Inflation

Ökonom greift Regierung an: „Freie Fahrt für Porsche-Fahrer, aber halbe Duschzeit für Arme“

Lukas Scholle, 24, ist Ökonom im Bundestag und mit streitbaren Thesen zu Inflation und Geldpolitik auf Social Media unterwegs. Wir haben ihn herausgefordert.

Lukas Scholle, Bundestagsökonom und YouTuber
Lukas Scholle, Bundestagsökonom und YouTuberprivat

Der Euro ist kürzlich erstmals seit 20 Jahren unter einen US-Dollar gefallen. Liegt das alleine am Ukraine-Krieg? Der bekannte Portfoliomanager Andreas Beck sagt eine düstere Vision für die Zukunft der Gemeinschaftswährung vorher. Unser Gesprächspartner, der Bundestagsökonom und YouTuber Lukas Scholle, widerspricht ihm entschlossen. Ein Gespräch über die Rezessionsgefahr, Schuldenpolitik und russisches Gas.

Herr Scholle, wird es mit dem Euro nichts mehr, wie Andreas Beck es meint? Er war zwar abgestürzt, hat aber jetzt wieder leicht gewonnen und liegt am Montag bei 1,0090 Dollar.

Klar gibt es beim Euro Probleme, aber der Wechselkurs zum Dollar ist es sicherlich nicht. Und beim Wechselkurs liegt es allerdings an der Stärke des Dollars. Der Dollar ist offensichtlich immer noch die Krisenwährung Nummer eins. Dazu kommt die erhebliche Erhöhung des Leitzinses in den USA. Beides ist ein gefundenes Fressen für risikoscheue Akteure. Daher hat der Dollar gegenüber etlichen Währungen aufgewertet. Das bedeutet, dass der Euro gar nicht schwach ist, sondern nur im Vergleich zum Dollar schwach wirkt. Gegenüber anderen Währungen wie dem britischen Pfund, der norwegischen und der dänischen Krone oder dem japanischen Yen sieht man keine erhebliche Schwäche des Euros.

In Europa ist der Euro vielleicht nicht schwach, aber vor dem Hintergrund der Dominanz des US-Dollar im Westen schon unstabil. Ist das ein klares Anzeichen der kommenden Rezession?

Weder ist der Euro instabil wegen des Wechselkurses, noch ist das ein Anzeichen für eine Rezession. Niemand außer ein paar Wirtschaftsliberalen und Crashpropheten verfolgt das Ziel eines starken Euros. Es ist auch üblicher Herdentrieb, der für den Wechselkurs mitverantwortlich ist. Daraus dann Schlussfolgerungen zu ziehen, ist Kaffeesatzleserei. Gleichzeitig gibt es in der Eurozone aber natürlich Aspekte, die die Rezessionsgefahr im Vergleich zur USA erhöhen. Ob in der Zukunft das Gas ausreicht, steht an oberster Stelle.

Grund für diese Rezessionsgefahr ist eine verfehlte Wirtschaftspolitik der letzten Jahrzehnte. Hätten wir damals die Energiewende deutlich beschleunigt, dann müssten wir heute nicht zu teuren Preisen Energie importieren und hätten stattdessen Millionen gut bezahlter Klimajobs. Stattdessen werden die Fehler der letzten Jahrzehnte mit der derzeitigen und kommenden Sparpolitik von Finanzminister Christian Lindner fortgesetzt. Das erhöht die Gefahr einer Wirtschaftskrise und ist zudem gleichzeitig sozialer Sprengstoff.

Sie sind also auch für neue Schulden. Höhere Staatsausgaben sind gut für die Wirtschaft, aber wohin führt das? Zu einer neuen Staatsschuldenkrise und mehr Inflation?

Zuerst führen weitere Ausgaben dazu, dass der Alltag für die Ärmsten unserer Gesellschaft bezahlbar und die Energiewende beschleunigt werden. Dass daraus jetzt Inflation und eine Staatsschuldenkrise entstehen, halte ich für ein Schreckgespenst. Hätten wir eine fast vollständige Auslastung der Produktionskapazitäten, dann sollte man etwas aufpassen. Aber genau das ist bei uns nicht der Fall. Stattdessen droht eine Wirtschaftskrise. Wenn die Menschen deutlich mehr für die Heizung ausgeben, dann sparen sie beim Friseur oder beim Kino, die dann wiederum Leute kündigen. Ein Teufelskreis.

