Es war nicht das erste Mal, dass der Kanzler mit pöbelnden Bürgern aneinandergeriet. Bereits im April 2022, zum Wahlkampfauftakt der SPD in Nordrhein-Westfalen, hatte er emotional auf Zwischenrufe reagiert. Damals ging es um Corona und Flüchtlinge aus der Ukraine, um Solidarität. Vor gut zwei Monaten richtete sich Olaf Scholz dann in Falkensee bei Berlin an „liebe Schreihälse“: Der russische Präsident Wladimir Putin sei „der Kriegstreiber, der hier von euch ausgeschrien wird, wenn ihr irgendeinen Verstand in euren Hirnen hättet“.
Sein Auftritt im bayerischen Wahlkampf auf dem Münchner Marienplatz reiht sich somit ein in die seltenen Ausbrüche des Kanzlers. Gerade wenn es um den russischen Angriffskrieg geht, wirkt Scholz, der in Interviews betont besonnen auftritt, immer wieder angefasst, ja geradezu aufbrausend.
Denen, die ihn am vergangenen Freitag als „Kriegstreiber“ und „Versager“ beschimpften, antwortete Scholz, es habe nichts mit Friedensliebe zu tun, wenn man den Ukrainern sage, dass sie ihr Land einfach erobern lassen sollten. Der Kanzler, bemerkenswert deutlich: Die, die nun mit Friedenstauben auf dem Platz umherliefen, seien „vielleicht gefallene Engel, die aus der Hölle kommen, weil sie letztendlich einem Kriegstreiber das Wort reden“.
Die Frage ist, was genau der Kanzler damit eigentlich sagen wollte. Handelt es sich hierbei um eine womöglich biblische Referenz?
Gefallene Engel? Regierungssprecher gibt sich kurz angebunden
Das hätte die Berliner Zeitung gerne vom Bundespresseamt erfahren. Auch wäre eine Antwort auf die Frage interessant gewesen, ob das eine spontane Einlassung des Kanzlers war. Beides muss jedoch vorerst offen bleiben. Auf eine Anfrage antwortet ein Regierungssprecher an diesem Montag kurz angebunden: „Die Aussagen des Bundeskanzlers stehen für sich.“
Klar ist: In der SPD gibt es nicht wenige, die derartige Ansagen für gut, weil für klar und deutlich halten. Das sagen mehrere Bundestagsabgeordnete seit Monaten. Olaf Scholz vermittle auf diese Weise Haltung, heißt es dann, so wüssten die Menschen, woran sie bei ihm seien.
Der doppelte Kanzler zeigt sich demnach auch zwischen öffentlichen Auftritten und seinen Besuchen bei der Bundestagsfraktion: Vor den Abgeordneten nehme er ebenfalls kein Blatt vor den Mund, sagen Parteifreunde, er spreche Klartext.
Er freue sich über diese Momente in der Fraktion, sagt ein Abgeordneter der Berliner Zeitung. Scholz könne eben auch sehr „menschlich“ und mitreißend sein, er verlasse dann seinen „staatspolitischen Kokon“. Der Tenor unter vielen Fraktionskollegen sei: Wenn er nur 50 Prozent von dem in der Öffentlichkeit zeige, was er hinter verschlossenen Türen „raushaut“, könne das der SPD nur guttun.
Ohnehin habe Scholz sich in München nicht an diejenigen gewandt, die bei Waffenlieferungen an die Ukraine zweifelten, sondern an die, die ihn nur beleidigen wollten und sich gegen demokratische Politik stellten. Und das, sagt der Abgeordnete, sei lediglich ein radikaler Bruchteil der Menschen im Land.
Wagenknecht: So eine SPD „braucht kein Mensch“
Wenig überraschend, dass Scholz für seinen – ob spontanen oder kalkulierten – Ausbruch nicht nur Zuspruch erhält. „Wenn es nur die miserable Bildsprache wäre, könnte man ja noch stillschweigend darüber hinweggehen“, sagt die Linke-Abgeordnete Sahra Wagenknecht der Berliner Zeitung. „Aber offenbar glaubt Bundeskanzler Olaf Scholz mittlerweile ernsthaft, dass jegliches Bemühen um Frieden Teufelszeug ist und Konflikte auf dieser Welt am besten durch möglichst viele Waffen gelöst werden.“






