Kaum eine Armee der Welt ist so sehr mit Mythen behaftet wie die israelische, für viele gelten die sogenannten Verteidigungsstreitkräfte noch immer als unbesiegbar. In Europa kennt man die Soldaten Israels meist nur aus den Medien, oft geht es um Einsätze in der West Bank, nicht selten auch um (vergangene) Kriege gegen die Nachbarstaaten.
Für die Gesellschaft in Israel spielt das Militär jedoch auch eine andere Rolle, es bildet gewissermaßen einen Kitt für die so unterschiedlich gestaltete Bevölkerung des Landes. Nicht nur, dass es hier beide Geschlechter betrifft, oft melden sich auch Drusen aus dem Norden, arabische Beduinen aus der Wüste Negev oder Juden aus aller Welt freiwillig zum Dienst.
Nach dem Abitur zur israelischen Armee
Einer aus der letztgenannten Gruppe ist der in Chemnitz geborene Daniel Adler – der 19-Jährige leistet, wie aktuell eine Handvoll weiterer Deutscher, in der israelischen Armee seinen Wehrdienst ab. Seine Eltern sind zwar Deutsche, die in Chemnitz wohnen, sie sind jedoch ursprünglich Juden mit ukrainischen Wurzeln. Darüber hinaus hat Daniel auch Verwandte in Israel, sie leben heute bei Nes Ziona etwas südöstlich von Tel Aviv.
Doch wie kommt man als Deutscher überhaupt auf die Idee, freiwillig in einer der gefürchtetsten Armeen weltweit, noch dazu in einer scheinbar immerwährenden Konfliktregion dienen zu wollen? Der junge Mann erzählt leidenschaftlich: „Mit 14 Jahren sah ich ein Video auf YouTube, in dem israelische Soldaten gezeigt wurden – das sah wirklich spannend aus.“
Sofort besorgte er sich die nötigen Informationen, sprach mit seinen Großeltern über das Thema und erfuhr, dass seine eigene Tante mit 15 Jahren alleine nach Israel gezogen und später auch zum Militär gegangen war. Damit war ein Traum geboren. Daniels Eltern dachten sich noch nichts dabei, taten es als jugendlichen Leichtsinn ab und meinten, dass dies vorübergehen werde. Dem war jedoch nicht so: „Ich hatte mein Abitur in der Hand, legte es meiner Mutter auf den Tisch und sagte zu ihr, dass ich nun nach Israel fahren werde. Sie wusste, was das bedeutete“, erklärt Daniel die damalige Situation.
„Meine Mutter machte sich Sorgen um mich“
Man kann es sich gut vorstellen: Es ist für jede Mutter schwierig zu sehen, wenn das eigene Kind zu einem Soldaten in einer Konfliktregion wird – besonders, wenn dies weit weg von Zuhause sein soll. Sie hätte es lieber gesehen, wenn ihr Sohn gleich nach dem Abitur an eine Universität gegangen wäre.
„Meine Mutter hat jedoch mit der Zeit begonnen zu verstehen, wie wichtig es mir ist, zur israelischen Armee zu gehen“, erzählt Daniel rückblickend. „In ihrer Generation war es in der Sowjetunion sehr unvorteilhaft, wenn man Jude war. Das kann sie nicht vergessen und sie war daher auch wenig begeistert, dass ich mich so mit dem Judentum und Israel identifiziere – sie machte sich Sorgen, dass das für mich negative Auswirkungen haben könnte“, gibt er zu bedenken.
„Die Leute würden am liebsten meine Zieheltern werden“
Geändert habe sich dies erst, als die Mutter ihren Sohn das erste Mal in Israel besuchte: „Als ich sie in Uniform mit Blumen im Hotel empfangen habe, sah ich den Stolz in ihren Augen.“ In weiterer Folge konnte sie miterleben, wie die Menschen rundherum auf den Soldaten reagierten.
