Krieg und Frieden

„Scheitert die Ukraine, scheitert Europa“: Ukrainer-Protest gegen den Ostermarsch

Am Brandenburger Tor rufen Demonstranten eine „neue Friedensbewegung“ aus, fordern Waffen und sind überzeugt: Ohne Freiheit kein Frieden.

Vor allem junge Leute demonstrierten  vor dem Brandenburger Tor für die Ukraine, für Waffen und gegen den Pazifismus der Ostermarschierer.
Vor allem junge Leute demonstrierten vor dem Brandenburger Tor für die Ukraine, für Waffen und gegen den Pazifismus der Ostermarschierer.Fabian Sommer/dpa

Sie kommen aus Mariupol, der seit Mai 2022 russisch besetzten, schwer zerstörten südukrainischen Stadt. Rostyslav und Juliia sind empört über den deutschen Pazifismus der Privilegierten, der der Ukraine das Recht zur Verteidigung bestreitet.

„Wir können doch unser Land, unsere Stadt nicht einfach Russland überlassen, dort leben doch unsere Leute!“, sagen sie. Deshalb sind sie bei der Demonstration am Sonnabend am Brandenburger Tor dabei: „Wir müssen kämpfen, wir brauchen Waffen“, sagen die beiden Studenten. Die Forderung der Ostermarschierer, die zur gleichen Zeit durch Wedding ziehen, nach „Frieden schaffen ohne Waffen“, finden sie „schrecklich“, keinesfalls könnten sie „Frieden nach russischen Begriffen“ akzeptieren.

Etwa 500 Menschen sind dem Aufruf des Vereins Vitsche, den ukrainische Aktivisten in Berlin gegründet haben, gefolgt, haben sich in blau-gelbe Fahnen gehüllt, weitere Ukraine-Fahnen schwenken sie in der Luft. Als ein original Berliner Leierkastenmann die ukrainische Nationalhymne kurbelt, legen viele bewegt die Hand aufs Herz. Zum ersten Mal ertönt der Ruf „Slawa Ukrajini“, Ruhm der Ukraine. Er wird in der nächsten Stunde dutzendfach über dem Platz des 18. März aufsteigen.

Gegen Propaganda und Lügen

Das Motto der Demonstration „No Freedom – No Peace“ (Ohne Freiheit kein Frieden) ist ein Aufschrei gegen die Forderung der Ostermarschierer vom Wedding, die von Frieden reden und nicht verstehen, dass die Ukraine den Preis für den Frieden in Europa zahlt – so sagen es die beiden Rednerinnen Vlada Vorobiova und Eva Jakubovska – eine auf Ukrainisch, eine auf Deutsch: „Frieden ist als Geschenk von Diktatoren nicht akzeptabel. Frieden ist nicht einfach da. Man muss für ihn kämpfen.“ Und: „Russland ist ein Terrorstaat, das müsst ihr verstehen.“ Wer auf Plakaten „Freundschaft mit Russland“ fordere, erliege noch immer der russischen Propaganda: „Ohne Freiheit von Propaganda und Lügen kann es keine Friedensbewegung geben.“

Die Zeit der alten Friedensbewegung ist vorbei, ihre Denkweise angesichts des russischen Überfalls auf die Ukraine und der dort verübten Kriegsverbrechen obsolet – so sehen es die Opfer des Angriffskriegs und sind überzeugt: „Jetzt ist die Zeit für eine neue Friedensbewegung.“ Die Demonstration sehen sie als einen Anfang für diese neue Kraft. Dafür wollen sie laut sein und weit über Deutschland hinaus, nach Europa und noch weiter wirken.

Lars Umanski, jüdisch-deutscher Aktivist, erinnert daran, dass 45 Prozent der in Deutschland lebenden Juden ukrainische Wurzeln haben und ein Jude Präsident der Ukraine ist: „Das ist eine Errungenschaft und die russische Propaganda vom angeblichen ukrainischen Faschismus absurde Propaganda.“ Unter russischer Diktatur zu leben, wäre gleichbedeutend mit Sklaverei.

Er sagt das am Ostersonnabend, am jüdischen Pessach, das die Befreiung aus ägyptischer Sklaverei feiert. Gerade Deutschland sollte aus seiner Geschichte wissen, sagt er, dass man angesichts von Verbrechen nicht schweigen darf: „Man muss den Opfern helfen – jetzt auch mit Waffen.“ Lars Umanski wirft den Ostermarschierern Naivität, Wunschdenken und Geschichtsvergessenheit vor: „Ein Waffenstopp wäre der Untergang der Ukraine.“ Und dann wären andere Staaten dran. Seine Mahnung: „Scheitert die Ukraine, scheitert Europa.“

Das ist eine große Sorge der Demonstranten: „Je stärker die prorussische Position auch durch das Auftreten der Ostermarschierer wird, desto größer die Gefahr, dass die Ukraine nicht genug Waffen zu ihrer Verteidigung bekommt“, sagt Vitsche-Sprecherin Krista-Marija Läbe.

Eva Quistorp, Gründungsmitglied der Grünen und Aktivistin der Friedensbewegung der 1980er-Jahre, beschreibt in ihrer Ansprache Russland als „Mafiastaat“ und sieht Wladimir Putin getrieben von kolonialistischem, neostalinistischem und imperialem Wahn. „Fühlt euch nicht allein“, ruft sie den Versammelten zu und donnert Richtung Ostermarsch: „Wer gegen Waffenlieferungen ist, ist gegen die Ukraine.“

Zum Schluss treten die Friedenstauben auf: In einer Satire der Künstlerplattform Tu aus Mariupol sitzen Menschen mit Vogelmasken um einen weiß gedeckten Tisch, stoßen mit Sekt an und picken an Hummern herum. In den Händen halten die Insassen dieser Komfortzone Plakate mit den bekannten Pazifistenslogans wie: „Freundschaft mit Russland“ und „Den Frieden gewinnen, nicht den Krieg“. Worte aus einer Welt, die mit der Realität der anwesenden Ukrainerinnen und Ukrainer nichts zu tun hat.