Gastbeitrag

Eckart von Hirschhausen: Berliner müssen am Sonntag Verantwortung übernehmen

Warum der Volksentscheid Berlin 2030 klimaneutral am 26. März so wichtig für eine lebenswerte Zukunft ist. Ein Gastbeitrag.

„Eine Jahrhundertaufgabe vor der Nase“: Eckart von Hirschhausen setzt sich mit seiner Stiftung für ein Ja beim Volksentscheid ein.
„Eine Jahrhundertaufgabe vor der Nase“: Eckart von Hirschhausen setzt sich mit seiner Stiftung für ein Ja beim Volksentscheid ein.Sven Simon/imago

Jedes Jahr im März beobachte ich in Berlin ein Phänomen: In den ersten Tagen, in denen sich die Sonne wieder zeigt, erlebe ich eine gelöste Atmosphäre, die Menschen lächeln mehr und ich spüre ihre Vorfreude auf Frühling und Sommer. Wird das so bleiben?

Ich habe viele Erinnerungen an traumhafte Berliner Sommer, aber schon bald könnten diese Sommer zu einer Sauna ohne Tür werden. Das ist auf Dauer nichts, auf das wir uns freuen werden. Kein Mensch kann sich seine eigene Außentemperatur kaufen. Noch nicht mal ein Privatversicherter.

Die Klimakrise ist die größte Gesundheitsgefahr für alle. Allergien nehmen enorm zu, an der Spree gibt es plötzlich West-Nil-Virus, und die Hitzewellen töten, zuerst die Menschen mit Vorerkrankungen und Kleinkinder, aber ab 42 Grad Körperkerntemperatur sind wir alle dran. Wir Menschen leben am Limit, das Fenster für positive Veränderungen schließt sich rapide, all das hat der Bericht des Weltklimarates diese Woche aufs Dringlichste wissenschaftlich bestätigt. Wir wissen genug – jetzt zählt Handeln.

Am kommenden Sonntag können die Berlinerinnen und Berliner beim Volksentscheid Berlin 2030 klimaneutral abstimmen. Eine Wahl, die auch für die Zukunft der Berliner Sommer und unsere Gesundheit von großer Bedeutung ist. Gesunde Menschen gibt es nur auf einer gesunden Erde. Das bedeutet: Wir müssen nicht „das Klima“ retten – sondern uns.

Wenn uns „Reduktionsziele“ zu abstrakt sind, dann sollte uns dieses Ziel motivieren. Gesundheit ist so viel mehr als Pillen, OPs und Abwesenheit von Krankheit. Gesundheit beginnt mit Wasser zum Trinken, sauberer Luft zum Atmen, leckeren essbaren Pflanzen, erträglichen Temperaturen und einem guten Miteinander zwischen Mensch, Tier und Natur.

Wir haben eine Jahrhundertaufgabe vor der Nase, für die wir nicht mal mehr ein Jahrzehnt Zeit haben. Wenn Sie Grundschulkinder haben, kurze Erinnerung: Bevor sie die Schule verlassen haben werden, ist der Drops bereits gelutscht, sind entweder die Transformationsprozesse richtig in Schwung oder Kipppunkte überschritten. Und das geht schnell.

Mit dem Volksentscheid endlich ins Handeln kommen

Deshalb ist es auch fahrlässig, ständig die Verantwortung an die nächste Generation abzuschieben und zu denken „die Jungend wird es halt mal besser machen als wir“. Nein. Es ist Zeit, dass sich die Erwachsenen mindestens so erwachsen verhalten wie die Jugendlichen von Fridays for Future. Erst alles kaputt machen und dann beim Aufräumen nicht helfen – das haben wir doch im Kindergarten bereits anders gelernt, oder?

Es geht längst nicht mehr um ein Wissensdefizit, das wir durch Forschung und Politikberatung schließen müssen. Wir wissen genug über die Gefahren des menschengemachten Klimawandels, und wir wissen auch, was jetzt zu tun ist, um diese noch abzuwenden.

Die Themen werden nicht auf dem Papier gelöst, sondern in der Wirklichkeit. Nur weil wir in Paris 2015 einen völkerrechtlichen Vertrag für das 1,5-Grad-Ziel unterschrieben haben, ist ja noch kein CO₂-Molekül tief beeindruckt aus der Atmosphäre in eine Kohlegrube oder einen Auspuff zurückgekehrt.

In der Politik ist man froh, wenn sich hinter den Kulissen alle auf eine Abschlusserklärung verständigt haben. Aber eine Abschlusserklärung ist eben kein Abschluss, sondern der Anfang! Der Start, um vom Erklären ins Handeln zu kommen. Der Atmosphäre ist es erst einmal egal, wann wir sagen, dass wir klimaneutral sind. Die guckt ja nicht auf die Uhr – sondern nur nach den Fakten.

Und Fakt ist, dass wir seit 2015 nicht weniger Dreck in die Luft gejagt haben, sondern mehr. Bislang ist das „Berliner Klimaschutz- und Energiewendegesetz“ nur eine weitere Absichtserklärung, bis 2045 klimaneutral zu werden. „Too little, too late“ würde der Engländer sagen: zu wenig, zu spät.

Beim Volksentscheid am 26. März kann – und das ist ein wichtiger Unterschied zu anderen Volksentscheiden der Vergangenheit – über eine Änderung dieses Gesetzes abgestimmt werden. Hat der Volksentscheid Erfolg, tritt das überarbeitete Gesetz in Kraft: Berlin hat sich dann rechtlich dazu verpflichtet, schon bis 2030 klimaneutral zu werden.

