Letzte Generation

Forscherin undercover bei der Letzten Generation: „Wir wollen die Knäste füllen“

Eine Psychologin schleuste sich heimlich bei der Letzten Generation ein. Was sie über die Wirkung der Aktionen denkt und wie Justiz und Politik reagieren sollten.

Die Letzte Generation hat das Brandenburger Tor mit Farbe besprüht. Ob die Farbe vollständig entfernt werden kann, ist noch nicht klar.
Die Letzte Generation hat das Brandenburger Tor mit Farbe besprüht. Ob die Farbe vollständig entfernt werden kann, ist noch nicht klar.Emmanuele Contini

Die Diplompsychologin Maria-Christina Nimmerfroh wählte für eine Forschung zur Letzten Generation die verdeckte Beobachtung. Sie gab also vor, Teil der Gruppe werden zu wollen, ohne ihren richtigen Namen zu nennen. Sie wurde freundlich aufgenommen und nahm an Protesttrainings teil. Im Interview erzählt sie, zu welchen Schlüssen sie kam.

Frau Nimmerfroh, worum ging es bei Ihrer Forschung zur Letzten Generation?

Meine Forschungsfrage war zum einen, die nach der Wirkung der Taten auf die Öffentlichkeit und die Politik. Die zweite Frage war‚ wie bewegt man Menschen dazu, sich so zu verhalten und auch hohe persönliche Risiken auf sich zu nehmen.

Wie haben Sie die erste Frage letztendlich beantwortet?

Nach ungefähr einem Jahr, in dem ich mich mit der Forschung befasst habe, musste ich feststellen, dass die Aktionen kurzfristig eher zu negativen Reaktionen führt. Das sieht man an den Umfragen und den Reaktionen der Politiker. Als mittelfristige Folge erwarte ich allerdings eine größere Zustimmung zu klimapolitischen Maßnahmen. Aus sozialpsychologischer Sicht verändert eine ständige Erwähnung die Einstellungen in diese Richtung. Das Thema wird so in der Alltagswirklichkeit der Menschen verhaftet.


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Warum haben Sie sich überhaupt heimlich eingeschleust?

Normalerweise gehe ich natürlich mit meinem echten Namen da ran. Wie man Menschen dazu bewegt, diese hohen Risiken auf sich zu nehmen, konnte ich nicht anders herausfinden. Deshalb habe ich den Weg der verdeckten Beobachtung gewählt, mit meinem außergewöhnlichen Namen bin ich leicht erkennbar. Ich habe befürchtet, dass meine Identität die Ergebnisse beeinflussen würde.

Innerhalb der Letzten Generation ist offen von der „Kerngruppe“ die Rede. Sie sagen darüber hinaus, dass die Letzte Generation eine hierarchische Struktur hat. Ist das allen Mitgliedern bewusst?

Nein. Ich habe das nicht bei meinem Protesttraining erfahren, das war kein Thema. Interessanterweise waren aber auch Partizipationsmöglichkeiten kein Thema. Es gab ein Gerüst an Protest- und Beteiligungsmöglichkeiten, weitere Protestformen wurden nicht erwähnt oder diskutiert. Ich habe interne Dokumente und Sitzungen analysiert. Die Gruppe hat ihre Entscheidungsstruktur erst im Frühjahr 2023 veröffentlicht.
Der Kenntnisstand der Personen innerhalb der Letzten Generation unterscheidet sich sehr stark: Über Finanzierung, hauptamtliche Stellen und den Wechsel der Forderungen und inhaltlichen Schwerpunkte. Die Personen, die vor Ort aktiv sind, wissen darüber oft wenig. Ich bin nicht richtig dahinter gestiegen, warum das so ist.

Hinterfragen das die Leute gar nicht?

Komischerweise nicht. Ich habe viele von den Infocalls und Fragerunden analysiert, weil ich unbedingt wissen wollte, wie die interne Kommunikation funktioniert. Mir kam das merkwürdig vor. Wie kann man so hohe Risiken für die Organisation eingehen und gar nicht wirklich wissen, woher das Geld kommt und wie die Entscheidungen fallen? Ich habe einen Effekt der Selbstselektion festgestellt: Nur die Personen, für die dieser Informationsstand in Ordnung ist, bleiben bei der Gruppe. Die Gruppe ist relativ klein, dafür, dass sie so eine hohe Bedeutung hat.

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Tom Burschardt
Maria-Christina Nimmerfroh
ist Diplom-Psychologin und forscht zur gesellschaftlichen Wirkung von Non-Profit-Organisationen an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. Dort leitet sie die Spezialisierung Wirtschaftspsychologie. Sie arbeitete einst als Gerichtsreporterin und trat 2022 für die FDP als Bürgermeisterkandidatin in Griesheim an.

Die Letzte Generation sagt ja oft, dass die Gruppe wächst. Stimmt das nicht?

Es gibt Mobilisierungswellen, die auch durchaus nachvollziehbar sind. Zu Größen von Widerstandsgruppen gibt es so gut wie keine Informationen. Man sieht vor allem, dass die regionale Verteilung extrem schief ist. Frankfurt hat zum Beispiel keine aktive Widerstandsgruppe, obwohl das eine große Stadt mit einer langen linken Geschichte ist. Im Team gehen wir die Städte durch und zählen auf Fotos und in Protokollen Menschen, um abzuschätzen, wie viele das sind. Insgesamt sind es jedenfalls weniger Personen als es nach außen hin erscheint.

