Zeitgleich mit dem großen Christopher Street Day (CSD) fand am vergangenen Samstag ein alternativer Pride-Marsch statt: Auf der Internationalistischen Queer Pride (IQP) zogen zwischen 8000 und 9000 Demonstranten durch Neukölln und Kreuzberg. Sie protestierten im Namen eines antikolonialen, antirassistischen und antikapitalistischen Freiheitskampfes – und gegen den Staat Israel. Auf Twitter veröffentlichte Videos zeigen, wie Teilnehmer israelfeindliche Parolen rufen.
Konkret geht es um den Ausruf „From the river to the sea, Palestine will be free“. Die Parole fordert ein freies Palästina vom Jordan bis zum Mittelmeer – und spricht somit dem israelischen Staat das Existenzrecht ab. Laut dem Jüdischen Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus (JFDA) ist die IQP seit ihrer ersten Veranstaltung 2021 wiederholt mit antisemitischer Israelkritik aufgefallen.
Internationalistische Queer Pride in #Berlin unter maßgeblicher Beteiligung von #BDS Gruppen.
— Jüdisches Forum (JFDA e.V.) (@JFDA_eV) July 23, 2022
Sprechchöre fordern "Free free Palestine" & "From the river to the sea". Rednerin bezeichnet #Israel als "Apartheidsstaat" und als koloniales "Siedlungsprojekt". #b2307 #iqp2022 pic.twitter.com/yoUAgOWfRV
Auf Nachfrage der Berliner Zeitung bestätigt die Polizei, dass bei der diesjährigen IQP wiederholt israelkritische Parolen gerufen wurden. Die Staatsanwaltschaft habe die Sachlage geprüft, die Parolen hätten jedoch „keinen strafrechtlich relevanten Inhalt“ gehabt. Auch sagte eine Sprecherin, dass die Polizei keine israelkritischen Vorfälle auf IQP-Demos der vergangenen zwei Jahre in den sogenannten Registerkarten vermerkt hat.
Dabei handelt es sich um eine Eingangsstatistik des Kriminalpolizeilichen Meldedienstes für Fälle politisch motivierter Kriminalität (KPMD-PMK). Anders als bei der Polizeilichen Kriminalstatistik werden die Fälle nicht erst nach Abschluss der Ermittlungen erfasst.
Von anderen Demonstrationen im vergangenen Jahr wurden vom KPMD-PMK 16 Fälle im „Unterthemenfeld“ Israel und 12 antisemitismusbezogene Fälle registriert. im Jahr 2021 wurden mit 31 fast doppelt so viele israelkritische Sachverhalte sowie 13 antisemitismusbezogene Tatbestände vermerkt.
BDS-Bewegung rief zu Teilnahme an Internationalistischer Queer Pride auf
Dass es in linken Kreisen und vor allem auf Demonstrationen zu antisemitischen Vorfällen kommt, ist keine Seltenheit. „From the river to the sea, Palestine will be free“ wird als ein Ausruf für Demokratie für alle gebraucht. Kritiker sagen, dass Aktivisten damit jedoch die Auslöschung des Staates Israel befürworten, ob wissentlich oder nicht.
Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, sagte der Zeitung Die Welt, dass im linken Spektrum der Ausruf bedauerlicherweise zu häufig toleriert werde. Das finde er alles andere als gut. „Wir müssen aber aufpassen, dass dafür nicht die ganze queere Community verantwortlich gemacht wird. Eine Verallgemeinerung diesbezüglich wäre absolut falsch,“ sagte Schuster im Bezug auf die IQP.
Der IQP-Marsch war am vergangenen Samstag in verschiedene Blöcke unterteilt. Mit dabei war auch der palästinensische Block, in dem unter anderem linke Gruppen wie Berlin Against Pinkwashing, Jewish Bund, Palästina Spricht, QUARC Berlin, Migrantifa Berlin und BDS mitliefen. Einige dieser Gruppierungen sind in der Vergangenheit israelfeindlich aufgefallen – auch die BDS-Bewegung, deren Argumentationsmuster und Methoden der Bundestag im Jahr 2019 in einem Beschluss als antisemitisch beurteilte.
BDS steht für „Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen“, die Bewegung setzt sich für einen umfassenden Boykott aller israelischer Wirtschafts-, Kultur- und Wissenschaftsträger ein. Kritiker betonen, dass die Gruppierung nicht nur die Ausgrenzung einzelner staatlicher Akteure und Einrichtungen fordert, sondern auf eine Isolation des gesamten jüdischen Staates abzielt und diese auch auf die Gesellschaft richtet.
Die BDS-Bewegung Berlin rief auf ihrer Internetseite mit anderen Gruppierungen zur Teilnahme am IQP-Marsch auf. Zur Begründung hieß es, dass Pride-Paraden „zu oft benutzt“ würden, um „das unterdrückerische siedler-kolonialistische Projekt des Apartheidstaates ‚Israel‘ zu kaschieren“. Dabei setzte die Bewegung Israel in Anführungszeichen. Die IQP verbreitete den Text in sozialen Medien.
Pride-Paraden würden „als Instrument für Pinkwashing missbraucht“, hieß es darin. Pinkwashing bezeichnet Strategien, die sich aus Marketinggründen mit der LGBTQ-Bewegung solidarisieren, ohne dass sich die Organisationen dahinter tatsächlich engagierten.
Der Sprecher des JFDA, Levi Salomon, sagt der Berliner Zeitung, dass auf der Demonstration „kein Wort über Gaza oder Ramallah oder die Verfolgung der LGBTQ-Community dort“ gefallen sei. Die weit über Berlin hinaus bekannte Aktivistin der LGBTQ-Bewegung Mahide Lein betont: „Wer auf eine queere Demo geht, muss auch beim queeren Thema bleiben.“
Demo-Organisatoren schweigen nach Antisemitismusvorwürfen
Salomon hält es für wichtig, für die Rechte der LGBTQ-Community auf die Straße zu gehen. Allerdings sollten die Demonstrationen nicht zweckentfremdet werden. „Meiner Meinung nach versuchen uns bekannte israelfeindliche Gruppen solche Demonstrationen für ihre Sache zu missbrauchen“, so der JFDA-Sprecher. Das Problem sieht Salomon vor allem im Ausruf „From the river to the sea, Palestine will be free“.
Die Parole impliziere israelbezogenen Antisemitismus. Die Beteuerung, dass es sich dabei „angeblich um das friedliche Zusammenleben von Palästinensern und der jüdischen Bevölkerung“ handle, hält Salomon für unglaubwürdig. „Diese Parolen richten sich auch gegen das Oslo-Abkommen und damit gegen die Zwei-Staaten-Lösung.“ Der Slogan fordere die Auflösung des Staates Israel, des Schutzraums der Juden aus aller Welt.
Daniel Poensgen vom Bundesverband RIAS sagte im Deutschlandfunk, dass man bei Ausrufen differenzieren müsse. Wenn „durch die Skizzierung der Grenzen Palästinas deutlich wird, dass Israel vernichtet werden soll“, dann sei das antisemitisch. Bei der Forderung „Free Palestine“ etwa sei das jedoch nicht der Fall.




