Klimapolitik

Ein Kommentar: Letzte Generation – wenn Störung zum neuen Normal wird

Die Störfall-Pädagogik der Klima-Aktivisten nervt. Aber sie macht zugleich deutlich, dass es keine Rückkehr zu den gesellschaftlichen Routinen gibt. 

Eine Aktivistin sitzt mit einem Betonteil an ihrer Hand zwischen Polizisten auf der Fahrbahn. 
Eine Aktivistin sitzt mit einem Betonteil an ihrer Hand zwischen Polizisten auf der Fahrbahn. Jonas Walzberg/dpa

Ein vorösterlicher Kurzausflug nach Hamburg mündete im Stau, den Ökologistas der Letzten Generation war es am Gründonnerstag gelungen, auch uns eine große Portion Empörungsenergie zu entlocken. Beim Versuch, die Blockade des Elbtunnels und der Elbbrücken zu umgehen, erlebten wir nur neue Varianten des Stillstands. Eure Form der Mobilität, wollten uns die Klebeaktivisten wohl zurufen, ist von gestern wie ihr. Für den Moment unterhielten wir uns über den erhöhten Ausstoß von Emissionen, die die Blockade von Hamburgs Süden über mehrere Stunden zwangsläufig nach sich zog. Aber das war – zugegeben – ein kläglicher Versuch, den Klimaaktivisten eigene Widersprüche vorzuhalten.

Beim Nachdenken über den gebrauchten Tag kamen mir die Protestformen der späten 70er-Jahre in den Sinn, mit denen sich unsere Generation der Errichtung von Kernkraftwerken und Endlagern entgegenzustellen versuchte. Bauplatzbesetzung und Großdemo waren Interventionen, die von der Überzeugung beseelt waren, bereits beschlossene politische Entscheidungen rückgängig machen zu können. Nicht ohne Erfolg. In Brokdorf war der Bau des Kernkraftwerks nach Protesten 1976 tatsächlich unterbrochen worden. Vier Jahre später wurde er fortgesetzt, und im Oktober 1986 war Brokdorf das erste Kernkraftwerk, das nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl ans Netz ging.

Aktionen zwischen Karneval und Drama

Im kulturellen Gedächtnis aber ist der Ort in der Wilster Marsch wegen der Konfrontation mit der Polizei geblieben. Wiederholt war es zu verbittert-brutalen Auseinandersetzungen gekommen, gegen die die Protestformen der Letzten Generation als fantasievoll und sorgsam kalkuliert erscheinen. Ihr Prinzip ist Störung, nicht Zerstörung, und ihre Ziele – Dekarbonisierung, Tempolimit etc. – stehen mehr oder weniger gleichlautend in den Programmen fast aller parlamentarischen Parteien. Anders gesagt: Die Mitstreiter der Letzten Generation artikulieren mit ihren performativ an Drama und Karneval erinnernden Aktivitäten, was alle wollen.

Vielleicht lohnt es sich, ein paar Gedanken auf das Prinzip der Störung zu verwenden. Es wird als Unterbrechung des Gewohnten wahrgenommen und macht deutlich, dass das alltägliche Gelingen von Routinen abhängig ist, die nicht permanent infrage gestellt werden können. Lange Zeit galt der Straßenverkehr als exemplarisches Funktionssystem, das durch weitgehend internalisierte Regeln – rechts vor links – für funktionierende Kreisläufe sorgte.

Welch hohen – meist kaum bemerkten – Stellenwert verlässliche Routinen haben, wurde weltweit in der Corona-Pandemie erfahren und durchlitten. Die alltäglichen Abläufe wurden gestört, unterbrochen und ausgesetzt. Seit Ende des Zweiten Weltkriegs hat es keine derart umfassenden Eingriffe in die Lebenswirklichkeit der Menschen gegeben. Die Auswirkungen des Großangriffs der Viren auf beinahe alle Formen sozialer Interaktion scheinen weder gesellschaftlich noch politisch hinreichend verarbeitet worden zu sein.

Destabilisierung als Chiffre der Zeit

Wenn die Post-Corona-Gesellschaft eine ist, die auf traumatisch nachwirkende Weise mit dem Phänomen der Störung befasst ist, dann bilden die Aktivisten der Letzten Generation ihre Avantgarde – aber womöglich ganz anders, als sie selbst es von sich annehmen. Zwar ist in ihren Störaktionen eine Rückkehr zur bürgerlichen Normalität implizit intendiert: Vorausgesetzt, Politik und Gesellschaft erklären sich bereit, ihre apodiktischen Vorgaben zur Erlangung der Klimaziele einzuhalten. Durch ihre Störfall-Pädagogik kokettiert die Letzte Generation mit der Herbeiführung eines Ausnahmezustands – der Störfall als Kipppunkt in eine autoritäre Gesellschaft –, ohne ihn offen zu propagieren.

Andere gehen da weit radikaler zu Werke, indem sie ihren Umsturzfantasien mit Anschlägen auf Einrichtungen der kritischen Infrastruktur, zum Beispiel auf Schaltzentralen der Deutschen Bahn, ganz ungeniert Ausdruck verleihen. Störung als Waffe – eine Rückkehr zu einer wie immer auch gearteten Normalität soll auf unmissverständliche Weise verstellt werden.

Solange die aktivistisch herbeigeführte Störung als solche erkannt wird, fungiert sie als politisches Symbol: Es muss alles anders werden. Immer mehr aber scheint die Erwartung instabiler Verhältnisse als kulturelle Norm. Und so blinken Alarmzeichen im Namen einer vermeintlichen Geschlechterneutralität in der Alltagssprache auf, und die Faktoten der Künstlichen Intelligenz laden zum Ratespiel zwischen Allwissenheit und Fälschung. Destabilisierung ist die Chiffre der Zeit. War es das, was uns die Letzte Generation als Rätsel und Antwort aufgeben wollte?