Konjunkturprognose

Bittere Rekorde: Diese Grafik vergleicht die Inflation in den Ländern Europas

In der Schweiz sehr niedrig, in Deutschland über den EU-Durchschnitt und über 30 Prozent in Moldau: Warum sind die Inflationsraten in Europa so unterschiedlich?

Eine Kundin zahlt am Donnerstag, den 12. Mai 2022, auf dem Maravillas-Markt in Madrid für Fisch. Der Ukraine-Krieg hat die Inflation in ganz Europa beschleunigt, wobei die Preise für Energie und Lebensmittel in einem seit Jahrzehnten nicht mehr gesehenen Tempo gestiegen sind.
Eine Kundin zahlt am Donnerstag, den 12. Mai 2022, auf dem Maravillas-Markt in Madrid für Fisch. Der Ukraine-Krieg hat die Inflation in ganz Europa beschleunigt, wobei die Preise für Energie und Lebensmittel in einem seit Jahrzehnten nicht mehr gesehenen Tempo gestiegen sind.AP/Manu Fernandez

Die EU-Kommission hat am Donnerstag in einer Konjunkturprognose ihre Inflationserwartungen für den Euroraum angepasst. Im Mai hatte sie noch 6,1 Prozent prognostiziert – jetzt aber sind es durchschnittlich 7,6 Prozent: ein neuer historischer Höchstwert. Für Deutschland erwartet die Brüsseler Behörde zum Jahresende eine Inflationsrate von 7,9 Prozent.

Laut dem statistischen Amt der EU, Eurostat, liegt die Teuerungsrate im Juni in Deutschland allerdings schon bei 8,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat. Das Statistische Bundesamt (Destatis) besteht seinerseits auf 7,6 Prozent im Juni. Zum Vergleich: Im gesamten Jahr 2021 hatten sich die Preise in Deutschland im Schnitt um 3,1 Prozent erhöht. In laufenden Jahr prägen allerdings teure Energie (plus 38 Prozent) und Nahrungsmittel (plus 12,7 Prozent) laut Destatis den Preisschock in Deutschland.

Das Wunder der Schweiz: Warum nur 3,4 Prozent?

Doch es ist nicht überall so. In der Schweiz sind Energie sowie Nahrungsmittel zum Beispiel weniger teuer geworden und ergaben im Juni eine Teuerungsrate von 3,4 Prozent: ein Rekord seit 1993, aber immerhin nicht dramatisch. Das liegt vor allem daran, dass die Schweiz ihren Energiebedarf fast ganz aus Wasser- und Atomkraft deckt, während Deutschland selbst bei der Stromerzeugung noch teilweise auf Gas angewiesen ist (2021 zu 12,6 Prozent, aber in den ersten Monaten 2022 deutlich weniger) – geschweige denn bei der Wärme.

Durch Importzölle werden zudem heimische Bauern vor ausländischer Konkurrenz geschützt. Die Preise für Lebensmittel bleiben deswegen relativ hoch, aber stabil, weil sie sich unabhängig vom Weltmarkt entwickeln.

Inflation in der Türkei: Eine Katastrophe?

Auch in der Türkei war der Preisschock im Juni auf dem höchsten Stand seit 1998. Keine Überraschung bei 78,6 Prozent offizieller Inflationsrate. Laut dem unabhängigen Wirtschaftsinstitut EnaGrup liegt die tatsächliche Inflation in der Türkei sogar bei 160 Prozent. Warum?

Die seit Jahren extrem schwache türkische Lira verliert weiter unter anderem wegen der zögerlichen Zinspolitik der türkischen Notenbank an Wert (ein US-Dollar kostete am Donnerstag rund 17,5 Lira gegenüber 8,6 Lira vor einem Jahr – Anm. d. Red.) und verteuert die Importe dramatisch. Der Außenhandelsverband BGA bemängelte etwa schon 2021, dass deutsche Exporte in die Türkei aus diesem Grund stark eingebrochen wären. Dazu kommt noch die Abhängigkeit der Türkei von Russland und der Ukraine bei Energie und Getreide.

Inflation in Europa im Juni 2022*
Inflation in Europa im Juni 2022*Berliner Zeitung

Regierung in Moldawien versorgt Bevölkerung mit Brennholz

Unter dem Preisschock im Energiesektor leidet auch die Republik Moldau, wo die Inflationsrate schon bei 31,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat liegt. Das Nachbarland der Ukraine hat sich zwar nicht den westlichen Sanktionen gegen Russland angeschlossen, muss aber fast ein Drittel seines Stroms zu höheren Preisen in der Ukraine kaufen, um den Bedarf zu decken.

Die Republik rechnet dazu mit einer Drosselung der Gaslieferungen aus Russland im Herbst, auch weil man anders als im Vertrag mit Gazprom vorgesehen kein Gasschulden-Audit durchgeführt hat. Die Regierung will deswegen die Bevölkerung schon jetzt mit Brennholz für den Winter versorgen.

Russland: Inflation nur bei 15,9 Prozent?

Westliche Sanktionen gegen Russland als Antwort auf die Invasion in der Ukraine haben das Land wirtschaftlich sehr geschwächt, wobei die Abwanderung der Firmen und Technologien nach Einschätzungen der Experten erst Ende 2022 wirklich spürbar werden wird. Die russische Zentralbank prognostiziert in dieser Hinsicht einen Rückgang der Wirtschaftsleistung von bis zu zehn Prozent.

Andererseits ist es der Behörde gelungen, mit den restriktiven Maßnahmen gegen den Umlauf von Euro und US-Dollar im Inland den Rubel künstlich zu stärken und die Inflationsentwicklung etwas zu dämpfen, weswegen auch die verbliebenen Importe sich nicht dramatisch verteuern. Aus diesem Grund lag die offizielle Inflationsrate im Juni bei 15,9 Prozent anstatt bei 17,1 Prozent wie im Mai.

Auch private russische Banken erwarten in ihrer vom Staat unabhängigen Analyse eine Inflationsrate von 15 Prozent im besten und von über 15 Prozent im Worst-Case-Szenario, wenn die Importe sich langsamer stabilisieren werden als erwünscht. Diese Importe waren schon im März nach dem Beginn des Ukraine-Krieges deutlich zurückgegangen, als viele westliche Firmen sich entschieden hatten, den russischen Markt zu verlassen.

*Transparenzhinweis: Die Angaben basieren auf den geschätzten Harmonisierten Verbraucherpreisindizes (HICP) für den Juni oder, falls solche nicht vorliegen, für den Mai. Quellen: Eurostat (vorrangig) und nationale statistische Dienste.