Was erwarten Sie von der Bundesregierung an der Stelle?

Um eine Wirtschaftskrise zu verhindern, muss Finanzminister Lindner seine Blockadehaltung bei den Ausgaben aufgeben. Er müsste genau das Gegenteil von dem tun, was er derzeit tut. Er müsste ordentlich Investitionen und Entlastungen in Deutschland von der Rampe schieben, statt zu sparen. Höhere Zinsen, wie Lindner es ja fordert, sind genau der falsche Weg. Denn dadurch steigen die Kosten für Kredite, was die Preise treibt und Investitionen unattraktiver macht. Ironischerweise schadet Lindner mit seiner Sparsamkeit und seinen Zinsforderungen also sowohl dem Euro als auch seinem obersten Ziel: der Entfesselung des privaten Kapitals.

Tatsächlich würden weitere Staatsausgaben auch den Euro stärken, da die Rezessionsgefahr sinkt. Stattdessen sucht Lindner genau wie bei den steigenden Energiepreisen auch bei dem geringen Wechselkurs die Verantwortung bei der EZB. Dabei kann die EZB weder Windräder bauen noch gegen den Dollar in den Krieg ziehen.

Ihre Vorschläge klingen ein bisschen nach der positiven Wirtschaft, also wie sie theoretisch sein sollte und nicht, wie sie tatsächlich funktioniert. Ist es nicht Wunschdenken pur, zu glauben, dass man mit niedrigen Zinsen und höheren Ausgaben den Preisschock dämpfen und die Wirtschaft stärken kann?

Absolut nicht. Das Verrückte ist ja, dass die Ampel sich mit dem Tankrabatt und Neun-Euro-Ticket hinstellt und sagt, dass sie die Preise gesenkt haben. Das ist richtig. Dafür haben sie aber Schulden gemacht. Es passt also offensichtlich nicht mit Lindners Erzählung zusammen, dass weitere Schulden per se die Preise befeuern. Ausgerechnet jetzt bei günstigen ÖPNV auf der Bremse zu stehen, ist fatal. Bei staatlichen Investitionen in die Energiewende ist es genauso: Wir machen uns mit günstiger grüner Energie unabhängig von der teuren fossilen Energie.

Nehmen wir an, der Staat geht darauf ein und gibt viel mehr aus. Was machen wir dann mit der enormen Staatsverschuldung? Lassen sich die Schulden automatisch abbauen, wenn es der Wirtschaft besser geht?

Zum Glück müssen wir damit gar nichts machen. Dass die Enkelkinder die Schulden der Großeltern abtragen müssen, ist Quatsch. Sie erben nämlich nicht nur die Schulden, sondern auch das Vermögen. Jeder Euro, der beim Staat im Minus steht, steht irgendwo im Privatsektor im Plus. Wenn Christian Lindner sein Lieblingsprojekt umsetzt – den Solidaritätszuschlag abzuschaffen – und dafür Schulden aufnimmt, dann steht das Minus des Staats bei einem Plus vor allem beim oberen einen Prozent. Wenn man aber Schulden zum Beispiel für den Ausbau der Bahn macht, dann hat die ganze Gesellschaft etwas davon. Was die Enkelkinder bei der falschen Sparpolitik vor allem bewältigen müssen, sind die Klimakrise und die Wohlstandsverluste.

Muss sich der Staat also immer weiter verschulden – der guten Wirtschaft zuliebe?

Das möchte ich nicht sagen. Auf die Bremse sollte getreten werden, wenn die Wirtschaft voll ausgelastet ist  also wenn wir kaum noch Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung haben. Davon sind wir aber weit entfernt  erst recht mit dem Blick auf die Eurozone als Ganzes. Selbst dann sollte der Staat aber nicht per se sparen, wie Christian Lindner es jetzt vorhat. Viel mehr sollte man dann gezielt bei den Flaschenhälsen die Kapazitäten ausweiten. Ob dann ein Plus oder ein Minus hinter dem Haushalt steht, ist ziemlich egal.