Wir kämen endlich vom Reden ins Handeln und müssten alle Hebel in Bewegung setzen, um dieser Verpflichtung nachzukommen. Ich bin der Meinung, dass genau das der Herausforderung, vor der wir stehen, angemessen ist. Und ja, ich kenne auch die Einwände. Aber wenn man sich keine ehrgeizigen Ziele setzt – kann man sie ja nicht mal verfehlen ;-).

Die Folgen des Klimawandels sind so viel teurer

Die Debatte um den Volksentscheid hat die Menschen in Berlin angeregt, sich eine lebenswerte, grünere und ruhigere Stadt vorzustellen. Mit der Vision eines schon 2030 klimaneutralen Berlins geht der Traum einer Stadt einher, in der ich nicht Asthma vom Feinstaub und Todesangst beim Fahrradfahren bekomme. Das hatte bislang in der Debatte um Klimaschutz oft gefehlt: das Wozu. Das positive Narrativ. Die Lust auf Zukunft.

Und genau dafür setze ich mich auch mit meiner Berliner Stiftung Gesunde Erde –Gesunde Menschen und mit einem rasant wachsenden Netzwerk ungewöhnlicher Allianzen ein. Die Scientists for Future unterstützen übrigens ebenfalls den Volksentscheid. Genauso wie über 100 Unternehmerinnen und Unternehmer und Kulturschaffende und ein großes Bündnis der Zivilgesellschaft von ADFC, Brot für die Welt bis German Zero und Allianz Klimawandel und Gesundheit. Laut Umfragen ist die Mehrheit dafür. Aber die Mehrheit weiß manchmal nicht, dass sie die Mehrheit ist – deshalb gibt es ja Wahlen. Und Volksentscheide.

Gegen das Ziel eines klimaneutralen Berlins 2030 werden oft die Kosten angeführt. Doch das Teuerste, was wir jetzt tun können, ist: nichts! Die „costs of inaction“ steigen mit jedem weiteren Zögern. In einer aktuellen Studie haben Wissenschaftler die finanziellen Folgen des Klimawandels in Deutschland berechnet: bis zu 900 Milliarden Euro.

Durch Ertragsausfälle in der Landwirtschaft, durch Schäden an Gebäuden und Infrastruktur infolge von Starkregen, Überschwemmungen und Flut oder durch internationale Lieferengpässe bei Zwischenprodukten und Rohstoffen. Und auch durch zunehmende gesundheitliche Beeinträchtigungen, Todesfälle durch Hitze und Überflutungen, die Belastung von Ökosystemen, den Verlust von Artenvielfalt sowie die Minderung von Lebensqualität. Das ist alles nicht mehr „Hysterie“, sondern Fakt.

Aktuell verhalten wir uns in Bezug auf die Klimakrise wie jemand, der nachts mit gefüllter Blase aufwacht und hofft, dass das Problem wieder verschwindet, wenn er einfach mit geschlossenen Augen liegen bleibt. Ich bin überzeugt, dass wir besser damit fahren, die Realität im Rahmen unserer Möglichkeiten zu verändern, anstatt sie einfach zu leugnen.

Ein klares Signal über Landesgrenzen hinaus

Am Sonntag haben wir die Möglichkeit, der Politik einen klaren Auftrag mitzugeben: Die Sicherung unsere Lebensgrundlagen muss oberste Priorität haben. Und das schafft man eben nicht mit mehr Jutebeuteln, sondern nur durch „jute“ Politik!

Meckern ist leicht, besser machen ist besser. Und wer es nicht mal schafft, am kommenden Sonntag seinen Hintern hochzubekommen und ins Wahllokal zu gehen, hat für mich auch keine Erlaubnis mehr, „auf die da oben“ herabzusehen. Volksentscheid ist für mich gelebte Demokratie. Man kann das ja mit einem Frühlingsspaziergang verbinden.

Für Briefwahl ist es jetzt knapp, aber festhalten: Es gibt elf Anlaufstellen der Bezirksämter, die jeden Tag bis zum Wahlsonntag offen haben und wo man direkt abstimmen kann. Nennt sich schlank und unbürokratisch „Briefwahlabstimmungslokal“. Und das alles ohne Termin – unglaublich! Also. Keine Ausreden. Einwerfen! Alle Infos dazu auf wahlen-berlin.de.

Es geht um jedes Zehntel Grad. Es geht um jede Tonne CO₂. Und darum, dass die Kinder einmal stolz auf uns sein können, weil wir alles gegeben haben in einem historischen Moment. Eine Entscheidung für ein klimaneutrales Berlin bis 2030 sendet ein klares Signal über die Landesgrenzen hinaus: Ja, wir geben jetzt alles, um unsere Lebensgrundlagen zu schützen und Freiheit und Gesundheit auch für diejenigen zu erhalten, die jetzt noch nicht wahlberechtigt sind.

Denn die werden mit den Konsequenzen unserer Entscheidung noch am längsten leben müssen. Und die suchen mal unsere Heimplätze aus! Denen zeigen wir Boomer es mal so richtig, dass wir besser sind als unser Ruf, oder? Weitererzählen. Und Oma mitbringen! Geht alle was an. Also geht alle hin. Andere Städte schaffen es auch.

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