„Ein erfolgreicher Volksentscheid Berlin 2030 klimaneutral wäre ein Meilenstein auf dem Weg zu einer grünen und lebenswerten Hauptstadt! Lasst uns gemeinsam alles dafür geben, dass genug Stimmen für ein klimaneutrales Berlin zusammenkommen!“
So heißt es nicht etwa auf der Seite der Homepage des Bündnisses Neustart, das den Entscheid durchgesetzt hat. Der Text stammt von der Seite der Berliner Grünen. Steckt also die Umweltschutzpartei, die immer noch in Regierungsverantwortung ist, hinter der Abstimmung?
Ganz so einfach liegen die Dinge nicht. Die korrekte Antwort müsste wohl lauten: Die Grünen stecken nicht direkt dahinter! Indirekt aber sehr wohl. Seit Wochen und Monaten gibt die Partei Tipps, wie die Initiative unterstützt werden könne – sei es beim Plakatieren, beim Verteilen von Flyern oder bei der Überzeugungsarbeit an Infoständen.
Den Volksentscheid hat das Bündnis Klimaneustart durchgesetzt. Gestützt auf ungewöhnlich spendable Geldgeber unter anderem aus den USA, trommelt es seit Wochen dafür, dass Berlin bereits bis 2030 und nicht wie bisher vorgesehen erst bis 2045 klimaneutral wird. Dafür soll das Energiewendegesetz des Landes Berlin geändert werden.
Voraussetzung dafür ist, dass am Sonntag eine Mehrheit der Wähler dafür stimmt, mindestens aber 25 Prozent der Wahlberechtigten. Nötig sind also rund 608.000 Jastimmen. Insgesamt sind rund 2,4 Millionen Berliner stimmberechtigt. Schon jetzt wurden mehr als 433.000 Abstimmungsscheine ausgestellt – die Voraussetzung für die Briefwahl.
Bei der Wiederholungswahl haben die Grünen Potenzial nicht ausgeschöpft
Woher könnten aber nun die 608.000 Jasager stammen? Die Grünen haben bei der Wiederholungswahl im Februar von 279.000 Menschen die Zweitstimme erhalten. Ein Großteil davon, so die Vermutung, wird wohl am Sonntag für die Gesetzesänderung und also mit Ja stimmen. Der Rest müsste aus dem in Berlin besonders großen grün angestrichenen Milieu kommen.
Tatsächlich war die Wiederholungswahl keine Erfolgsgeschichte für die Partei. So berichtet der Tagesspiegel von internen Wähleranalysen, die ihr ein Stimmenpotenzial von 25 bis 30 Prozent bescheinigen. Dass es für die Mitregierenden am Wahltag mit 18,4 Prozent dennoch bloß zu Platz drei langte und mangels des Mutes, eine Koalition mit der CDU einzugehen, am Ende nur die Oppositionsbank bleibt, lesen viele als Niederlage für die Parteispitze um die Spitzenkandidatin Bettina Jarasch.
Mit dem Volksentscheid, so sieht es aus, soll die Scharte jetzt ausgewetzt werden. „Stimmt nicht nur selbst ab, sondern überzeugt auch eure Familien und Freund:innen, Arbeitskolleg:innen und Nachbar:innen, es zu tun“, heißt es in schönstem Gender-Deutsch auf der Grünen-Seite. Zwar steht nirgends explizit, wie abgestimmt werden soll. Doch zwischen den Zeilen schreit es geradezu nach einem Ja. Auch Jarasch hat sich öffentlich längst dazu bekannt.
Der Eiertanz von Bettina Jarasch
Nun gehört aber die Politikerin als Umwelt- und Klimaschutzsenatorin noch immer dem rot-grün-roten Senat an. Und eben jener Senat hat sich in einer offiziellen Stellungnahme zum Volksentscheid gegen die Änderung des Klimaschutzgesetzes ausgesprochen. Er hält es nicht für realistisch, Klimaneutralität in Berlin schon bis 2030 zu erreichen. Jarasch hat diese Haltung als Fachsenatorin stets mitgetragen.
Nicht realistisch und dennoch dafür – wie verträgt sich das? „Seid realistisch, fordert das Unmögliche“, formulierte der französische Ökonom, Soziologe und Anarchist Pierre-Joseph Proudhon im 19. Jahrhundert. Diesen Spruch haben sich seitdem viele gesellschaftliche Bewegungen und Initiativen angeeignet. Er passt scheinbar auch hier.
Doch wie passt diese Sponti-Haltung zur Beteiligung an einer Regierung? Aus der Parteispitze heißt es, das passe sehr wohl. So habe Jarasch stets betont, dass Klimaneutralität bis 2030 technisch sehr wohl möglich sei, politisch aber nicht realistisch. Doch das lasse sich ändern. Durch Druck aus der Zivilgesellschaft, von der Straße.
Ein Grünen-Parlamentarier kritisiert den Volksentscheid
Der Berliner Parlamentarier Andreas Otto sieht diese Haltung kritisch. Seit 17 Jahren sitzt der Fachmann für Bau- und Wohnungspolitik für die Grünen im Abgeordnetenhaus. Er sei, auch wegen seiner Ost-Berliner Herkunft, ein Fan von direkter Demokratie, sagt der Pankower im Gespräch mit der Berliner Zeitung.
Aber die Umsetzbarkeit müsse ein viel stärkeres Kriterium werden, als es zuletzt der Fall war. Es werde immer dann „schwierig, wenn sich das nicht vollständig umsetzen“ lasse, sagt Otto. Im Moment erkenne er eher ein „Volksforderungswesen“.
Er selbst wisse jedenfalls noch nicht, wie er am Sonntag abstimmen werde. Und das, obwohl doch „alles, was an Klimaschutz beschlossen wird, in eine positive Richtung geht“, wie er sagt.






