Bericht

Berlin-Marathon und die Letzte Generation: Warum die Stimmung kippt

Die Sieger des Berlin-Marathons stehen fest. Und die Klimaaktivisten? Sie haben den Tag nicht für sich nutzen können. Ein Bericht.

Marathonteilnehmer laufen durch die orangefarbene Farbe, die von Aktivisten der Klimaschutzgruppe Letzte Generation bei einer Protestaktion zum Marathon am 24. September 2023 in Berlin auf den Asphalt geschüttet wurde.
Marathonteilnehmer laufen durch die orangefarbene Farbe, die von Aktivisten der Klimaschutzgruppe Letzte Generation bei einer Protestaktion zum Marathon am 24. September 2023 in Berlin auf den Asphalt geschüttet wurde.Sebastian Christoph Gollnow/dpa

Größere Protestaktionen der Letzten Generation blieben am Sonntag den Marathonläufern in Berlin erspart. Zumindest fielen die Störaktionen der Klimaaktivisten nicht derart gewaltig aus wie noch vergangene Woche, als die Letzte Generation das Brandenburger Tor mit bunter Farbe angemalt und wohl nachhaltig beschädigt hat. Noch kurz vor dem Startschuss um 9.15 Uhr hatten Klimaaktivisten versucht, sich auf die Straße des 17. Juni zu kleben. Auf Fotos waren Farbspuren zu sehen. Weitere Störungen konnten der Polizei zufolge vereitelt werden.

Die Letzte Generation verteidigte ihre Aktionen dennoch und schrieb im Laufe des Nachmittags in einer Pressemitteilung: „Wollt ihr uns beim nächsten Großevent wiedersehen oder wollt ihr uns endlich zuhören? Es geht auch um euch und um alle, die ihr liebt!“ Dann ließen Aktivisten noch auf dem sozialen Netzwerk X verlautbaren: „Uns tut es genauso leid, den Alltag eines Handwerkers zu unterbrechen wie den langersehnten Wettbewerb einer Läuferin. Wir tun das, weil wir in einer Notlage sind. In existenzieller Gefahr!“

Empörung über die Klimaaktivisten

Zur Stunde kann man sagen, dass der Berliner Marathon ohne größere Zwischenfälle verlaufen ist. Die Zuschauerinnen und Zuschauer konnten sich auf die engagierten Läuferinnen und Läufer und auf einen sonnigen 24. September konzentrieren, der, das muss man den Klimaaktivisten immerhin zugestehen, mit 19 Grad Höchsttemperatur um einiges heißer war als der 24. September 2003 (mit einer Höchsttemperatur von 16,5 Grad). Der Juli 2023 war weltweit der heißeste Monat seit 1880.

Bei aller Nachvollziehbarkeit der Gründe für die Proteste: Die Stimmung der Berlinerinnen und Berliner ist, auch mit Blick auf die Möglichkeit, konkrete Maßnahmen gegen den Klimawandel zu beschließen, nicht zu unterschätzen. Die Sympathien gegenüber der Letzten Generation schwinden seit dem Vandalismus, der das Brandenburger Tor zum Ziel hatte. Den Marathon mit weiteren Schikanen zu traktieren, hätte – bei allem bürgerlichen Verständnis für die Wut der Letzten Generation – dazu geführt, dass der Unterstützungswille der Bevölkerung noch weiter gesunken wäre.


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Hätten die Klimaaktivisten am Sonntag brutaler agiert, hätte man diesen Protest mit dem Terroranschlag beim Marathonlauf in Boston in Beziehung gesetzt. Größere Proteste hätten von Gegnern instrumentalisiert werden können und die Diskussion nur noch weiter angeheizt.

Sportlich gab es viele Gründe zu feiern

Stattdessen war es den Berlinern vergönnt, den Herbstanfang mit bester Laune und ein wenig Weltvergessenheit zu zelebrieren. In Kreuzberg etwa waren die Menschen in Scharen zur Yorckstraße gekommen, um mit Pappschildern ihre laufenden Freunde anzufeuern oder einfach nur als Beobachter die entspannte Atmosphäre zu genießen. An der Esso-Tankstelle in der Nähe des Mehringdamms spielte eine Jazzband, einige Besucher tanzten mit.

Menschen aus allen Ländern der Welt nahmen als Unterstützer oder Läufer des Marathons teil und zeigten damit ein buntes Berlin, das Migration und Multikulturalismus als Vielfalt und nicht als Problembeschreibung definiert. 45.000 Läufer aus 150 Nationen waren an den Start gegangen. Es war ein Tag des puren Genusses, ohne die Schwermut der Realität, die die Alltagsdebatten ansonsten begleitet. Man hatte fast schon den Eindruck, als wollten die Klimaaktivisten dieses Bedürfnis nach Idylle nicht weiter stören. (Oder die Sicherheitskräfte waren einfach besser vorbereitet als normalerweise.)

Sportlich gab es ebenso viele Gründe zu feiern. Die Äthiopierin Tigist Assefa siegte beim Marathon in Berlin mit 2:11:53 Stunden und pulverisierte damit die Bestmarke der Kenianerin Brigid Kosgei, die 2019 in Chicago den Marathon in einer Zeitspanne von 2:14:04 Stunden gelaufen war. Der Kenianer Eliud Kipchoge siegte mit 2:02:42 Stunden, konnte aber seinen eigenen Weltrekord in Berlin von 2022 nicht brechen.

Der Alltag ist bald zurück

Die Sicherheitskräfte zogen am Nachmittag ganz offiziell eine positive Bilanz. Pressesprecherin Anja Dierschke sprach gegenüber der Berliner Zeitung insgesamt von einem ruhigen Verlauf. Mehrere Protestaktionen der Letzten Generation seien verhindert worden. 15 Personen seien vorübergehend festgenommen worden. Es ist wahrscheinlich, dass so eine Bilanz nicht die Regel bleibt. Der Alltag geht schließlich bald wieder los.

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