Brutal Berlin

Was kann Berlin besser als andere Großstädte? Ein Vergleich

Dreckige Straßen, bräsige Verwaltung, marode Schulen – Berlin hat viele Baustellen. Aber die deutsche Hauptstadt kann auch einiges besser als andere Weltstädte.

In Berlin ist nicht alles schlecht.
In Berlin ist nicht alles schlecht.Uroš Pajović/BLZ

Das Schimpfen auf Berlin ist ja besonders in der Hauptstadt selbst eine Art Volkssport. Eine Berliner Tageszeitung hat daraus sogar einen täglichen Newsletter geschaffen, in dem sie kaum etwas anderes tut. Doch unsere Redaktion hat beim Sommerurlaub gemerkt, was Berlin anderen Städten bei weitem voraus hat. Damit das Nach-Hause-Kommen sich auch für Sie lohnt, haben wir hier ein paar Heimvorteile zusammengestellt.    

Nachtbus in Amsterdam? Good luck!

Wer in Amsterdam nach Mitternacht versucht, nach Hause zu kommen, wird sich in Zukunft nicht mehr trauen, ohne Fahrrad das Haus zu verlassen. Auch am Wochenende bleiben öffentliche Verkehrsmittel wie Tram, Sprinter-Züge und U-Bahn kurz nach Mitternacht plötzlich stehen und überlassen den betroffenen Berliner seinem schlimmsten Albtraum – dem Nachtbus. Ein Phantom, das sich in Berlin nur zu den unmenschlichsten Zeiten unter der Woche in Begleitung einer Wolke von Erbrochenem antreffen lässt. Trotzdem: Auch S-Bahn, Tram und Busse bleiben uns über die Nacht erhalten, und sollte ich trotzdem Schwierigkeiten haben, nach Hause zu kommen, kriege ich die grausamen drei Stunden auch noch in einem Späti rum.

In Amsterdam kommt es aber noch schlimmer – die Preise für die Nachtbusfahrten beginnen bei 5,40 Euro. Ist das aktive Demobilisierung des Nachtlebens? Zurück in Berlin freuen sich sowohl ich als auch die Person auf dem Weg zur Arbeit, die ich zwischen dem Sekundenschlaf mir gegenüber sitzen sehe, sehr über die Ringbahn um 5 Uhr morgens. Von Qualen wie in Amsterdam kann man hier zum Glück nur träumen. Laurenz Cushion

Die Kosten einer Fahrt mit dem Nachtbus in Amsterdam
Die Kosten einer Fahrt mit dem Nachtbus in AmsterdamScreenshot

Mülleimer in Seoul? Fehlanzeige

Was ich an Berlin mehr mag als an Seoul? Die öffentlichen Mülleimer! Für viele Berliner, die sich gern über ihre dreckige Stadt beschweren, mag das eine Überraschung sein. Aber: In Berlin gibt es über 20.000 öffentliche Mülleimer, in Seoul nur wenige Tausend. In den frühen 2000er-Jahren sind viele Mülleimer entfernt worden, um die Bürger davon abzuhalten, die Kosten der Müllentsorgung auf die Regierung abzuwälzen. Seit einigen Jahren werden wieder mehr Mülleimer aufgestellt, aber es sind immer noch sehr wenige – auch in Touristengegenden.

Die pflichtbewussten Besucher tragen ihren Müll in einer Tüte bei sich, der Rest lässt ihn am Straßenrand stehen. Vorbildliche Touristen sollten sich also gut vorbereiten und einen (waschbaren) Beutel mit auf die Reiseliste setzen. Und das nächste Mal, wenn ihr eure Tüte vom Bäcker einfach an der nächsten Haltestelle in den Mülleimer fallen lassen könnt, seid dankbar. In anderen Großstädten ist das nicht selbstverständlich! Anika Schlünz


Helmpflicht? Tel Aviv ist serious!