Militärangehörige werden in Israel meist hoch verehrt – nicht selten sieht man, dass Menschen ihnen unbekannten Soldaten einfach einen Snack oder Getränke kaufen. Daniel erzählt: „Wenn die Leute dann auch noch hören, dass ich aus dem Ausland komme und ohne Eltern hier bin, dann würden sie am liebsten gleich meine Zieheltern werden. Ich kann die Hilfe ja nicht annehmen, aber es ist schon sehr besonders.“
Umgang mit deutschen Soldaten? „Das zerbricht mir das Herz“
Das Verhältnis der deutschen Bevölkerung zu den eigenen Soldaten empfindet der Chemnitzer hingegen als sehr schwierig. Viele der Kameraden in seiner Heimat hätten sogar das Gefühl, sich schämen zu müssen, weil sie beim Militär sind: „Das tut mir wirklich weh. Auch in Deutschland geben Soldaten ihr Bestes, um die Menschen und das Land zu verteidigen. Man erntet jedoch eher abwertende Blicke, wird teils sogar als Mörder bezeichnet – das zerbricht mir das Herz.“
Er weiß, wovon er spricht, denn während seiner Schulzeit absolvierte er ein Praktikum bei der deutschen Bundeswehr: „Gäbe es die Wehrpflicht hier in Deutschland noch, hätte ich den Wehrdienst zuerst hier absolviert und wäre erst danach nach Israel gegangen – man sollte dem Staat nach der Schulausbildung einfach auch etwas zurückgeben.“
„Meine Kameraden lieben Deutschland“
Auf seine Nationalität ist er merklich stolz, Deutschland sei ein wichtiger Teil seiner Persönlichkeit. Ob er als Deutscher wegen des Holocaust keine Probleme in der israelischen Armee habe? Er verneint vehement: „Meine Kameraden lieben Deutschland, wie das ohnehin die meisten Israelis tun. Viele aus meiner Einheit fahren sogar nach Berlin auf Urlaub, sie lieben den Lifestyle dort.“
Generell hätten die Deutschen innerhalb der Armee noch immer den Ruf, besonders diszipliniert, gründlich und ordentlich zu sein. „Als ich meine Waffe einmal nicht perfekt geputzt hatte, bekam ich von meinen Vorgesetzten mit Augenzwinkern zu hören, ich sei kein typischer Deutscher.“
„Vor meinen Augen wurden Israel-Fahnen verbrannt“
Ob er als Jude einmal Probleme mit Antisemitismus in Deutschland hatte? „Auf jeden Fall, doch auf eine Art, die ich so nicht erwartet hätte.“ Im Gymnasium gab es nämlich öfter Vorfälle mit linksorientierten Personen. „Als sie erfuhren, dass ich Verwandte in Israel habe, war es ihnen schon zu viel. Es wurden sogar Israel-Fahnen vor meinen Augen verbrannt.“ Daniel wird deutlich: „Da ist mir sogar ein Nazi lieber, der mir ins Gesicht sagt, dass er mich nicht mag. Doch diese Einstellung von links, dass man zwar Juden mag, aber Israel verabscheut, konnte und kann ich nicht verstehen.“
Ob er trotzdem Verständnis dafür hat, dass es in Europa oft Kritik am israelischen Militär gibt? Der Deutsche erklärt: „Viele Leute von außen wissen gar nicht, was hier passiert. Sie sehen kurze Videos im Internet und bilden sich auf Grundlage dessen ihre Meinung. Dazu kommt, dass manche Medien versuchen, den Konflikt noch extra aufzublasen, um Reichweite zu generieren.“
Doch natürlich gebe es auch Rabauken in der Armee, in Israel nennt man sie Rambos. In seiner Einheit sei ihm jedoch noch nichts Negatives aufgefallen: „Das würde mich auch wundern, denn solche Typen kommen normalerweise nicht durch den Persönlichkeits- und den Wissenstest“, meint er.
„Mein bester Freund in Deutschland ist Araber“
Wer das Bild von israelischen Soldaten als strikte und geradezu programmatische Gegner der Palästinenser im Kopf hat, wird bei dem 19-Jährigen nicht fündig werden: „Es ist ganz selbstverständlich, dass wir als israelische Soldaten für den Schutz aller Menschen hier verantwortlich sind – das gilt für Israelis, für Touristen und Pilger, aber natürlich auch für Palästinenser. Mit den meisten von ihnen komme ich sehr gut aus, die arabischen Kindern erhalten auch immer Süßigkeiten von mir. In Deutschland wiederum ist mein bester Freund ein Araber.“
Schwarz-weiß-Denken sei laut ihm einfach fehl am Platz, denn man könne den israelischen Staat umgekehrt auch kritisieren und müsse das als Privatperson in einigen Punkten auch tun.
