Interview

Josef Schuster: Putin und Hitler? „Ein problematischer Vergleich“

Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, sagt, warum man Putin nicht mit Hitler vergleiche könne. 

Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland Josef Schuster posiert für ein Bild in Berlin am 29. März 2023.
Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland Josef Schuster posiert für ein Bild in Berlin am 29. März 2023.Emmanuele Contini

Wir treffen Josef Schuster in einem Büro am Kurfürstendamm in Berlin. Der Mann wirkt agil, aufgeschlossen, freundlich. Wie sich zeigen wird: Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland hat für jede Frage die passende und oft auch überraschende Antwort. Auch wenn es streitbar wird.

Berliner Zeitung: Herr Schuster, wie stellt sich die aktuelle Situation in Israel für die Juden in Deutschland dar? Immer wieder wird ja vom Zentralrat verlangt, er müsse sich politisch positionieren. Geht das überhaupt?

Josef Schuster: Ich muss ehrlich sagen, es ist, soweit ich mich erinnern kann, das erste Mal, dass ich öffentlich die Politik der israelischen Regierung kritisiere. Diese Justizreform, die in meinen Augen letztlich zur Entmachtung der Gerichte führt, entspricht nicht den Grundsätzen demokratischer Gewaltenteilung.

Sie würden also schon sagen: Das ist ein schwerwiegender Eingriff.

Wenn er so käme, wie es ursprünglich geplant war, ja. Aber jetzt ist die Reform zunächst einmal aufgeschoben. Meine Hoffnung ist, dass miteinander geredet und eine weitere Spaltung der Gesellschaft verhindert wird.

Haben Sie schon jemals erlebt, dass so eine große Menge von Israelis und Juden aus aller Welt sich so für ein Thema der israelischen Demokratie engagiert hat?

Ich kann mich nicht erinnern. Wegen Israel ja, unter ganz anderen Aspekten, aber wegen einer möglichen Störung der Demokratie – nein.

Kriegen Sie viele Rückmeldungen aus Ihrer Community, und sind die eher ablehnend oder zustimmend?

Ich habe für meine Aussagen zum allergrößten Teil Zustimmung erfahren. Von jüdischen Kreisen erhalte ich sogar viel, viel mehr Zustimmung.

Wenn es Kritik gab – was wird an Ihren Aussagen kritisiert?

Es kommt das Argument, Israel hat Feinde genug, brauchen sie mich jetzt auch noch? Aber ich bin kein Feind von Israel, sondern ich glaube, man muss einfach differenzieren können zwischen einer sachlichen Kritik an Regierungspolitik und einem Israel-Bashing, was zwei völlig getrennte Dinge sind.

Haben Sie den Eindruck, dass jetzt auch antiisraelische Kräfte diese Situation nutzen?

Ich hätte eher die Sorge gehabt, dass sich diejenigen laut melden, die sagen: ‚Wir haben das ja schon immer gesagt!‘ Doch das habe ich in der Form nicht beobachten können.

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Foto: Emmanuele Contini
Zur Person
Josef Schuster wurde am 20. März 1954 in Haifa in Israel geboren. In der Zeit des Nationalsozialismus musste seine Familie aus Würzburg fliehen, kehrte Mitte der 50er-Jahre dann aber wieder nach Deutschland zurück. Schuster machte sein Abitur, studierte Medizin und absolvierte eine Facharztausbildung. Bis 2020 führte er außerdem eine eigene Praxis als Internist. Seit 2014 ist der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland.

Beim unserem letzten Interview sprachen wir über den Antisemitismus in Deutschland. Damals waren die Zahlen relativ stark im Steigen. Jetzt scheint das umgekehrt zu sein.

Vorsicht, die Zahlen sind zwar bundesweit nicht gestiegen, sondern ganz leicht rückläufig, das ist aber offensichtlich nicht bundeseinheitlich. In Bayern zum Beispiel sind sie gestiegen. Und Antisemitismus allgemein wird aggressiver, gewalttätiger.

Im vergangenen Jahr haben wir ja antisemitische Ausfälle bei Demonstrationen in Berlin verzeichnen müssen. Haben Sie den Eindruck, dass das nur einzelne Ausreißer waren?

In der Corona-Pandemie haben sich in die Demonstrationen der Impfgegner und Corona-Leugner eine Menge Stimmen untergemischt, die ganz klar rechtsradikal oder verschwörungsideologisch waren und auch antisemitische Töne von sich gegeben haben. Allein nur der Vergleich mit Sophie Scholl oder das Tragen des Judensterns als Zeichen der Ausgrenzung – das hat ganz eindeutig zu einer allgemein aufgeheizten Stimmung geführt und war wohl auch so gewollt.

