Als die Linke-Bundestagsabgeordnete Zaklin Nastic am Sonnabend die Bühne auf dem Elise-und-Otto-Hampel-Platz in Wedding betritt, klatschen und jubeln die Demonstranten. „Wir werden als Lumpenpazifisten beschimpft“, ruft sie über den Platz. Die Demonstranten schwenken ihre Antikriegsfahnen, als sie sagt: Dabei geht es doch nur um Frieden.
Die Politikerin steht an diesem Tag beim größten Ostermarsch in Berlin ziemlich alleine da: Andere Linke-Politiker halten sich fern, meiden die Kundgebung, haben zu anderen Märschen unter anderem in Potsdam aufgerufen.
Das veranschaulicht wieder einmal, wie uneins die Partei beim Thema Russland und Ukraine ist. Und wie gespalten die Lager sind: Nastic verteidigt Sahra Wagenknechts Positionen, auch sie wirft der Regierung einen „Wirtschaftskrieg“ gegen Russland vor. Andere in der Partei rufen zur Solidarität mit der Ukraine auf. Und dann gibt es noch eine Gegendemo einiger Ukrainer, die am Ostersonnabend in den Wedding gezogen sind, was die Stimmung zeitweise aufheizt.
Es ist 13 Uhr, als die Menschen auf dem Elise-und-Otto-Hampel-Platz so langsam eintrudeln, sie tragen Transparente wie „Die Nato ist der Aggressor. Frieden mit Russland“, „Stoppt den Krieg!“, „Frieden, Heizung, Brot statt Waffen, Krieg und Tod“ oder „Keine weiteren Waffen an die Ukraine“. Daneben wehen Verdi-Flaggen und solche mit Friedenstauben.
Sie alle sind dem Aufruf der Friedenskooperative gefolgt, die unter dem Motto „Den Frieden gewinnen – nicht den Krieg!“ zur Demonstration aufgerufen hatte. Die Polizei zählt mehr als 1500 Teilnehmer, die später mit Trillerpfeifen und Trommeln durch den Bezirk ziehen werden. Die Veranstalter sprechen von knapp 2000 Teilnehmern.

Doch erst einmal sind die Redner dran. Neben Zaklin Nastic sind weitere auf der Bühne. Lühr Henken, Co-Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag, ruft in die Menge: „Der Krieg in der Ukraine muss so schnell wie möglich beendet werden.“ Der Bundesausschuss Friedensratschlag (Kassel) ist ein Zusammenschluss friedenspolitisch engagierter Menschen. Michael Müller von den NaturFreunden Deutschland fordert eine andere Zeitenwende der Regierung. Diese, verbunden mit Aufrüstung, wolle er nicht. Es sind Trillerpfeifen zu hören.
Starker Beifall auch, als ein Redner fordert, die Ukraine sei gut beraten, jetzt mit Russland in Verhandlungen einzutreten. Die proukrainischen Gegendemonstranten kontern lautstark: „Es gibt keinen Frieden unter russischer Besatzung“ und halten ein Plakat hoch: „Kampfjets liefern, Leben retten“. Ein Polizist versucht zu schlichten, sagt später: „Die Stimmung ist sehr gereizt.“
Auch bei den Demonstranten ist die Zerrissenheit der Friedensbewegung und die Spaltung der Linken zu spüren. Jeder hält an seiner Position fest, es gibt viele Wahrheiten auf dem Ostermarsch in Wedding, mit einer Schnittmenge: Frieden wollen sie alle, auch die ukrainischen Gegendemonstranten.
Über die Lösung dagegen wird gestritten. Mehrere Teilnehmer sprechen sich für die Aufnahme von Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine aus. Ihrer Ansicht nach sollen alle Waffenlieferungen an das angegriffene Land eingestellt und die Sanktionen gegen Russland aufgehoben werden. Andere sind dagegen. Es ist ein bunter Mix.

Andrea und Jörg Thomas sind eigens aus dem 260 Kilometer entfernten Altenberg in den Wedding gekommen. Sie sitzt seit Wochen jeden Montag vor dem sächsischen Altenburger Rathaus, um für den Frieden zu demonstrieren. Auch hier hält sie ihr Plakat mit der Aufschrift „Zündet Lichter an für den Frieden – Frieden schaffen statt Waffen liefern“. Sie sagt: „Wir sind extra hierhergekommen, weil unsere Friedensbewegung in die rechte Szene abgerutscht ist.“ Hier habe sie solche Leute noch nicht gesehen. Das beruhige sie. Experten warnen schon lange vor einer Unterwanderung durch Rechtsextreme.
Für Christine Wiemann aus Reinickendorf ist klar, dass die zerrüttete Friedensbewegung nur schaden kann. „Wir wollen alle das Eine, und das geht nur gemeinsam“, sagt sie am Sonnabend. Alles andere spiele Rechtsextremen in die Hand. Und auch die Regierung solle sich endlich für einen Frieden aussprechen, statt immer mehr Waffen in die Ukraine zu liefern.

Mit dabei beim Ostermarsch ist auch Laura von Wimmersperg. Seit mehr als 40 Jahren demonstriert sie zu Ostern – gegen Atomwaffen, gegen Kriege und für Frieden. Die Berlinerin hat im Herbst 1980 das Netzwerk Friedenskoordination Berlin mitgegründet und die ersten Ostermärsche in der Stadt initiiert. „In keiner Zeit war der Ostermarsch so wichtig wie in diesem Jahr“, sagt die 88-Jährige heute. „Die Gefahr, Kriege zu führen und damit unterzugehen, ist größer geworden.“ Auch sie ist Parteimitglied der Linken, und ihr ist bewusst, dass der Krieg gegen die Ukraine spaltet: „Es gibt einen Riss durch die Friedensbewegung.“
Zu den Unterstützern der Ostermärsche gehört auch dieses Jahr wieder der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB). Man fordere „Frieden, Abrüstung und mehr soziale Gerechtigkeit“, heißt es an dem Tag. Es sei unerträglich, wie leichtfertig Politiker teils nach mehr Waffen riefen. Weiter betont der DGB aber auch: „Unsere Positionen verharmlosen nicht den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Wir werden niemals zulassen, dass rechtsextreme Organisationen sich uns anschließen.“
Auch Grüne distanzieren sich vom Ostermarsch in Berlin
Auch Grüne distanzieren sich vom Ostermarsch in Berlin. Die Parteimitgründerin Eva Quistorp hatte von 1981 bis 1983 Zehntausende Menschen für Friedensdemonstrationen in Bonn mobilisiert. Ostern sprach die Theologin auf der Versammlung „Ohne Freiheit kein Frieden“ des Vereins Vitsche in Berlin – eines Zusammenschlusses junger Ukrainerinnen und Ukrainer, die in Deutschland leben.
„Ich fühle mich als Vertreterin der Friedensbewegung aus der Tradition verpflichtet, die jungen Ukrainerinnen gerade zu Ostern zu unterstützen“, erklärte die frühere EU-Abgeordnete in der „Tagesschau“. „Die Ostermärsche sind nicht eindeutig solidarisch.“





