Lesen Sie das beliebte Interview mit Deborah Feldman: „Man darf in Deutschland nur auf bestimmte Art über Israel sprechen“
Bei der Sendung „hart aber fair“ am 11. September 2023 zeigte Moderator Louis Klamroth auf einer Tafel, was die Ampel „auf den Weg gebracht hat“. Die Politikwissenschaftlerin Ursula Münch sagte, die schlechte Beurteilung der Regierung zur Halbzeit habe auch mit zwei dieser Themen zu tun: Cannabislegalisierung und Selbstbestimmungsgesetz.
Die „Stärkung von Minderheitenrechten“ erfordere für einen großen Teil der Bevölkerung kein „vorrangiges Regierungshandeln“, stellte Münch fest. Die Menschen fragten: „Wie kommen die dazu, sich für diese Minderheitenthemen so starkzumachen?“ Und in den bayerischen Bierzelten machten die Populisten dann Stimmung. Auch das Thema Gendern wollte Münch noch ansprechen, aber da ging der Moderator dazwischen: „Oder vielleicht mit einem anderen Thema“, sagte er, und wechselte – zum Klimageld.
Wokeness wird zum Normalfall
Während der jüngsten Landtagswahlen in Hessen und Bayern sollten TV-Umfragen ermitteln, welche Themen den Menschen auf den Nägeln brennen. Die Befragten konnten ihr Häkchen beim Gendern nicht setzen. Es gab kein Feld dafür. Auch queere Identitätspolitik, inflationärer Missbrauch des Rassismus- und Sexismusvorwurfs, Bevorzugung von allerlei Identitäten bei Forschungs- und Filmförderung konnten nicht als wichtig angekreuzt werden. Die Rede ist vom breiten Spektrum von Aufregerthemen, das unter dem Label Wokeness segelt – und bei den Sendern anscheinend unterm Radar.
Überraschend ist das nicht. Wokeness ist der Normalfall für einen wachsenden Teil des journalistischen Nachwuchses, der sich inzwischen auch als „Aktivist*in“ versteht. Dass in den Sendern mit Sternchen und Glottisschlag gegendert wird, missbilligen – je nach Umfrage – zwei Drittel bis drei Viertel der Gebührenzahler. Was die Sprachaktivisten, die von deren Geld leben, nicht im Geringsten beeindruckt.
Die Medien sollten den Wunsch der Mehrheit respektieren
Beschämend, dass eine Journalistin in linken Medien publizieren darf, die twittert: „Grammatik und Rechtschreibregeln sind ein kolonialrassistisches tool von white supremacy um BIPoCs zu unterdrücken don’t @ me.“ Ein Einzelfall? In einem Verlag werden Pflanzen zu „Superheld*innen“, die Verdi-Mitgliederzeitung berichtet von Rentenversicherungsträger*innen, RBB-Radio-eins von Samenspender:innen, die Zeit von „Witwerinnen und Witwern“. Das lachen wir weg.
Wenn aber Angestellte des ZDF „Ideologie“ und „Antifeminismus“ erkennen, wenn „Familie als Stütze der Gesellschaft“ angesehen wird, dann verabschiedet sich dieser Sender von seinen Zuschauern. Wenn die „Tagesschau“ in einem Beitrag über einen Gesetzentwurf des Familienministeriums die Formulierungen „entbindende Person“ und „gebärende Person“ wählt, dann schüttelt das Publikum den Kopf.
Grammatik und Rechtschreibregeln sind ein kolonialrassistisches tool von white supremacy um BIPoCs zu unterdrücken don't @ me
— Ayeشa🪬 (@migrantifa) January 15, 2021
Die Erziehungsmaßnahmen der ARD und des ZDF
Glaubwürdig ist nicht, was ZDF-Chefredakteur Peter Frey gegenüber der Deutschen Presse-Agentur behauptet: „Was uns unterstellt wird, nämlich dass wir in erzieherischer Absicht auf das Publikum einwirken, entspricht überhaupt nicht der Wirklichkeit.“ Dann ist es eben eine Kapitulation – vor einer aktivistischen Minderheit und deren Wortgewalt in den sogenannten sozialen Medien.
Vor allem jüngere Frauen hätten „nach der Uni selbstverständlich ihre Sprechweise hier eingebracht“, sagte Frey bedauernd. „Ich fühle mich damit auch nicht wohl. Aber sollte ich das verbieten?“ Warum eigentlich nicht? Es hätte aber auch genügt, auf die deutschen Rechtschreibregeln hinzuweisen, denen gerade Journalisten verpflichtet sein sollten.
