehör. Eine Analyse.

Am Sonntag wird in Sonneberg ein neuer Landrat gewählt. In der ersten Rune hatte der AfD-Bewerber über 47 Prozent der Stimmen erhalten.
Am Sonntag wird in Sonneberg ein neuer Landrat gewählt. In der ersten Rune hatte der AfD-Bewerber über 47 Prozent der Stimmen erhalten.dpa

Wer die AfD wählt, spürt, wie er Macht ausübt. Nichts entrüstet und besorgt die anderen Parteien und die Presse so sehr wie hohe Wahl- und Umfrageergebnisse der Rechten. Ein Aufschrei geht bei jedem neuen Rekord durchs Land. Wer mit der Politik der Ampel und der sonstigen Opposition grundlegend unzufrieden ist, kann ihnen an der Wahlurne oder beim Anruf eines Umfrageinstituts nur so einen echten Denkzettel verpassen. Eine Stimme für die Union oder die Linken empört niemanden. Wer aus dem südthüringischen Sonneberg dem politischen Berlin Schmerz zufügen will, kreuzt bei der Alternative für Deutschland an. Die AfD ist ein Monstrum der Ohnmächtigen – zumindest derer, die sich so fühlen.

Aber auch die politischen Gegner haben die Partei zu einer Art Frankensteinmonster gemacht. Die Dämonisierung der AfD, bei deren Beschreibung und Bekämpfung nonchalant mit den schwersten Vorwürfen um sich geschmissen wird (Faschisten, Machtergreifung, Menschsein verwirkt), trägt erheblich zu ihrer Kraft bei. Wie glaubwürdig ist es, der AfD, die einerseits als Gurkentruppe dargestellt wird, andererseits den Sturz der Demokratie in Deutschland zuzutrauen?

Wer von Brandmauern spricht, suggeriert eine Feuersbrunst

Wer im politischen Kampf gegen die Partei einen Begriff wie Brandmauer benutzt, suggeriert, ein Feuer würde die Menschen diesseits der Mauer verschlingen, sollte sie auch nur zu bröckeln beginnen. Doch wer sich etwas genauer durch die Lokalpresse liest, weiß, dass es eine umfassende Mauer gegen die Feuersbrunst von rechts schon längst nicht mehr überall gibt. Das zeigt sich an der Zusammenarbeit von CDU, SPD, Grünen, FDP und Linken mit der AfD auf kommunaler Ebene andauernd. 

Die Wähler selbst wissen ohnehin, dass mit dem Sieg der AfD bei, sagen wir, einer Landratswahl in Sonneberg, nicht das Vierte Reich entsteht. Das wollen die meisten auch gar nicht.

In ganz Europa gibt es Rechtspopulisten, oft regieren sie

Die Existenz einer rechtspopulistischen Partei ist im internationalen und europäischen Vergleich mittlerweile die Regel. In Schweden regieren die Schwedendemokraten mit. Die Wahren Finnen sorgten dieses Jahr mit dem besten Wahlergebnis ihrer Geschichte dafür, dass die außerhalb Finnlands so beliebte Premierministerin Sanna Marin abtreten musste. In Italien regiert die Postfaschistin Meloni, in Spanien rief Ministerpräsident Sanchez nach dem starken Abschneiden der Rechtspopulisten von Vox unlängst Neuwahlen aus. In Osteuropa führen rechte Parteien Regierungen schon lange an. Und doch ist in all diesen Ländern bisher noch nicht der Faschismus ausgebrochen, die Demokratie abgeschafft, das Abendland untergegangen.

Deutschland ist von dieser Entwicklung bisher verschont geblieben. Doch das hat seinen Preis. Außerhalb jeder Koalitionsoption – für die viele Kompromisse gemacht werden müssten, wie sich am Beispiel der Ampel zeigt –, erhebt die AfD wahnwitzige Maximalforderungen wie den Austritt Deutschlands aus der Europäischen Union. An der Realität muss sich die Partei nie messen.

Früher konnte man sich ins Private zurückziehen, das ist vorbei

Aber vielleicht endet das Auftrumpfen von einem Fünftel der Bürger, die sich derzeit vorstellen können, die AfD zu wählen, ja auch einfach wieder. Im September 2018 zog die AfD mit 18 Prozent in den Umfragen erstmals an der SPD vorbei. Auch vor viereinhalb Jahren ging ein Sturm des Entsetzens und der Sorge durch die Medien- und Parteienlandschaft. Doch dann sanken die Werte wieder. Doch was diesmal dagegen spricht, ist die verschlossene Rückzugsvariante.

Wenn Menschen der politischen Mitte mit den Entwicklungen im Land unzufrieden sind, blieb ihnen in Deutschland bisher immer noch der Rückzug ins Private. Man konnte sich dem kuscheligen Eigenheim, den Kindern, den zwei Autos in der Garage und den drei Urlauben im Jahr zuwenden. Das geht 2023 nicht mehr. Das Eigenheim droht durch Wärmewende, Inflation und Zinssteigerungen unbezahlbar zu werden. Das Auto und der Urlaub stehen im Zentrum der Kritik an einer fossilen Lebensweise und für die Kinder finden sich in überfüllten Klassen keine Lehrer mehr. Wer überall auf politische Fehler stößt, wird zwangsläufig politisch.

Bisher ist das Alternative Frankensteinmonster für Deutschland immer wieder verschwunden, nachdem es gerufen worden war. Aber irgendwann wird es bleiben und wir werden es zähmen müssen.