Energie

Warum sind Gaspreise in Europa achtmal so hoch wie in den USA? Wer profitiert davon?

US-Konzerne liefern derzeit so viel Flüssiggas nach Europa wie noch nie – zu viel höheren Preisen. Die USA haben auch keine Energiekrise. Ist das gerecht?

Niedersachsen, Wilhelmshaven: Am zukünftigen Anleger für das erste deutsche Flüssiggas-Terminal findet der erste Rammschlag statt.
Niedersachsen, Wilhelmshaven: Am zukünftigen Anleger für das erste deutsche Flüssiggas-Terminal findet der erste Rammschlag statt.dpa

Die Tendenz ist schon länger da, und sie bleibt stabil: Bereits im März, kurz nach dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs, kostete Gas im Großhandel in der EU zehnmal so viel wie in den USA, etwa 160 Euro pro Megawattstunde. Auch heute ist es nicht viel besser auf dem Spotmarkt: Eine Megawattstunde kostet am 15. Juli etwa 173 Euro pro gegen umgerechnet 22 Euro in den USA.

Zum Vergleich: Am 18. Februar wurde eine Megawattstunde an der Börse in den Niederlanden noch für 73 Euro verkauft, ganz zu schweigen von 48 Euro am 1. September 2021, bevor die Gaspreise generell durch die Decke gegangen sind. Was ist das für eine Entwicklung?

„Es sind unterschiedliche Faktoren, die auf einmal zuschlagen“, erklärt der Entwicklungsexperte und Verantwortliche für Energie und Klima im SPD-Wirtschaftsforum, Dr. Patrick Kaczmarczyk (31), der Berliner Zeitung. „In Europa herrscht generelle Unsicherheit über die Gasversorgung, verstärkt wegen der realen Knappheiten und der Wartungsarbeiten an Nord Stream 1. Der Verfall des Euro und Streiks der norwegischen Gasarbeiter für bessere Löhne beunruhigen den europäischen Gasmarkt zusätzlich und erhöhen neben den Gaspreisen auch die Volatilität, also die Marktschwankungen.“ Die USA seien dagegen anders als die EU Netto-Exporteur von Gas mit einer entwickelten LNG-Infrastruktur und in diesem Sinne autark, also wirtschaftlich unabhängig.

Langfristige Verträge werden langsam verdrängt

Die Lage auf den Spotmärkten wird aktuell allerdings auch von Spekulanten angeheizt, die auf einen kompletten Gasstopp aus Russland nach der Nord-Stream 1-Wartung setzen. Die Marktspieler würden gerade alle auf „bullish“ stehen, in tierischer Erwartung auf weiter steigende Preise, kommentiert Kaczmarczyk weiter. Dazu kommt allerdings, dass Europa bei der Gasbeschaffung jetzt verstärkt auf den Spotmarkt angewiesen ist. Vor dem Ukraine-Krieg hatte vor allem Deutschland noch von langfristigen Verträgen mit Gazprom mit festgelegten niedrigeren Preisen profitiert. Jetzt laufen diese Verträge allmählich ab und werden nicht verlängert.

„Die US-Gasexporteure profitieren allerdings vom Ukraine-Krieg“, gibt Kaczmarczyk zu. Sie konnten zuletzt gerade wegen der ausbleibenden russischen Liefermengen zum ersten Mal mehr Flüssiggas nach Europa liefern als der russische Staatskonzern Gazprom Pipeline-Gas. Noch im Oktober 2021 kamen in der EU laut der Internationalen Energieagentur rund zwei Milliarden Kubikmeter Flüssiggas aus den USA an – im Juni aber schon rund 4,4 Milliarden Kubikmeter.

„Die USA haben keinen Krieg auf ihrem Kontinent, aber …“

Kaczmarczyk glaubt jedoch nicht, dass das Land generell davon profitiert. Die Ölpreise in den USA seien zwar auch niedriger als in Europa, weil die Energiesteuern insgesamt niedriger seien. Die Amerikaner hätten auch keinen Krieg und keine dramatische Flüchtlingssituation auf ihrem Kontinent. Aber sie fürchteten genauso die Rezession und hätten ein riesiges Wettbewerbsproblem wegen des starken US-Dollars.

„Die Leistungsbilanz ist in den Keller gerauscht, und die Industrie dort ist noch weniger wettbewerbsfähig gegenüber Herstellern in anderen Regionen geworden“, sagt der Experte abschließend. „Und das kann unglaublich destabilisierend für die wirtschaftliche Erholung der USA nach der Pandemie sein und für die Finanzmärkte an sich. In dieser Situation kann niemand wirklich gewinnen.“