Mobilität

Berlin-Rundfahrt mit dem Chef: Das Tempo sinkt, und nicht nur Klimakleber sind schuld

BVG-Betriebsvorstand Rolf Erfurt zeigt, wie der Nahverkehr in Berlin ausgebremst wird. Selbst kleine Veränderungen dauern Jahre. Nun kommen Klimablockaden hinzu. 

Immer unterwegs: ein BVG-Bus am Potsdamer Platz. Doch das Tempo sinkt. Im vergangenen Jahr hätten die Busse laut Plan im Schnitt mit 18,9 Kilometern pro Stunde unterwegs sein müssen. Doch real schafften sie nur eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 17,9 Kilometern in der Stunde.
Immer unterwegs: ein BVG-Bus am Potsdamer Platz. Doch das Tempo sinkt. Im vergangenen Jahr hätten die Busse laut Plan im Schnitt mit 18,9 Kilometern pro Stunde unterwegs sein müssen. Doch real schafften sie nur eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 17,9 Kilometern in der Stunde.Emanuele Contini/imago

Hier fährt der Chef selbst! So ein Schild würde gut passen zum Bus 1056, der gerade an der Wendestelle Hadlichstraße in Pankow vorfährt. Am Lenkrad des sonnengelben Fahrzeugs sitzt Rolf Erfurt, Betriebsvorstand der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG). Er hat kurz vor Weihnachten 2021 den Busführerschein Klasse D erworben. Wenn ein Arbeitstag stressig war, fährt er abends schon mal mit einem Bus Betriebshöfe ab, erzählt Erfurt. An diesem Mittwoch sitzt der BVG-Manager aus einem anderen Grund auf dem Fahrersitz: um sich mit stressigen Situationen zu konfrontieren. Eine Rundfahrt der besonderen Art.

Es ist 7 Uhr früh, die Sonne scheint. Im kalten Vorfrühlingswind holt Rolf Erfurt sein Mobiltelefon hervor. Wie an jedem Morgen informiert er sich in der internen App über die Verkehrslage in Berlin. Immerhin behindern an diesem Tag keine Klimaproteste den BVG-Betrieb – so wie in den vergangenen Tagen, als rund um die Elsenbrücke der 165 sowie andere Busse stundenlang im Stau standen und in der Schönhauser Allee die M1 zwangsweise pausierte. „Für uns bedeuten die Blockaden zum Teil massive Einschränkungen“, sagt Rolf Erfurt.

Doch für Dutzende von Buslinien wird „erhöhtes Verkehrsaufkommen“ angezeigt. In der Bahnhofstraße in Köpenick, in der Neuen Kantstraße in Charlottenburg und anderswo – Stau allerorten. Anderswo, zum Beispiel in Reinickendorf, zwingen Havarien im Wasserleitungsnetz, das in die Jahre gekommen ist, zu Umwegen. Auch bei der Straßenbahn läuft nicht alles rund. Ein ganz normaler Morgen in Berlin.

„Corona ist auf den Berliner Straßen vorbei“, sagt der BVG-Manager. „Der Autoverkehr ist jetzt dichter als vor Beginn der Pandemie. Gemessen an der Zahl der Fahrten hat die Mobilität im Vergleich zu 2019 den Stand von 111 Prozent erreicht. Unsere Bus- und Straßenbahnfahrer:innen merken, dass mehr auf den Straßen los ist – und natürlich auch die Fahrgäste.“ Immer wieder rasten einige aus und werden handgreiflich.

Hier fährt der Chef selbst: Rolf Erfurt, Betriebsvorstand der landeseigenen BVG, am Steuer eines Mercedes-Benz Citaro C2. Der Bus Nummer 1056 wird normalerweise als Fahrschulwagen genutzt.
Hier fährt der Chef selbst: Rolf Erfurt, Betriebsvorstand der landeseigenen BVG, am Steuer eines Mercedes-Benz Citaro C2. Der Bus Nummer 1056 wird normalerweise als Fahrschulwagen genutzt.Peter Neumann/Berliner Zeitung

„Wir brauchen freie Fahrt für unsere Fahrzeuge“, so Erfurt. „Ich wünsche mir ein Berlin, in dem die BVG nicht mehr im Stau steht.“ Die Bemühungen zur Beschleunigung des öffentlichen Verkehrs müssten in Berlin „deutlich“ intensiviert werden. Schließlich werden die Busse und Straßenbahnen des Landesunternehmens täglich im Schnitt von 1,6 Millionen Fahrgästen genutzt, sagt er.

