Open Source

Öl, Geld und Macht: China ist auf rasantem Erfolgskurs im Nahen und Mittleren Osten

Die von Peking initiierte Aussöhnung zwischen Iran und Saudi-Arabien eröffnet auch anderswo neue Möglichkeiten. Der Westen schaut fassungslos zu. Ein Gastbeitrag.

Xi Jinping bei seinem Besuch in Iran im Februar 2023. Auf dem Bild schüttelt er dem iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi die Hand.
Xi Jinping bei seinem Besuch in Iran im Februar 2023. Auf dem Bild schüttelt er dem iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi die Hand.Yan Yan/Xinhua via AP

Frieden im Nahen und Mittleren Osten? Was für eine schöne Vision. Lässt sich diese auch verwirklichen?

Basierend auf der Initiative der Volksrepublik China, die ihr geopolitisches Engagement jetzt auch in der Region um den Persischen Golf intensiviert, vereinbarten Riad und Teheran Anfang März, die seit 2016 geschlossenen Botschaften innerhalb von zwei Monaten wiederzueröffnen, die Beziehungen zu normalisieren und eingefrorene Abkommen über wirtschaftliche Kooperation und Sicherheitszusammenarbeit umzusetzen.

Pekings Coup: Vermittlung im Konflikt zwischen Iran und Saudi-Arabien

Die Tatsache, dass es der chinesischen Diplomatie gelungen ist, in dem Konflikt zwischen Iran und Saudi-Arabien zu vermitteln, symbolisiert auch den schwindenden Einfluss Washingtons in der Region.

Amerikas Kriege in der Region, in den letzten zwei Jahrzehnten völkerrechtswidrig und durch Unwahrheiten begründet, die Hunderttausende von Menschenleben gefordert haben und aus deren gescheiterten strategischen Entwürfen der IS seinen Siegeszug entfachen konnte, haben Folgen hinterlassen, die nicht einfach über Nacht beseitigt werden können.

Amerikas Scheitern in Afghanistan

Die Flucht der USA aus Kabul im August 2021 hinterließ nicht nur ein geopolitisches Vakuum, welches jetzt durch die Chinesen ausgefüllt wird, sondern vermittelte auch Washingtons Verbündeten in der Region, wie schnell sie fallen gelassen werden könnten.

Was Afghanistan angeht, so ist die Volksrepublik dort nicht in Versuchung geraten, die Fehler anderer Großmächte zu wiederholen, um dort militärisch zu intervenieren, obwohl China eine gemeinsame Grenze mit Afghanistan hat.

In Peking hat man das Scheitern diverser Großmächte am Hindukusch studiert und teilt heute die Auffassung, dass es leicht sei, Afghanistan zu erobern, aber unmöglich, es zu beherrschen. Stattdessen ist China schon seit 2017 zum größten Auslandsinvestor in Afghanistan aufgestiegen.

Flankiert von strategischem Kalkül wird dort genau wie andernorts in Infrastruktur und Kooperationen investiert, sodass das Land zwangsläufig so zu einem weiteren Mosaikstein des Megaprojekts „Neue Seidenstraße“ wird. Nach der Flucht der US-Truppen aus Kabul präsentierte der Afghanistan-Sonderbeauftragte der Volksrepublik, ein gewisser Deng Xjun, einen Vorschlag als Gegenpol zu den hilflosen Vorschlägen Trumps und seiner Verbündeten, die US-Truppen dort wieder aufzustocken.

Deng Xjun äußerte das, was man im Westen beflissentlich ignoriert: „Es gibt keine militärische Lösung für Afghanistan!“ Ferner erklärte der chinesische Sonderbeauftragte, dass mehr Soldaten keine Klärung brächten. Um den fast 40 Jahre tobenden Krieg in Afghanistan zu beenden, seien Verhandlungen notwendig, vor allem mit Pakistan und den Taliban.

Saudi-Arabien orientiert sich nach Osten

Was die aktuellen Entwicklungen angeht, so ist auch die beachtliche geostrategische Neuausrichtung Riads bemerkenswert, galt das wahhabitische Königreich doch jahrzehntelang als Washingtons enger Verbündeter und seit 1979 auch als dessen Prellbock gegen den schiitischen Iran. Diese Beziehungen waren im erheblichen Maße problematisch.

„Sleeping with the devil“ lautet der Titel des sehr empfehlenswerten Bestsellers des Ex-CIA-Agenten Robert Baer. In diesem Buch hat Baer die skandalöse Komplizenschaft zwischen der saudischen Dynastie und der amerikanischen Erdöl-Plutokratie aufgedeckt. Solange das Erdöl und die Petrodollar sprudelten, drückte man in Washington beide Augen zu, wenn wieder einmal ruchbar wurde, dass irgendwelche saudischen Geldgeber den religiösen Fanatismus weltweit schürten.

Ob in der islamischen Welt oder in der Diaspora. Michael Scott Doran, Nahost-Experte der Princeton University, schrieb nach den Anschlägen von 9/11, deren Attentäter größtenteils die saudische Staatsbürgerschaft besaßen, dazu: „Die Situation ist kritisch, weil die USA über geringe Mittel verfügen, der anti-schiitischen und anti-amerikanischen Strömung entgegenzuwirken. Der Wahhabismus ist die Grundlage eines gesamten politischen Systems.