Ich bin wirklich eine überaus vorbildliche Fahrradfahrerin. Ich nutze in Berlin jeden noch so holprigen, löchrigen, engen oder versteckten Radweg. Ich halte brav an gelben und roten Ampeln. Ich schreie keine Touris an, die mit Koffer auf der Fahrradspur stehen – und vor allem trage ich einen Helm. Eigentlich immer. Aber letztens, da fuhr ich dann doch auch ohne ihn und ließ den Berliner Wind durch meine Haare wehen. Das einzig Gute daran: Ich hatte keine Angst davor, eine hohe Strafe zahlen zu müssen.

Ganz anders in Tel Aviv in Israel, wo ich beinahe 2000 Schekel (etwa 450 Euro) hätte bezahlen müssen. Ich hörte einen Podcast über beide Ohrstöpsel (1000 Schekel Bußgeld) und fuhr ohne Helm (1000 Schekel). Ein paar Jugendliche stellten sich vor mir auf und gestikulierten wild. Sie sagten, dass weiter vorn die Polizei alle Verkehrssünder herausziehe. Ich schob also meinen Roller heim – und fuhr fortan nur noch mit Helm. Hannah Prasuhn


Pariser Baguettes? Aroma nur für einen Tag

Stadt der Liebe und der schönen Altbauten, und das Markenzeichen ist das Baguette. Was kann Berlin besser als Paris? Das Brot. Da kann sich Paris wirklich etwas bei Berlins Zeit-für-Brot-Filialen, der Brotgarten Bäckerei mit Vollkorn- und Biobrot, oder aber bei Brot & Butter mit frischem Sauerteigbrot abschauen. Als ich in Paris lebte, musste ich mir immer wieder anhören, wie toll doch die Auswahl der verschiedenen Baguettes sei, und dass man es auf keinen Fall anschneiden dürfe, das zerstöre das Aroma.

Aber mal ehrlich, schon nach einem Tag hat es sich „ausaromatisiert“, das Baguette ist trocken, ungenießbar, man beißt sich wortwörtlich daran die Zähne aus. Da greife ich lieber zum Brot, das ist zudem gesünder. Doch genießen kann man das in Paris nicht – entweder ist es zu trocken oder furchtbar überteuert. Und übrigens: Auch Döner sollte man lieber in der deutschen Hauptstadt als in der französischen Metropole bestellen. Chiara Maria Leister


In Tokio ist alles so unheimlich still

Es ist ja kein Geheimnis, dass Japaner es mit der öffentlichen Ruhe noch etwas genauer halten als die Deutschen. Das hat auch definitiv Vorteile, denn wenn es nicht gerade Rush Hour ist, sind japanische Öffis wirklich wunderbar ruhig und höflich. Telefonieren, sogar laut sprechen und essen sind verpönt. Und was verpönt ist, das passiert einfach nicht. Auch wenn ich das in meiner Zeit in Tokio sehr geschätzt habe, freue ich mich jetzt umso mehr über Berlin. Denn hier habe ich schon in den ersten zwei Wochen nach meiner Ankunft die S3 praktisch zu meinem Zuhause gemacht.

Bei fast einer Stunde Fahrtzeit jeden Morgen geht es auch nicht anders. Hier kann ich frühstücken, schreiben und sogar kurz die Augen schließen, ohne dass ich angestarrt werde. Zwischen den Musikern, nach Hause kommenden Party-Tieren und laut telefonierenden Anzugmenschen falle ich nicht auf, und niemand fühlt sich beleidigt. Alle leben, überall, die ganze Zeit, hier in Berlin, sagt mir eine Freundin, kurz nachdem ich in Berlin ankomme und einen Großstadt-Kulturschock habe. Und das mag ich. Juno Kolmorgen


Kein Feierabendbier in Zürich

Man muss sich folgendes Szenario vorstellen: Es ist 20:30 Uhr und man möchte in Zürich draußen spontan noch ein Bier oder eine Limo trinken oder sich noch schnell ein paar Chips für den bevorstehenden Filmabend kaufen. Leider muss man hier bis zum nächsten Tag warten, sofern nicht Sonntag ist. Die meisten Geschäfte schließen unter der Woche bereits um 20 Uhr und kleinere Läden noch weitaus früher. Zwar gibt es Kioske, aber von einem Späti, der im besten Falle die ganze Nacht über geöffnet ist, hat man in Zürich nie gehört.

