Berliner Wirtschaft

Dit is Berlin! Warum die Hauptstadt auch für dieses Krisenjahr gut gewappnet ist

Die kleinteilige Wirtschaftsstruktur der Dienstleistungsstadt Berlin wird sich ein weiteres Mal als Vorteil für die Stadt erweisen. Ein Kommentar.

BMW-Motorradproduktion in Spandau
BMW-Motorradproduktion in SpandauAFP/Tobias Schwarz

Als vor gut einer Woche Menschen in dieser Stadt nicht damit beschäftigt waren, einen Stadtteil in die Luft zu sprengen, sondern sich einfach und herzlich ein gutes neues Jahr wünschten, waren viele Wünsche sicher sorgenvoller als ein Jahr zuvor. Wer Wirtschaftsprognosen las, fand wenig Zuversicht. „Rezession“ und „Wohlstandsverlust“ waren die Keywords, die zur Krisenanalyse gehörten wie zwei Räder zu einem Fahrrad. Und wenngleich die Einschätzungen zuletzt etwas optimistischer ausfielen, so bleibt doch die Gewissheit, dass Krieg, Inflation und Energiekrise tagtäglich Spuren hinterlassen werden.

Die Wirtschaftskraft Deutschlands, der für das vergangene Jahr eigentlich ein Wachstum von 4,1 Prozent prophezeit wurde, dann aber doch nur um 1,7 Prozent zulegte, wird in diesem Jahr voraussichtlich um 0,8 Prozent schrumpfen. Und Berlin? Wird die Stadt, die laut Bürgermeisterin Giffey in Krisen immer wieder zur Höchstform auflief, das auch diesmal schaffen? Is dit Berlin?

Tatsächlich hatte die Berliner Wirtschaft sogar Corona schon besser pariert als die des gesamten Landes. Denn während Pandemiejahr eins das nationale Bruttoinlandsprodukt um fast fünf Prozent schrumpfte, lag das Minus in Berlin nur bei 3,3 Prozent. Das vergangene Jahr wuchs die Berliner Wirtschaft dann um 2,5 Prozent, die bundesdeutsche indes nur um 1,7 Prozent. Und so soll es auch weitergehen. Statt eines Rückgangs der Wirtschaftskraft um bis zu 0,9 Prozent, den Volkswirte der deutschen Wirtschaft prophezeien, wird Berlin aller Voraussicht nach ein leichtes Plus von vielleicht 0,2 oder 0,3 Prozent erleben.

Dabei ist die Stadt natürlich keine Insel, auf der Rezession Hausverbot hat. Die allgemeinen Widrigkeiten wirken auch hier. Allerdings kann Berlin ein weiteres Mal von seiner besonderen Struktur profitieren. Die Berliner Wirtschaft hängt nicht ab von wenigen energieintensiven Großunternehmen wie Eisenhüttenstadt vom Stahlwerk oder Schwedt von der Raffinerie. Zwar gibt es auch hier Betriebe, die schwer unter gestiegenen Energiekosten zu leiden haben. Vielleicht noch mehr als manch ein Konzern, der seine Produktion in günstigere Standorte verlagern kann. Aber es sind eben viele kleinere Betriebe. Breit gestreutes Risiko, wenn man so will.

Wertschöpfung der Berliner Industrie geht seit Jahren zurück

Zudem hat die Industrie in der Stadt an Bedeutung verloren. Trug das verarbeitende Gewerbe vor zehn Jahren noch etwa elf Prozent zur Berliner Bruttowertschöpfung bei, sind es heute nur noch sechs Prozent. Dagegen ist der Anteil der Informations- und Kommunikationsbranche, also der sogenannten Digitalwirtschaft, die in Berlins Arm-aber-sexy-Ära geboren wurde und die Transformation einläutete, im gleichen Zeitraum von 7,5 auf zehn Prozent gewachsen. Dem gesamten Dienstleistungsbereich ist mittlerweile gut die Hälfte der Wertschöpfung Berlins zu verdanken. Jenem Bereich, dem gestiegene Energiepreise weit weniger zu schaffen machen als Produktionsbetrieben.

Die Inflation trifft indes alle. Im vergangenen Jahr lag die Teuerungsrate in Berlin bei knapp acht Prozent. In diesem Jahr wird sie zwar zurückgehen, aber selbst nach der optimistischsten Prognosen nicht unter die Fünf-Prozent-Marke fallen. Da die Einkommen voraussichtlich nicht in dem Maße steigen werden, wird die Kaufkraft also sinken, was vor allem Handel, Gastronomie und Hotellerie sowie der Kulturbetrieb zu spüren bekommen werden. Zumal auch das Wohnen teurer werden wird.

Aber immerhin dürften die allermeisten Berliner in diesem Jahr nicht auch noch um ihren Job fürchten müssen. Nach wie vor entstehen in dieser Stadt neue Stellen so zuverlässig wie nirgendwo sonst im Land und doppelt so schnell wie im Bundesdurchschnitt. Zugleich fehlen hier aber schon jetzt etwa 90.000 Fachkräfte. Außerdem werden sich von den etwa 1,7 Millionen Berlinerinnen und Berlin, die derzeit einem sozialversicherungspflichtigen Job nachgehen, in den nächsten Jahren knapp 400.000 in die Rente verabschieden. Können es sich Firmen also irgendwie leisten, werden sie ihre Belegschaft auch in schlechteren Zeiten halten. Wer kann, wird mit höheren Löhnen locken.

Tatsächlich wird für die hiesige Wirtschaft künftig mehr denn je entscheidend sein, ob Stellen besetzt werden können. Insofern ist die Attraktivität Berlins samt bezahlbarem Wohnraum, lebendiger Kultur und guter Bildung der eigentliche Garant für eine stabile Konjunktur in der Stadt. Dass für das vierte Quartal dieses Jahres schon wieder ein Wirtschaftswachstum von 1,8 Prozent erwartet wird, ist erfreulich. Beruhigen sollte es nicht.