Jeder, der vom Status quo profitiert, wird sich um dieses System scharen, falls es von außen angetastet wird. Den Vereinigten Staaten bleibt keine andere Wahl, als die fälligen demokratischen Reformen im Irak und in Saudi-Arabien energisch voranzutreiben.

Doch jeder Versuch, eine liberale politische Ordnung zu schaffen, wird zusätzlichen Disput auslösen. Die anti-amerikanische Stimmung würde angeheizt. Bei seinem Bemühen, die Demokratie im Mittleren Osten zu fördern, wird Washington wieder einmal feststellen müssen, dass seine engsten arabischen Verbündeten gleichzeitig seine erbittertsten Feinde sind.

Peking am Persischen Golf

Inzwischen hat China die USA abgelöst, denn der größte Teil der Erdöl-Exporte Riads geht nach Peking. Ende letzten Jahres war der Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chinas Xi Jinping persönlich nach Saudi-Arabien gereist. Im Rahmen dieses Aufenthaltes wurde unter anderem vereinbart, zukünftig saudisches Öl direkt an der Shanghaier Börse in chinesischen Yuan abzurechnen.

Die Golfregion ist für die Volksrepublik also wichtig, als Bestandteil seiner Seidenstraßen-Initiative und als Region, aus der die Volksrepublik rund die Hälfte seines Erdöls bezieht. Eigentlich stellt diese Region ein zentrales Feld der gemeinsamen Interessen zwischen China und der EU dar. Weil aber Brüssel auf eigene geostrategische Entwürfe verzichtet, wie Frankreichs Präsident Macron kürzlich wieder angemahnt hatte, hat die EU dem Prozess der Verlagerung der Weltpolitik und der Weltwirtschaft in Richtung Eurasien nichts entgegenzusetzen. Dabei würde die EU davon profitieren und das mäßige Wirtschaftswachstum in den Mitgliedsstaaten stimulieren.

Chinas Engagement im Iran basierte ursprünglich auf dem Wunsch, seine Produktlieferung auf dem Landweg in Richtung Europa nicht einseitig von Russland abhängig zu machen. Peking investiert daher schon seit Jahren in die Infrastruktur Irans, der aufgrund seiner Größe und geografischen Lage prädestiniert ist, ein Drehkreuz zu bilden zwischen dem Kaspischen Meer und dem Persischem Golf.

Chance für den Frieden

Ein Frieden zwischen Saudi-Arabien und Iran hat das Potenzial, die gesamte Region zu befrieden. Vor allem im Jemen könnte eine Entschärfung des dortigen Bürgerkrieges die positive Folge sein, im besten Fall ein Ende des blutigen Konflikts.

Im Libanon unterstützt Riad die sunnitischen Parteien, während der Iran die schiitische Hisbollah protegiert. Eine Annäherung könnte in dem politisch gespaltenen und in einer schweren Wirtschaftskrise steckenden Land helfen, die Aussöhnung zu finden.

In Syrien gehört der im Westen schon vor zwölf Jahren totgesagte Präsident Assad zu den Gewinnern einer weiteren Annäherung zwischen Iran und Saudi-Arabien. Assad, der in der Vergangenheit die jeweiligen Herrscher in den Golf-Emiraten und in Saudi-Arabien als „Emire der Wüste und der Finsternis“ zu titulieren pflegte (aufgrund deren massiver Unterstützung der syrischen Rebellen), erlebt dieser Tage eine Rehabilitierung und internationale Aufwertung. Erstmals seit Beginn des Krieges in Syrien vor zwölf Jahren hat ein syrischer Außenminister kürzlich Saudi-Arabien besucht.

Vorstoß in Richtung Levante

In Peking haben die außenpolitischen Ambitionen für den Nahen und Mittleren Osten ihren Höhepunkt anscheinend noch nicht erreicht. Nach dem diplomatischen Coup zwischen Riad und Teheran widmet sich China den Friedensgesprächen zwischen Israel und den Palästinenser. Sein Land sei sehr besorgt bezüglich der Eskalation zwischen Israel und den Palästinensern, ließ Außenminister Qin Gang am Montag verlautbaren.

China sei bereit, die Initiative zur Förderung des Friedens in der Region zu übernehmen, vermeldete das Außenministerium. Qin habe beide Seiten dazu ermutigt, „Schritte zur Wiederaufnahme von Friedensgesprächen“ zu unternehmen. Die Volksrepublik sei bereit, dafür einen Rahmen zu schaffen, ließ er laut Xinhua in seinem Telefonat mit dem israelischen Außenminister Eli Cohen verkünden.

Der Einfluss Chinas in der Region wird also weiter wachsen.

Das ist ein Beitrag, der im Rahmen unserer Open-Source-Initiative eingereicht wurde. Mit Open Source gibt der Berliner Verlag freien Autorinnen und Autoren sowie jedem Interessierten die Möglichkeit, Texte mit inhaltlicher Relevanz und professionellen Qualitätsstandards anzubieten. Ausgewählte Beiträge werden veröffentlicht und honoriert.

Haben Sie Feedback? Schreiben Sie uns! briefe@berliner-zeitung.de