Berlin ist die Stadt des Nachtkonsums. Mit knapp 1000 Spätis hat man als in Berlin lebende Person kein Problem damit, abends noch was einzukaufen, denn die meisten enttäuschen mit den Öffnungszeiten nicht. Zwar wurde den Berlinern der Sonntagsspäti per Verbot geraubt, aber immerhin steht es die restlichen sechs Tage sehr viel besser um ein theoretisches Feierabendbier als in Zürich. Leandra Vorndamm


Keine Erholung in Rom

Mal raus aus der Stadt? Sicher, in Rom hat man Ostia oder ein paar andere Strandorte in der Nähe. Aber dort backen die Metropolenflüchter eng an eng in der Sonne, und so richtig schön ist es dort nicht. Schon gar nicht, wenn man sich auch etwas bewegen will. In Berlin hat man dagegen die süße Qual der Wahl, denn es gibt mindestens Hunderte von Optionen, zu fliehen und sich im Grünen am Wasser zu erholen. Baden, wandern, oder einfach nur im Wald sein, mit anderen oder allein: Kein Problem! Es gibt nicht viele Metropolenräume, in denen es so einfach ist, sich zu erholen.

Das fängt mit dem Stadtgebiet an, hört aber damit noch lange nicht auf. Kluge Stadtpolitik hat den Berlinern und ihren Gästen eine Vielfalt an Wäldern und unverbauten Ufern bewahrt, die weltweit ziemlich einzigartig sein dürfte. Und weil wir in Berlin sind: Gastronomie ist nie weit entfernt.

Es gibt so viele Beispiele. Etwa: Am Teufelsseemoor entlang, dann über die Müggelberge an den Strand der Dahme. Im Schmetterlingshorst eine Bockwurst zur Stärkung oder im Strandbad Wendenschloss ein Bier zum Abschuss. Oder: Im Liebermann-Haus Kaffee trinken mit Blick auf den Wannsee. Dann die Havel entlangspazieren zur Pfaueninsel, zum Gasthaus Moorlake und zur Glienicker Brücke. Noch Energie? Potsdam ist nebenan.

Und dann das Land Brandenburg! Selbst Hotspots wie der Spreewald oder die Seen bei Potsdam wirken nie überlaufen, und auch sie bieten verschwiegene Ecken, in denen der Ausflügler fast allein ist. Aber der wahre Schatz des Nachbarbundeslandes sind die großartigen offenen Landschaften wie in der Uckermark und in der Prignitz. Nicht zu vergessen die Waldseen im Norden des Landkreises Oberhavel. Das Schlaubetal bei Müllrose, das Stobbertal in der Märkischen Schweiz, das Planetal im Hohen Fläming.

Auch wenn wieder das Gejammer losgeht: „Wie komme ich ohne Auto dorthin?“ Es ist alles täglich mit dem öffentlichen Verkehr erreichbar, mindestens in der Kombination Bahn und Fahrrad oder Bahn und kurze Wanderung. Einfach mal bei vbb.de checken. Also auf ins Grüne und ans Wasser: In Berlin ist das einfacher als anderswo. Peter Neumann