Ihr Kollege Maurice Höfgen meint, die Politik muss nicht permanent die Frage stellen: Wo kriegen wir das Geld her? Sondern: Kriegen wir genug Ressourcen? 

Ja, genau darum geht es. Dafür gibt es etliche Stellschrauben, an denen man drehen kann. Die falsche Sparpolitik und damit einhergehend die schlecht laufende Wirtschaft sorgt dafür, dass wir viel zu viel unfreiwillige Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung haben.

Wieso machen wir nicht einfach Steuergesetze ohne Hintertüren?

Lukas Scholle, Ökonom im Bundestag

Das hängt auch mit einem mangelnden Sozialstaat zusammen. Viele Eltern würden gerne etwas mehr arbeiten, wenn es genug bezahlbare Kita- und Hortplätze gäbe. Gleichzeitig haben wir aber zum Beispiel auch eine riesige Industrie an Steuerberatern, die nur darauf ausgelegt ist, Steuern ihrer Kunden zu sparen. Wieso machen wir nicht einfach Steuergesetze ohne Hintertüren? Dann könnten wir die Manpower für sinnvolle Sachen wie mehr Ingenieure, Lehrer oder Ärzte einsetzen. Genauso ist es aber auch beim Staat. Mit einem Digitalisierungsturbo können auch hier sicherlich viele Kapazitäten für sinnvollere Tätigkeiten genutzt werden.

Aber gerade die aktuelle Gasknappheit zeigt, dass Deutschland nicht genügend Ressourcen hat, vor allem nicht genügend bezahlbare Energie. Haben Finanzminister Lindner und Wirtschaftsminister Habeck doch recht, wenn sie sagen: Wir müssen zu Hause sparen, weil die Energieressourcen knapp sind?

Das Sparen ist für viele Millionen Menschen mittlerweile zur Alltagsaufgabe geworden. Wenn sich nun Ampelminister hinstellen und sagen, dass man noch mehr sparen soll, ist das ein Schlag ins Gesicht genau dieser Millionen Menschen. Vor allem Christian Lindner ist heuchlerisch, da er weitere Entlastungen blockiert. Zeitgleich zu den Aufrufen zum Sparen werden energiesparende Maßnahmen wie das Tempolimit von Lindner einfach blockiert und Steuererhöhungen für Vermögende und Krisenprofiteure kategorisch ausgeschlossen. Ganz nach dem Motto: Freie Fahrt für Porsche-Fahrer, aber halbierte Duschzeiten für Arme.

Viel wichtiger als die kurzfristigen Sparmaßnahmen zulasten der Ärmsten ist die Sicherstellung der Gasversorgung.

War es nicht etwas naiv von der Ampel, zu glauben, dass der Kreml auf harte Wirtschaftssanktionen nicht mit der Gasdrosselung antworten würde? Was sollte die Bundesregierung tun?

Die Frage ist, wie viel man dafür hergibt. Das könnten vor allem die anderen Energiesanktionen sein, die sowieso nichts bringen. Putin feiert Rekorde bei den Exporteinnahmen, da er von den hohen Preisen profitiert und alles, was der Westen nicht abnimmt, an andere Länder wie Saudi-Arabien verkauft. Gleichzeitig kaufen wir dann Öl aus Saudi-Arabien anstatt aus Russland. Das ergibt doch keinen Sinn und das ist nicht das einzige Beispiel.

Es war ein Fehler, Energiesanktionen wie das Kohle- oder Ölembargo in den Wirtschaftskrieg einzubeziehen. Diese könnte man für eine sichere Gasversorgung aufgeben und stattdessen Sanktionen gegen die Oligarchen und internationale Bündnisse für Exportkontrollen ausweiten.

Deutschland braucht also russisches Gas?

Ja, wir brauchen derzeit Putins Gas mehr als er unsere Euros. Leider.