Wobei das ja kein Antisemitismus war, sondern eher Geschmacklosigkeit oder Gedankenlosigkeit.

Hier braucht es keine Relativierung. Solche Vergleiche entstehen ja nicht aus dem Nichts.

Sie glauben, es hat antisemitische Kräfte im Hintergrund gegeben?

Die spielen eine Rolle, ja.

Woher kommen die?

Ich sehe das im rechten politischen Lager verortet.

Josef Schuster
Josef SchusterEmmanuele Contini

Meinen Sie da auch Parteien oder ist es das außerparlamentarische rechte Spektrum?

Offiziell geht es nicht ins Parteienspektrum über. Mit Blick auf die Corona-Demonstrationen sieht man aber deutlich, dass sich hier vor allem auch Mitglieder und Funktionäre der AfD an vorderster Front gezeigt haben.

Aber aus der AfD haben sie jetzt keine speziellen Hass-Meldungen oder Sonstiges beobachtet?

Nein.

Gilt Ihr Grundsatz noch, keine Gespräche mit der AfD zu führen?

Ja, das ist richtig.

Wie sieht es mit der innerjüdischen Situation im Moment aus? Wir haben ja die große Debatte um das Rabbiner-Seminar, an der man erkennt, dass auch das Judentum in Deutschland sich verändert. Ist der Konflikt um das Seminar jetzt gelöst?

Nach 1990, mit dem Fall des Eisernen Vorhangs, gab es eine Zuwanderung von jüdischen Menschen aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion. Dass liberale Strömungen hier Fuß fassen, finde ich absolut gut. Das gab es in Deutschland vor der Shoah auch. Ich halte die Pluralität im Judentum für ganz wichtig. Allerdings, wenn es im Rahmen des Abraham Geiger Kollegs offensichtlich zu Fällen des Machtmissbrauchs und der Diskriminierung gekommen ist, dann muss man sagen, das kann nicht sein, das darf nicht sein, gerade in einer theologischen Ausbildungsstätte.

Jetzt ist das Kolleg bei der Jüdischen Gemeinde in Berlin angesiedelt. Die Gemeinde sagt, sie will das Kolleg weiterbetreiben. Der Zentralrat will das Kolleg auch. Gibt es eine Lösung in dem Streit?

Es geht nicht darum, wer das Kolleg will und wer nicht. Es geht um eine förderfähige Struktur, die dem Zentralrat als größtem Geldgeber natürlich wichtig sein muss. Die ist mit der unabgesprochenen Übernahme durch die Berliner Gemeinde nicht gegeben. Das sehen im Übrigen auch die staatlichen Zuwendungsgeber so. Wir sind daher im Gespräch mit der Jüdischen Gemeinde Berlin.

Das heißt, es hat schon konkrete Gespräche gegeben?

Ja.

Wie würde die Konstruktion ausschauen – sollte die Gemeinde an der Stiftung beteiligt sein?

Man sollte dem Ausgang der Gespräche nicht vorgreifen.

Es gibt auch noch andere Gruppen, Chabad zum Beispiel. Sind die jetzt integriert beim Zentralrat?

Viele Chabad-Rabbiner sind als Rabbiner in den Gemeinden angestellt, so auch in Berlin. Ein Verhältnis ist also da. Die Chabad-Bewegung als solche agiert aber nicht unter dem Dach des Zentralrats.

Das Problem scheint ja darin zu bestehen, dass Chabad nur dann Teil des Zentralrats werden kann, wenn die Bewegung überregional tätig ist. Sehen Sie da Konfliktpotenzial?

Ein Konfliktpotenzial sehe ich da nicht. Es gibt aber kaum eine Situation im Leben, die nicht noch besser sein könnte.

Sehen Sie Unterschiede zwischen Frankfurt und Berlin, was die Sicherheit von Juden anlangt?

Ich würde mich in Frankfurt eher trauen, mit einer Kippa auf die Straße zu gehen, als in Berlin. In Neukölln würde ich eher eine Basecap anziehen.

Kommt da die Bedrohung eher aus dem arabischen Raum oder von den Rechtsextremen?

Was die Vorfälle insgesamt angeht, da sehe ich mehr den rechten Raum. Was aber Vorfälle der Bedrohung und Beschimpfung im öffentlichen Raum angeht, sehe ich das mehr im arabischen Bereich.