In London findet man wenig Miteinander und Mieten aus der Hölle

Berlin befindet sich gerade in einer Wohnungskrise – klar, wussten wir schon. Schadenfreude gefällig? Dann schau mal gerne nach London. Vor einigen Jahren zahlte ich in der britischen Hauptstadt für ein etwa zehn Quadratmeter großes Zimmer mit zugigen Fenstern und Wanzen in einer 6er-WG am äußersten Rand der Stadt mehr als jetzt für eine ganze, 50 Quadratmeter große Wohnung in einem gut angebundenen Berliner Stadtteil. Damals konnte man sich in London zumindest über eine kurze Wohnungssuche freuen, wenn man das passende Kleingeld vorlegen konnte - aber seit der Pandemie geht selbst das nicht mehr, erzählen mir meine Freunde, die noch da wohnen. Sie schauen mich immer verzweifelt an, wenn ich von meiner Berliner Wohnung erzähle.

Und was kriegt man in London, nachdem man in der Regel die Hälfte des Gehalts für die Miete ausgegeben hat? Man darf in einer Stadt leben, in der es den meisten Menschen nur um sich selbst geht. Die Londoner gehen mit halsbrecherischer Geschwindigkeit und Tunnelblick durch den Alltag – und wer im Rollstuhl oder mit Kinderwagen unterwegs ist, sollte keine Geduld oder Höflichkeit von den anderen erwarten. Ihr Ziel ist sicherlich wichtiger als deins, du Langweiler. Eine Freundin meiner Großmutter bekam in einem Londoner Bahnhof einen Schlaganfall, nachdem sie von einer Pendlerin aus dem Weg gestoßen wurde und mit dem Kopf auf den Boden schlug. Eine genaue Übersetzung für „miteinander“ habe ich auf Englisch noch nicht gefunden; irgendwie ganz passend, denke ich mir immer, wenn ich in London bin.

Diese intensive Hektik schreibe ich der starken Zentralisierung Großbritanniens zu. Jede Branche und Industrie, wirklich alles, was das Land antreibt, befindet sich in London. Dass das in Berlin und Deutschland anders ist, hat mir immer gefallen. Viele Londoner würden eigentlich lieber woanders leben oder nicht von ihren Häusern im gesichtslosen Speckgürtel in die Stadt pendeln müssen – arbeitsbedingt müssen sie aber zumindest in der Nähe von London bleiben. Dass man in Berlin von „Wahlberlinern“ spricht, in London aber keinen entsprechenden Begriff hat, finde ich in diesem Zusammenhang wenig überraschend.

Jetzt, wo ich selbst seit fast drei Jahren Wahlberlinerin bin, fühle ich mich bei jedem Londonbesuch, als ob ich bereits nach wenigen Stunden aus diesem Hamsterrad des ständigen Konkurrenzkampfs ausbrechen muss. In solchen Momenten sehne ich mich nach Berlin, wo jeder Platz und Zeit findet, sich einfach treiben zu lassen, und wo man nur wohnt, weil man es wirklich will – anstrengende Wohnungssuche hin oder her. Elizabeth Rushton


Der tägliche Verkehrsinfarkt in Jakarta

Wer einmal in Jakarta im Stau stand, weiß, was Verkehrsinfarkt bedeutet. Es geht mitten in der Stadt für Stunden nur wenige Meter voran. Kinoabende, Dinnerverabredungen, Beerdigungen und Hochzeiten, alles muss verschoben und abgesagt werden, weil gerade mal wieder irgendjemand im Stau steht. Und was tut der Bürgermeister dagegen? An Tagen mit geraden Zahlen (zum Beispiel heute am 12. August) dürfen auf großen Straßen nur Autos mit geraden Zahlen am Ende des Nummernschildes fahren. Morgen dann nur die mit ungeraden Zahlen. Der Effekt? Der Trend geht bei vielen Einwohnern zum Zweitwagen. Es ist zum Verrücktwerden. 

In Berlin wird zwar viel gebaut und ja, manchmal dauert es in der Rush Hour länger. Aber die vierspurigen „Parkplätze“, wie Indonesier ihre Hauptverkehrsstraßen gern nennen, davon blieb Berlin verschont. Sören Kittel


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