„Wochenlang in Wüsten und Wäldern“
Die ersten Monate bei der israelischen Armee waren für Daniel kein Zuckerschlecken, schon die Musterung sei äußerst hart gewesen. Zusätzlich musste er auch erst Hebräisch lernen, Vorkenntnisse hatte er keine: „Beim schriftlichen Hebräisch-Test konnte ich nur meinen Namen auf das Papier schreiben und das nicht einmal in hebräischer Schrift. Für den mündlichen Test lernte ich zumindest den Satz, dass ich kein Hebräisch spreche, auswendig und brachte ihn vor“, lacht Daniel heute darüber. Er musste zur Sprachbasis, um die Nationalsprache Israels zu lernen – eine ganz besondere Erfahrung für ihn: „Man muss sich vorstellen, man lernt dort Gleichgesinnte aus der halben Welt kennen. Sogar aus Ländern, von denen ich nicht einmal wusste, dass es dort Juden gibt.“

Die Entscheidung, schließlich bei den Fallschirmjägern anzudocken, fiel ihm nicht schwer: „Ich hatte schon immer ein gewisses Faible dafür, obwohl ich wusste, dass die Ausbildung dort besonders hart ist.“ Im sportlichen Auswahlverfahren musste er mit seinen Kameraden 24 Stunden lang die Sanddünen entlang und einen Berg hinauf und herab rennen – beschwert war der eigene Körper mit zusätzlichen Gewichten. Mit solch banal wirkenden Aufgaben wird im israelischen Militär aussortiert, wer nicht die nötige Motivation mitbringt. Daniel bestand diese und weitere Prüfungen hingegen und wurde angenommen.
Doch es wurde nicht einfacher, ganz im Gegenteil – es folgte die Grundausbildung auf der Fallschirmjäger-Basis. „Wochenlang wurden wir einfach in die Wüste oder in die Wälder geschickt.“ Darüber hinaus gab es regelmäßige Schießtrainings, unzählige sportliche Herausforderungen, Theorieeinheiten in Sachen Taktik und Waffentechnik, aber auch die Hebräisch-Kenntnisse mussten immer weiter ausgebaut werden.
„Freundschaft zu Kameraden hält ein Leben lang“
Ob es für ihn auch psychisch hart war? Der Deutsche bejaht sofort: „Auf jeden Fall. Es war etwas komplett Neues für mich, ich habe ja am Anfang wegen der Sprachbarriere nicht einmal die Befehle verstanden.“ Auch, dass es für sämtliche Aufgaben, sogar persönlicher Natur, ein einzuhaltendes Zeitfenster gab, war für Daniel gewöhnungsbedürftig: „Wenn jemand auf die Toilette muss, bekommt er eine Zeit vorgegeben – binnen zwei Minuten hat man dann wieder beim Kommandanten Meldung zu geben.“
Doch der junge Mann hat vollstes Verständnis für diese Härte, da hier gerade erst Volljährige verschiedenster Prägung zusammenkommen und aus ihnen erst einmal eine Einheit gemacht werden müsse. Aus diesem Grund schlafen zwölf Kameraden auch acht Monate lang in einem Zimmer zusammen.
In der harten Ausbildung und den strengen Regeln sieht er auch die Erklärung für den legendären Zusammenhalt innerhalb der israelischen Armee: „Man wächst mit den Kameraden zusammen, die ganze Einheit wirkt bei Extremsituationen wie ein einziger Organismus. Diese Freundschaften bleiben ein Leben lang erhalten.“
Das kann übrigens auch geschlechterübergreifend funktionieren, denn Frauen sind in Israel in großer Zahl beim Militär. Der Deutsche kann dem einiges abgewinnen: „Israel macht hier etwas vor in Sachen Gleichberechtigung. Beide Geschlechter übernehmen wichtige Aufgaben und stehen sich auf gleicher Ebene gegenüber.“ Etwa auf der Sprachbasis waren seine Kommandeure weiblich, er selbst verbindet damit nur positive Erinnerungen.
Die Tortur in der Wüste Negev
In besonderer Erinnerung blieb ihm seine erste Zeit in der Wüste Negev – ein Schockerlebnis für alle, wie der 19-Jährige betont. Die Aufgabe bestand darin, eine ganze Woche in der Wüste zu übernachten und zu (über)leben. „Wir hoben Stellungen aus, in denen wir dann geschlafen haben“, erzählt er.
In den Nächten im Freien wurde erst ein Kamerad von einem Skorpion gestochen, bald darauf wurde ein weiterer von einer Schlange gebissen. Sie kamen ins Krankenhaus, für den Rest ging es weiter. Oft wurde die Truppe mitten in der Nacht geweckt, um verschiedene Herausforderungen zu meistern.