Das Geschlecht entscheidet
Aber die Sender folgen dem Trend. Produzenten, Regisseure und Drehbuchautorinnen beklagen vorauseilenden Gehorsam gegenüber den queeren Kämpfern in den Redaktionen (aus Angst vor dem Shitstorm) und „Diversity Checklists“ bei der Filmförderung. Wer Geld von der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein beantragt, muss umfangreich Auskunft über das Projekt geben.
Zum Beispiel: „Greift die Geschichte eines oder mehrere der nachfolgend genannten Themen direkt auf?“ Genannt sind: Alltag in der dritten Lebensphase, Geschlechterrollen, Hautfarbe bzw. People of Color, Leben mit Behinderung, Mehrgeneratives Zusammenleben, Migration und Vertreibung, religiöse oder weltanschauliche Fragen, sexuelle Identitäten, sozioökonomischer Status.
Gefragt wird auch: „Welchem Geschlecht sind die folgenden Kreativen zuzurechnen?“ Gemeint sind „Produzent*in“, „Regisseur*in“ und „Drehbuchautor*in“. Wieso ist das Geschlecht der Macherinnen und Macher plötzlich so entscheidend? Die Webseite lässt lapidar wissen, die Checklist beruhe auf gesetzlichen Grundlagen (genannt ist das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz von 2006) sowie auf Ansätzen ausländischer Filmförderinstitute. Sie werde „im Dialog mit der Branche“ weiterentwickelt.
Müssen in Romanen bald auch Nazis gendern?
Beim Film und in der Buchbranche gibt es ein neues Berufsfeld. Ist das Werk vollendet, wollen sich „Sensitivity Reader“ darüber beugen, um „ungewollt produzierten Bullshit wie diskriminierende Stereotype zu verhindern“, wie einer seine Arbeit beschreibt, der sich als „homosexueller Moslem mit türkischer Zuwanderungsgeschichte“ bezeichnet.
Andere Sensitivity Reader geben als Qualifikation beispielsweise an: „Migrantische, muslimische Frau“, „Woman of Color“, „pansexuell und panromantisch“, „lebt in polyamoren Beziehungen und Beziehungsanarchie“ und „auch intersektionaler Feminismus“ ist ihr „ein Anliegen“, versucht „Menschen mit psychischen Erkrankungen eine Stimme zu geben, außerhalb der bestehenden Klischees“.
Beim breiten Einsatz dieser neuen Schreibschiedsrichter stünde zu befürchten, dass wir künftig in Romanen keine authentischen Rassisten und Sexisten mehr lesen werden. Natürlich gendern dann auch weichgespülte Nazis, die auch keine rassistischen Witze mehr reißen. Vor denen fürchtet sich dann niemand mehr, weil sie so putzig sind wie Hitler, wenn er Blondi streichelt. Alles Schlechte aus der Welt wäre damit endlich verschwunden. Ein Traum. Oder?
Udo Jürgens dürfte nicht mehr über das Heimweh eines griechischen Gastarbeiters singen
Wohin diese Entwicklung führt, ist bei Amazon Prime zu berücksichtigen, wo die Identität des Schauspielers (Geschlecht, Geschlechtsidentität, Nationalität, Ethnizität, sexuelle Orientierung, Behinderung) mit den Figuren, die sie spielen, übereinstimmen soll. Das bedeutet, dass kein Schweizer in künftigen Produktionen Hitler verkörpern darf (ein Österreicher schon), Schwule keinen heterosexuellen Liebhaber; kein englischer Schauspieler wird mehr für sein Schauspiel als indischer Freiheitskämpfer und Pazifist einen Oscar erhalten (Ben Kingsley); Tom Hanks käme nicht mehr für seine Rolle in „Philadelphia“ infrage, Julianne Moore dürfte keine Alzheimerkranke mehr spielen („Still Alice – Mein Leben ohne Gestern“), Dustin Hoffman keinen Autisten („Rain Man“); keine dänisch-aschkenasische Amerikanerin käme mehr infrage für die Rolle einer transsexuellen Frau (Dante Gill), die wie ein Mann auftritt – ach, das war schon 2018 nicht möglich, die cis-Frau Scarlett Johansson musste nach Protesten, unter anderem von Transgender-Kollegen wie Trace Lysette, von der Rolle zurücktreten.
