Man könnte den anhaltenden Streit um die Abschaltung oder Verlängerung der letzten drei verbliebenen Kernkraftwerke auf deutschem Boden als weiteres Indiz für den rasend an Originalität verlierenden Konflikt zwischen Grünen und Liberalen in der gegenwärtigen Ampelkoalition lesen. Natürlich geht es um mehr. An diesem Wochenende wird ein Stück politischer Technologiegeschichte abgeschlossen, das wie kaum ein anderes Thema die deutsche Nachkriegsgesellschaft geprägt hat. Aber warum bloß hat die Anti-AKW-Sonne, das freundliche Piktogramm, für immer ihr Lächeln verloren?
Eine ganz neue Dimension der Gewalt
Ein notwendiger Rückblick: Vom beispiellosen Widerspruchspotenzial gegen die Pläne zur künftigen Energieversorgung war so gut wie nichts zu spüren, als 1967 das erste große Kernkraftwerk im bayerisch-schwäbischen Gundremmingen ans Netz ging. Das Bedürfnis nach Widerstand hatte sich zu der Zeit auf anderes konzentriert.
In der Studentenbewegung war man dazu übergegangen, den Unmut über die eigene Ausbildung innerhalb eines veraltet anmutenden Bildungssystems immer stärker auf den das öffentliche Bewusstsein herausfordernden Krieg in Vietnam umzuleiten. Angesichts dessen, was in Verbindung mit der Jahreszahl 1968 als kulturelle Revolte beschrieben wurde und Menschenmassen nicht nur in Berlin und Frankfurt, sondern aus wechselnden Anlässen auch in Berkeley, Paris und Prag auf die Straßen trieb, blieben die hiesigen Bauaktivitäten weitgehend unbemerkt.
Es dauerte noch ein Jahrzehnt, ehe die politische Dimension der sogenannten friedlichen Nutzung der Kernenergie erkannt wurde. Eine katalysierende Wirkung hatte dabei das Buch „Der Atomstaat“, in dem der Zukunftsforscher Robert Jungk in dringlicher Diktion auf die totalitären Aspekte der Atomenergie aufmerksam machte. „Mit der technischen Nutzbarmachung der Kernspaltung wurde der Sprung in eine ganz neue Dimension der Gewalt gewagt“, heißt es in dem 1977 schnell zum Bestseller avancierenden Pamphlet. Zuerst habe sich die Nutzung der Kernspaltung nur gegen militärische Gegner gerichtet. „Heute gefährdet sie die eigenen Bürger.
Denn ‚Atome für den Frieden‘ unterscheiden sich prinzipiell nicht von ‚Atomen für den Krieg‘. Die erklärte Absicht, sie nur zu konstruktiven Zwecken zu benutzen, ändert nichts an dem lebensfeindlichen Charakter der neuen Energie.“ Das galt also nicht minder für die Kernenergie unter sozialistischer Staatsaufsicht; zeitgleich mit Gundremmingen war in der DDR das Kernkraftwerk Rheinsberg in Betrieb gegangen, das derselben Reaktorfamilie angehörte wie das zum Menetekel der Risikogesellschaft geronnene Kraftwerk im ukrainischen Tschernobyl.
Das Drama der Grünen, die wie keine andere Partei mit dem Kampf gegen die Anwendung der Kernenergie verknüpft ist, besteht in der verspäteten Vollendung ihres politischen Willens. Die Einlösung des lange als grüner Daseinszweck aufgefassten Ziels steht heute nicht zuletzt für die fatale Langsamkeit der Politik. Die unzweifelhaft in der Tradition der Grünen stehenden jungen Klimaaktivisten jedenfalls tun sich schwer, Baerbock, Özdemir, Habeck und Co. als Schrittmacher ihrer Interessen zu betrachten.
Klimaaktivisten – keine Zukunft mehr zu erobern
Mit der Kernkraft jedenfalls haben die Protagonisten von Fridays for Future, Extinction Rebellion oder der Letzten Generation kein Problem. Aus deren Sicht trägt sie zum Abbau schädlicher Emissionen bei, und totalitäre Gefahren scheinen sie ausschließlich im Ansteigen des Meeresspiegels sowie in wachsenden Durchschnittstemperaturen zu wittern.
Eine soziale Bewegung, die nach knapp einem halben Jahrhundert an ihr Ziel gelangt, ist für das Zeitverständnis ihrer Mission ein Hohn. Das Krisenbewusstsein der Klimaaktivisten wird von der Annahme bestimmt, dass keine Zukunft mehr zu erobern sei. Vielmehr setzten sie im Gestus tragischer Verzweiflung alles daran, Restlaufzeiten zum Handeln herauszuschlagen. Dürfen die Grünen als Repräsentanten einer Aufstiegs- und Prosperitätsgesellschaft gelten, so scheinen die nachfolgenden Generationen mit nichts mehr beschäftigt als ihren unterschiedlichen Erfahrungen der Deklassierung.