Ein Erlebnis blieb Daniel ganz besonders in Erinnerung: „Wir mussten einen Hügel hinaufkriechen, der Untergrund bestand aus wenig Sand, dafür gab es umso mehr Kakteen und Steine. Nach einiger Zeit spürte ich meine Beine nicht mehr, sie waren leicht gelähmt. Ich wusste nicht mehr, ob es real, ein Traum oder gar ein Film ist.“
Deutscher patrouilliert vor Haus von Ben-Gvir
Ob er bei seinen Diensten nie Angst hat? „Auf jeden Fall habe ich einen gewissen Respekt vor den Aufgaben, Angst hatte ich aber noch nie“, erklärt der 19-Jährige. Wichtig sei immer der Zusammenhalt zwischen den Kameraden, auf sie könne er sich im Ernstfall verlassen.
Doch die Gefahr ist allgegenwärtig, insbesondere in der West Bank: „Wenn hundert Steine auf dich fliegen und du sogar getroffen wirst, kann es einem natürlich anders werden. Besonders, weil in einem Steinhagel immer auch ein Gegenüber unbemerkt eine Waffe ziehen könnte.“ Es sind keine Vorsichtsgedanken, sondern reale Gefahren. Immer wieder hört man dort, wo Daniel seine Dienste verrichtet, etwa im Gebiet rund um Hebron, Schüsse durch die Gassen hallen.

Genau dort befindet sich auch ein besonderer Platz, an dem der Deutsche patrouilliert – Kirjat Arba: Sein kleiner Wachposten liegt auf der einen Seite gegenüber von arabischen Häusern, aus denen es in der Vergangenheit schon Terroranschläge auf israelische Soldaten gab, auf der anderen Seite ist er der Gasse zugewandt, in welcher der wohl gleichermaßen gefährlichste und gefährdetste Mann Israels wohnt: der Sicherheitsminister und „Scharfmacher“ Itamar Ben-Gvir.
„Aufgabe, alle Menschen in Israel zu verteidigen“
Der aktuelle innenpolitische Konflikt in Israel, in dem Ben-Gvir eine entscheidende Rolle spielt, betrifft auch Daniel als Soldaten stärker, seitdem Armee-Angehörige in Uniform bei Protestmärschen gegen die Regierung teilnahmen und sich Veteranen offen gegen die Justiz-Reform stellten.
Für den Deutschen ist dies zwar einerseits ein Zeichen dafür, wie sehr die Armee einen Querschnitt durch die gesamte israelische Gesellschaft und darüber hinaus darstellt, andererseits ist für ihn aber auch klar, dass das Militär neutral zu sein hat: „Wir haben die Aufgabe, alle Menschen in Israel zu verteidigen, das offene Zurschaustellen der eigenen politischen Meinung passt da meiner Ansicht nach nicht dazu.“
Eines sollte man sich aber laut ihm bei aller Kritik auch in Deutschland vor Augen halten: „Wenn Israel die Waffen niederlegt, gibt es kein Israel mehr. Wenn die Palästinenser die Waffen niederlegen, gibt es Frieden.“ Ob das wirklich so gelten kann, wenn man sich die rechtsextremen Bewegungen in Israel, die nun sogar namhafte Vertreter in der Regierung haben, vor Augen führt? Daniel bejaht, denn man sehe an den Demonstrationen, dass der Großteil der israelischen Gesellschaft gegen diesen extremen Kurs sei.
„Ich würde für Israel mein Leben geben“
In wenigen Wochen endet Daniels Zeit beim israelischen Militär, für ihn geht es dann zurück zur Familie nach Deutschland. Seine unmittelbaren Pläne? „Ich möchte dann noch ein bisschen reisen, etwas von der Welt sehen, bevor im Oktober mein Studium losgeht.“ Ob er sich eine berufliche Rückkehr zum israelischen Militär vorstellen könnte?
Daniel denkt kurz nach, um dann umso entschlossener zu antworten: „Sollte Israel in einen Krieg verwickelt werden und ich dann familiär nicht zu sehr gebunden sein, würde ich zurückgehen und kämpfen. Ich könnte einfach nicht mitansehen, wie meine Freunde dort das Land verteidigen, während ich in Deutschland sitze. Für meine Freunde und für Israel würde ich auch mein Leben geben.“






