Die eine hat einen Strauß weißer Rosen in der Hand, die andere zündet eine Kerze an, wieder eine andere hält ein Schild in die Höhe, auf dem steht: „Gerechtigkeit für Doris S.“ Gemeinsam wollen sie an die 85-jährige Witwe aus Köpenick erinnern, die vergangene Woche tot aufgefunden wurde – erdrosselt in ihrem Haus im Ortsteil Uhlenhorst.
Eine Nachbarin hatte die Alleinlebende am Mittwochabend tot aufgefunden. Die Staatsanwaltschaft geht laut einem Sprecher von einem heimtückischen Mord aus, verübt von einem Mann: dem 62-jährigen Nachbarn von Doris, ihrem Liebhaber.
„In unseren eigenen vier Wänden sind wir nicht vor patriarchaler Gewalt sicher“, ruft eine der sechs Aktivistinnen, die sich am Montag gegen 15.15 Uhr an einem Baum neben dem Tatort versammeln und dort ihre Schilder platzieren. „Jeden Tag versucht ein Mann eine Frau aufgrund ihres Geschlechts zu ermorden, jeden dritten Tag gelingt es“, sagt sie. Mit Doris sei ihnen „eine weitere Schwester“ entrissen worden, ermordet, weil sie eine Frau war, sagt sie weiter.
Hier in Köpenick aber wirken die Aufrufe der Feministinnen gegen Gewalt an Frauen etwas deplatziert. Zumindest die Nachbarn verstehen nicht, was diese feministische Demonstration hier in ihrem Ort soll. „Die Frau liegt noch nicht mal unter der Erde“, sagt eine Anwohnerin und schüttelt den Kopf. Sie weiß nichts von der Mahnwache, die hier gleich stattfinden soll. Eine andere Nachbarin ist empört: „Gleich rufe ich die Polizei!“
Mahnwache für die ermordete Doris: Nur Feministinnen nehmen teil
Doch die Polizei ist längst da, wartet, dass der Protest startet. Die Straße, in der Doris S. lebte, hat fast Dorfcharakter. Schon ihr Name klingt nach Stille: Straße im Walde. Hier und da liegt Spielzeug in den Vorgärten. Es ist eine ruhige Wohngegend. Vor dem Haus deutet nichts auf die Gewalttat hin, die hier passiert ist. Anwohner und Nachbarn möchten sich nicht äußern über Doris S.
Kein einziger Anwohner begleitet die Mahnwache. Die Feministinnen der Frauenorganisation Zora aus der Stadt haben diese Aktion organisiert, es sind alles junge Frauen, manche jünger als 18. Sie stellen sich in einer Reihe auf, eine ruft: „Hier ist ein Femizid passiert!“ Dann zählen sie auf, wie oft Frauen Opfer männlicher Gewalt werden. In diesem Jahr seien in Deutschland bereits 67 Frauen durch die Hand von Männern gestorben. Doch während der Rede ist gar nicht mehr die getötete Doris im Fokus, sondern vielmehr weltweite Gewaltvorgänge gegen Frauen. Nutzen die Feministinnen den Fall vor allem, um ihre Ansichten gegen das Patriarchat und den Kapitalismus zu platzieren? Vielleicht ist genau das der Grund, weshalb sich die Anwohner nicht zu der Gruppe stellen, sondern lieber unter sich bleiben.
Aktivismus: „antikapitalistisch, internationalistisch, antifaschistisch“
Nachdem sie ihre Rede gehalten haben, legen sie die weißen Rosen aus dem Strauß einzeln neben die Plakatschilder: „Stoppt Femizide“ steht auf einem. Dann rufen alle gemeinsam dreimal laut in die Stille, die ihrerseits ihre Berechtigung hätte – eigentlich ist es ein Kampfschrei: „Doris S., das war Mord, Widerstand an jedem Ort.“ Darauf folgt eine Schweigeminute.
Der Begriff Femizid bezeichnet die Tötung von Frauen und Mädchen aufgrund ihres Geschlechts. Die Zora-Mitglieder sind sich sicher, dass Doris aufgrund ihres Geschlechts ermordet wurde. Auf Fragen der Berliner Zeitung wollen die Feministinnen aber nicht eingehen, sie wirken abweisend. Sie bezeichnen sich selbst als „antikapitalistisch, internationalistisch, antifaschistisch“, wollen nicht nur das Patriarchat, sondern auch die Klassengesellschaft bekämpfen.