Roger Waters will in Deutschland auftreten. Wie stehen Sie dazu?

Also wenn jemand in seinem Konzert ein Schwein mit Judenstern aufsteigen lässt, dann ist es nach meiner Ansicht nicht mehr durch die Meinungsfreiheit gedeckt, sondern damit wird eine ganz klare Botschaft ausgesendet, und eine solche Botschaft halte ich speziell in Deutschland in keiner Weise für akzeptabel.

Wie sehen Sie den Bereich des linken Antisemitismus? Gerade in der BDS-Bewegung gibt es hier doch unscharfe Grenzen. Glauben Sie, dass die aktuelle Entwicklung in Israel diese Kräfte auch stärken könnte?

Bis jetzt haben wir es noch nicht gehört. Aber ich kann mir vorstellen, dass das diese Kräfte unterstützt. Die Frage ist, welche Motive hat derjenige, der sich für BDS engagiert. Denn was mir immer wieder auffällt: Es ist viel leichter, die BDS vorzuschieben, als etwas gegen Juden zu sagen, das macht man doch lieber nicht. Dann äußere ich mich lieber gegen Israel, und Israel ist dann das Synonym für Juden.

Vor einigen Monaten wurde ein Gesetz verabschiedet, das die Leugnung von Kriegsverbrechen so behandelt wie die Holocaustleugnung. Sehen Sie darin auch die Gefahr einer Nivellierung?

Letztendlich bleibt der Holocaust ein einzigartiges Geschehen, auch im Ausmaß und durch die antisemitische Komponente, die in der Leugnung zudem strafverschärfend wirkt. Die Leugnung von Kriegsverbrechen ist trotzdem hart zu bestrafen, das ist absolut berechtigt. Wir sehen es auch aktuell im Krieg. Trotzdem würde ich es jetzt nicht gleichsetzen.

Wie steht es mit dem immer wieder zu hörenden Vergleich, Hitler gleiche Putin oder Putin gleiche Hitler?

Einen solchen Vergleich halte ich für problematisch.

Warum?

Auch wenn Putin wie Hitler von einer völkischen Ideologie getrieben ist, hat er bisher noch kein Programm zur bewussten Ausrottung eines Bevölkerungsteils aufgelegt.

Verstehen Sie die Position Israels, sich gegenüber Russland eher neutral zu verhalten?

Israel hat ein Nachbarland, Syrien, und Syrien hat einen Verbündeten, der heißt Russland. Und wenn ich jetzt nicht hier im wahrsten Sinne eine Front aufmachen will, dann muss ich mich entsprechend verhalten. Das kann ich nachvollziehen.

Josef Schuster
Josef SchusterEmmanuele Contini

Wie wirkt sich der Krieg auf die jüdischen Gemeinden in Deutschland aus?

Wir haben in ganz Deutschland bei den Zuwanderern aus den 90er-Jahren ungefähr gleich viel mehr Russen als Ukrainer. Und ich hatte ursprünglich die Angst, dass wir in den Gemeinden mit diesem Krieg ein Problem kriegen. Das ist aber nicht geschehen.

Das heißt, es gab auch keine Spannungen?

Nein, nein, da war eine einhellige Meinung pro Ukraine.

Führen Sie in Deutschland auch Gespräche mit den Muslimen?

Die führen wir, und die Gespräche funktionieren. Besonders gut geht es, wenn wir Menschen zusammenbringen, jüdische, muslimische; auch als Trialog mit christlichen Menschen. Im Zentralrat haben wir dafür die Denkfabrik „Schalom Aleikum“ gegründet. Und das funktioniert gut. Wie immer: Im Kleinen geht es gut.

Kann man sagen: Es ist zwar noch nicht alles perfekt, aber Sie sind entspannter als früher?

Ja. Ich muss sagen, nach der Zuwanderungswelle 2016 hatte ich die Sorge eines steigenden Antisemitismus, mit dem Geflüchtete aus dem arabischen Raum natürlich sozialisiert wurden. Als ich das beim Migrationsgipfel der Kanzlerin damals geäußert habe, gab es betretenes Schweigen. Da haben alle erst mal irritiert geschaut, weil ich nicht in diesen Chor „Ihr Kinderlein kommet!“ eingestimmt bin. Glücklicherweise sind die Befürchtungen nicht in dieser Form eingetreten. Dass sie geäußert wurden, hat aber sicher seinen Teil dazu beigetragen.

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