Ausgeweitet auf andere Bereiche des Kulturbetriebs bedeuten die Amazon-Richtlinien: Udo Jürgens dürfte nicht mehr über das Heimweh eines griechischen Gastarbeiters singen, kein Heterosexueller über die Liebe unter Männern philosophieren, kein Millennial über Boomer urteilen. Darf künftig noch (wie 2021 in der Hamburger Staatsoper) eine Frau Donald Trump spielen? Oder Hamlet? Kein Mensch darf künftig im Theater ein Tier verkörpern – auch Tiere haben Rechte. Und Götter! Verflucht sei, wer es noch einmal wagt. Und sollte mal wieder ein Mörder zu besetzen sein, dann nehmt – einen Mörder.
Intersektionalität und seine Bedeutung
Das Ergebnis des Tanzes ums goldene Identitätskalb: Selbst schwule Männer wie Florian Greller (Just Gay) kritisieren die „Omnipräsenz von queeren Themen“ im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Viele Menschen seien „offenbar einfach nur noch genervt davon, dass sie gefühlt permanent damit konfrontiert werden“.
Unglücklicherweise ist der Trend zur Wokeness auch in anderen Bereichen unübersehbar: In Hochschulen, Verwaltungen und anderen staatlichen Einrichtungen erlauben sich Menschen, die deutsche Sprache in Waschmaschinen zu schleudern und sie dann in grammatikfremde Richtlinien zu bügeln, die anzuwenden fürs Personal Pflicht ist.
Sie erhalten eine Bestätigung per E-Mail.
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat seit 2022 das Ziel, „die Gleichstellung aller Personen mit unterschiedlichen Geschlechtern, Hintergründen, Erfahrungen und Eigenschaften in der Wissenschaft nachhaltig zu befördern“. Laut „Forschungsorientierte Gleichstellungs- und Diversitätsstandards“ ist künftig an allen beteiligten Organisationen nicht mehr nur ein angemessenes Verhältnis „insbesondere von Frauen und Männern auf allen wissenschaftlichen Karrierestufen“ zu schaffen, sondern weitere „Diversitätsdimensionen, wie Geschlecht und geschlechtliche Identität, sexuelle Orientierung, Alter, ethnische Herkunft und Nationalität, soziale Herkunft (beispielsweise unter folgenden Aspekten: ökonomische Situation, Herkunft aus nicht-akademischer Familie, Migrationsgeschichte), Religion und Weltanschauung, Behinderung oder chronische/langwierige Erkrankung“ seien „in den Blick zu nehmen“.
Das gilt selbstverständlich auch für „Intersektionalität und seine Bedeutung“, also „das Zusammenkommen mehrerer Unterschiedsdimensionen in einer Person“. Heißt das im Klartext: Je mehr „Unterschiedsdimensionen“, desto mehr Förderung? Karrierechancen? Interessiert die Wissenschaft auch noch, was die Antragsteller zu erforschen gedenken?
Genervte ÖRR-Zuschauer landen bei der AfD
Dass auch die Parteien sich der ideologischen Identitätspolitik verpflichtet fühlen, hat Folgen. Wenn selbst die Unionsparteien für Queer-Beauftragte votieren (Koalitionsvertrag Berlin) und einen Queer-Aktionsplan (Söder) für nötig halten, verprellen sie ihre Wählerschaft. Die Wahlerfolge der AfD sind nicht allein der Migration geschuldet.
Ursula Münch sagte es mit ihrem Hinweis auf die Fixierung der Regierungsparteien auf Minderheitenrechte ungeschminkt: „Alle, die sich ärgern, die enttäuscht sind und verbittert sind über Politik, landen nicht bei der demokratischen und gemäßigten Opposition, die landen nicht bei der Union, sondern sie gehen zur destruktiven Opposition.“
Peter Köpf hat kürzlich zusammen mit Zana Ramadani ein Buch zum Thema veröffentlicht: „Woke. Wie eine moralisierende Minderheit unsere Demokratie bedroht“, Quadriga, 22 Euro
Das ist ein Beitrag, der im Rahmen unserer Open-Source-Initiative eingereicht wurde. Mit Open Source gibt der Berliner Verlag freien Autorinnen und Autoren sowie jedem Interessierten die Möglichkeit, Texte mit inhaltlicher Relevanz und professionellen Qualitätsstandards anzubieten. Ausgewählte Beiträge werden veröffentlicht und honoriert.
Haben Sie Feedback? Schreiben Sie uns! briefe@berliner-zeitung.de
Empfehlungen aus dem BLZ-Ticketshop:






