Was hält die Letzte Generation zusammen und wie würden Sie das aus psychologischer Sicht beurteilen?

Eine gemeinsame Überzeugung, dass es draußen Feinde gibt – die Politik, die Reichen, die Konzerne und die Polizei. Das ist eine geschlossene Gruppe, deren Zusammenhalt darauf basiert, dass es von außen Widerstand gibt. Aus psychologischer Sicht ist das das Beste, was man machen kann. Die vielen Aktivitäten erzeugen den Effekt der Selbstwirksamkeit: Ich bin sofort Teil einer Bewegung und kann etwas machen, was in der Öffentlichkeit enorm wahrgenommen wird. Ein Wir-Gefühl entsteht und darum kümmert sich die Gruppe auch durch Tandempartner und Bezugsgruppen. Die Narrative werden von oben vorgegeben und nicht diskutiert oder abgestimmt. Es gibt Sätze, die man nicht mehr sagen darf, die Gruppe ist extrem regelbehaftet.

Die Letzte Generation versucht, die Politik und auch die Polizei auf ihre Seite zu ziehen. Kann man beim Klimakampf von einem Feindbild sprechen, wie etwa beim Klassenkampf?

Feind ist vielleicht die falsche Formulierung, aber der Staat ist Gegner. Diese Gegnerschaft instrumentalisieren sie. Die Letzte Generation nutzt diese Gegnerschaft in der Öffentlichkeit und erzeugt so einen David-gegen-Goliath-Effekt, sie zeigt Fotos der Menschen in Präventivgewahrsam für einen Solidarisierungseffekt und inszeniert die Gerichtsprozesse durch Trainings, indem die Aktivisten vorher auf die Situation als Angeklagte trainiert werden. Linke Gruppen verstecken sich und sorgen dafür, dass keiner etwas von Straftaten erfährt, das unterscheidet sie von der Letzten Generation. Deswegen können diese Bewegungen auch nie zusammenarbeiten, das klappt nicht.

Sie sagen, dass die Mittel der Polizei und Justiz, um mit der Letzten Generation umzugehen, die falschen sind. Was wäre denn Ihr Vorschlag?

Ich bin keine Juristin. Aber der Druck auf die Letzte Generation führt immer wieder zu Solidarisierungseffekten. Es gibt immer wieder Politiker, die die Aktivisten in der Öffentlichkeit abwerten und die Formulierungen, die die Gruppierung in Richtung Terrorismus rücken, treffen inhaltlich nicht zu. Das stärkt die Letzte Generation: Menschen solidarisieren sich, spenden, gehen zu Vorträgen und setzen sich für sie ein. Aus politischer Sicht würde ich es eher mit einer Zusammenarbeit und einem Dialog versuchen. Das ist schwierig, ich habe die Berichte über die Treffen mit Politikern gelesen und analysiert. Aber die Letzte Generation ist eine gesellschaftliche Bewegung, die enorm bekannt ist. Politiker sollten sich damit beschäftigen, auch wenn sie die Forderungen für absurd halten.

Zu den Mitteln, die Sie für falsch halten, gehört wohl auch die Präventivhaft?

Die Präventivhaft ist umstritten und wurde von der Letzten Generation instrumentalisiert: Sie haben gezielt Menschen dazu motiviert und gesucht, die in Haft gehen und dafür eine besondere Anerkennung in der Gruppe bekommen. Die Letzte Generation nutzt da den Rechtsstaat. Die Präventivhaft in Bayern war Teil des Konzeptes: Wenn man zwei- oder dreimal am Tag bei einer Blockade erwischt wurde, wird die Präventivhaft wahrscheinlich verhängt. Das wusste man und das war bewusst kalkuliert. Intern wurde diskutiert, ob man sich dafür Urlaub nehmen kann, ob man sich aussuchen kann, wann man das macht. Für mich war das eine skurrile Debatte, aber innerhalb der Organisation ist das ein Protestmittel.

Es gibt die interne Ansage „wir wollen die Knäste füllen“. Die Letzte Generation heroisiert Personen, die ins Gefängnis gehen. Diese Personen schildern ganz oft, wie sie ihre eigene Angst überwunden haben. Das soll Vorbildcharakter haben. Ich will den Personen nicht absprechen, dass sie das ehrlich meinen, aber aus psychologischer Sicht ist das ein sehr wirksames Narrativ: Ängste überwinden und für eine große Sache ins Gefängnis gehen.

Kann man das mit Märtyrertum vergleichen?

Aus einer deutschen Sicht ist das ein Märtyrertum, denn ein Gefängnisaufenthalt ist die schärfste Sanktion des Staates gegen Individuen. Die zweitstärkste ist der Vermögensverlust und der wird ja auch propagiert, damit Schadensersatzforderungen nicht vollstreckt werden können. Es gibt Fortbildungsveranstaltungen für das dauerhafte Leben unter der Armutsgrenze. Mehr Märtyrertum kann ich mir für den Rechtsstaat nicht vorstellen.