Vor einer Woche verpasste es die AfD in Schwerin, erstmals einen Bürgermeister in einer deutschen Landeshauptstadt zu stellen. In Thüringen hat die rechte Partei am Sonntag die Chance genutzt, bei einer Stichwahl ein Novum in Deutschland zu schaffen. Die 48.000 Stimmberechtigten wählten erstmals einen AfD-Politiker zum Landrat. Im Kreis Sonneberg hatte AfD-Kandidat Robert Sesselmann den amtierenden CDU-Landrat Jürgen Köpper herausgefordert.
Wie die Wahlleitung am frühen Abend mitteilte, kommt Sesselmann auf 52,8 Prozent und erhielt damit die nötige absolute Mehrheit. Köpper, der auch von der Linken, der SPD, den Grünen und der FDP unterstützt wurde, unterlag demnach mit 47,2 Prozent. Die Wahlbeteiligung lag nach Angaben des Statistischen Landesamtes nach dem aktuellen Auszählungsstand bei 58,2 Prozent. Es gab dabei 355 ungültige Stimmen.
Sesselmann sieht die AfD „auf dem Weg zur Volkspartei“. Das Ergebnis löste zum Teil Bestürzung aus.
Das Ergebnis in #Sonneberg bestürzt mich. Danke an alle, die weiterhin dafür kämpfen, dass dieser Landkreis demokratisch, weltoffen und freundlich bleibt. Aber: Sonneberg ist Sonneberg und nicht #Thüringen und nicht Deutschland. 1/2 https://t.co/DBPuhEqTOY
— Katrin Göring-Eckardt (@GoeringEckardt) June 25, 2023
Sesselmann will als künftiger Landrat auch mit dem politischen Gegner sprechen. Man sollte ideologische Betrachtungen außen vor lassen, sagte Sesselmann am Sonntag bei der AfD-Wahlparty in Sonneberg. Er wolle mit allen Fraktionen reden. „Wir müssen auch auf den politischen Gegner zugehen“, sagte er und betonte, dass es ihm um Sachthemen wie die Konsolidierung des Haushaltes oder die Sanierung von Schulen gehe. Sesselmann kündigte an, sein Landtagsmandat niederzulegen. „Ich habe nur eine begrenzte Arbeitszeit“, sagte er.
Mit Blick auf die anstehenden Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg sagte er: „Wir können nächstes Jahr, 2024, Geschichte schreiben.“
Björn Höcke: AfD wird den Sieg für kommende Wahlen mitnehmen
Auch Thüringens AfD-Chef Björn Höcke sieht im Wahlsieg den Auftakt für mehr Erfolge bei Kommunal- und Landtagswahlen. Höcke sagte am Sonntag bei der AfD-Wahlparty, von Sonneberg gehe ein „politisches Wetterleuchten“ aus. Man wolle diesen Schwung mitnehmen für die kommenden Landratswahlen. „Und dann bereiten wir uns für die Landtagswahlen im Osten vor, wo wir dann wirklich ein politisches Erdbeben erzeugen können.“
Auch AfD-Bundeschef Tino Chrupalla jubelte: „Das war erst der Anfang“, schrieb Chrupalla am Sonntagabend auf Twitter. „Wir überzeugen Mehrheiten mit unserer Politik für die Interessen der Bürger. So werden wir für Deutschland die Wende zum Guten erreichen.“
Kommendes Jahr werden die Landtage in Sachsen, Thüringen und Brandenburg gewählt. Höcke sagte, die AfD befinde sich in einer positiven Dynamik. Zuletzt lag die Thüringer AfD in Umfragen auf Platz eins.
Im ersten Durchgang der Landratswahl vor zwei Wochen hatten AfD-Kandidat Sesselmann nur wenige Prozentpunkte zum Wahlsieg gefehlt. In Thüringen wird die AfD mit ihrem Chef Björn Höcke vom Verfassungsschutz als erwiesen rechtsextrem eingestuft und beobachtet.
Ministerpräsident Ramelow: AfD-Wahlerfolg ist Signal der Unzufriedenheit
Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) sieht den AfD-Wahlerfolg als Signal der Unzufriedenheit. „Ich glaube, wir müssen den Geist der deutschen Einheit neu definieren, dass wir die Ostdeutschen mitnehmen und nicht das Gefühl auslösen, dass über sie gelacht wird oder über sie nur geredet wird“, sagte der Linken-Politiker am Sonntagabend im ZDF.
Der Zentralrat der Juden zeigt sich tief erschüttert. „Um es klar zu sagen: Nicht jeder der AfD-Wähler hat eine rechtsextreme Gesinnung“, sagte Zentralratspräsident Josef Schuster nach Angaben der Jüdischen Allgemeinen. „Aber die Partei, deren Kandidaten sie gewählt haben, ist laut Landesverfassungsschutz rechtsextrem.“ Dass so viele Menschen dem zustimmen, beunruhige ihn zutiefst, meinte Schuster. „Das ist ein Dammbruch, den die demokratischen politischen Kräfte in diesem Land nicht einfach hinnehmen dürfen.“
Linke, SPD, Grüne und FDP solidarisierten sich mit der CDU
Der AfD-Landtagsabgeordnete und Rechtsanwalt Sesselmann hatte im ersten Durchgang 46,7 Prozent erhalten, CDU-Kandidat Köpper kam auf 35,7 Prozent. Das Wahlergebnis hatte bundesweit alarmiert – zumal die AfD auch in den jüngsten Umfragen bundesweit, vor allem aber in den ostdeutschen Bundesländern Aufwind hatte.
In Thüringen hatten Vertreter von Linke, SPD, Grüne und FDP ebenso wie der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) dazu aufgerufen, den CDU-Kandidaten Köpper zu unterstützen. Auch einige Unternehmen, Handwerker und Kulturschaffende der Region warben für eine hohe Wahlbeteiligung und eine Entscheidung für eine demokratische und weltoffene Region. „Die Brandmauer gegen die Verfassungsfeinde der AfD darf nicht bröckeln“, sagte die Antirassismus-Beauftragte der Bundesregierung, Reem Alabali-Radovan.

Meuthen: AfD inhaltlich und personell „völlig blank“
Das derzeitige bundesweite Umfragehoch der AfD ist nach Einschätzung ihres früheren Bundesvorsitzenden Jörg Meuthen nicht auf eigene Inhalte zurückzuführen, sondern auf die Schwäche der anderen Parteien. „Inhaltlich und personell ist die Partei völlig blank, die guten Leute sind alle weg. Die Partei profitiert allein von der erschreckenden Schwäche der anderen Parteien“, sagte Meuthen der Bild am Sonntag.
Meuthen, der bis Anfang des vergangenen Jahres Vorsitzender der AfD war, sagte, mit seinem Abgang sei das gemäßigte Lager zerfallen und die Radikalen hätten die Kontrolle über die AfD übernommen. „Sie besteht nur noch aus Extremisten, Opportunisten und Karrieristen, die sich in ihrer Mandatsgier mit diesen Leuten bis zur völligen Anbiederung arrangieren.“
Falschbehauptungen in sozialen Medien
Der Wahlkampf in Thüringen verlief nach CDU-Angaben in den vergangenen Tagen ruppig – in den sozialen Medien sei auch mit Falschbehauptungen agiert worden. Aufgerufen zur Stichwahl waren nun rund 48.000 Menschen. Die Wahllokale waren von 8 bis 18 Uhr geöffnet. Sonneberg ist mit rund 57.000 Einwohnern einer der kleinsten Kreise in Deutschland.