Mit fast 35.000 Fahrgästen täglich gehört die Linie M27 von Pankow nach Jungfernheide zu den Hauptstrecken. Bei dieser Tour will der BVG-Mann einen Teil abfahren. Er lässt den Motor an. Bis Erfurt die Fahrerlaubnis für Busse bekam, absolvierte er 48 Theoriestunden und rund 60 Fahrpraxisstunden, ebenfalls à 45 Minuten (58 sind Pflicht).

„Mit vielen kleinen Verbesserungen kann man oft mehr bewirken“

Am S- und U-Bahnhof Pankow biegt er in die Florastraße ein. Nur selten gehe es darum, Straßen umfassend umzugestalten oder andere große Bauprojekte zu verwirklichen, sagt der Mann am Steuer. „Unsere Erfahrung ist, dass man mit vielen kleinen Verbesserungen oft mehr bewirken kann.“ Dafür gibt es in Pankow gute Beispiele. Und da kommen sie schon in Sicht: Haltestellenkaps.

Dort halten die Busse nicht in einer Bucht, was oft langwieriges und oft gefahrenträchtiges Ein- und Ausfädeln erfordert. Stattdessen ist der Gehweg in Richtung Straße erweitert worden, wie eine breite Halbinsel liegt die Haltestelle direkt an der Fahrbahn. Der Bus hält an und fährt weiter, ohne ausschwenken zu müssen. Autos müssen kurz warten, aber meist fällt der Aufenthalt kürzer aus als sonst. Kaps, 18 Meter lang, brauchen weniger Platz als Haltebuchten, die zudem Parkplätze stärker dezimieren. „Kaps sind eine gute Sache, und wir freuen uns darüber, dass Pankow zu den Bezirken gehört, die uns unterstützen“, lobt Rolf Erfurt.

Aber leider ist auch in der Florastraße nicht alles Gold. Eine andere Bushaltestelle wird von einem Lieferfahrer zugeparkt, obwohl im Umkreis von 15 Metern um den Mast Parken verboten ist. Der verbleibende Platz reicht nicht aus, dass sich der Bus richtig hinstellen kann. „Wir können uns oft nicht vorstellen, was es für Fahrgäste im Rollstuhl, mit Rollator oder Kinderwagen bedeutet, wenn Haltestellen zugeparkt sind“, sagt Erfurt.

Kurz darauf muss er wieder bremsen. Eine Verkehrsinsel soll Fußgängern helfen, sicher über die Fahrbahn zu kommen. Doch ein geparkter weißer SUV ragt in die Umfahrung. Wieder geht eine wertvolle Minute verloren – im Normalfall wäre das eine Minute Verspätung.

Busspur wurde 2019 angeordnet – und sie ist immer noch nicht markiert

Jenseits vom S-Bahnhof Wollankstraße, in Mitte, fällt auf, dass es weniger Haltestellenkaps gibt. Hier sei das Bezirksamt nicht so offen für diese Art von Verbesserungen wie Pankow, erklärt ein BVG-Mitfahrer im Bus. Prompt sind so gut wie alle Haltestellen, die ins Blickfeld geraten, zugeparkt. In der Prinzenallee geht es etwas schneller voran, trotzdem könnte es zügiger gehen – wenn der dort beschlossene und genehmigte Bussonderfahrstreifen jetzt endlich bald mal gebaut würde. Ja, wenn … „Am 3. August 2019 wurde eine Busspur in der Prinzenallee angeordnet“, sagt Rolf Erfurt. „Doch das Bezirksamt hat sie bislang nicht umgesetzt.“

Die Busspur in der Zehlendorfer Clayallee Anfang September 2022. Kurz darauf erklärte das Verwaltungsgericht Berlin den Sonderfahrstreifen zwischen der Argentinischen Allee und der Riemeisterstraße für rechtswidrig, und die Anordnung wurde aufgehoben. Anwohner hatten einstweiligen Rechtsschutz beantragt.
Die Busspur in der Zehlendorfer Clayallee Anfang September 2022. Kurz darauf erklärte das Verwaltungsgericht Berlin den Sonderfahrstreifen zwischen der Argentinischen Allee und der Riemeisterstraße für rechtswidrig, und die Anordnung wurde aufgehoben. Anwohner hatten einstweiligen Rechtsschutz beantragt.Sabine Gudath

Rolf Erfurt lenkt die Sonderfahrt nun durch die Fennstraße. Links und rechts beherrscht Bayer, ehemals Schering, das Bild. Da fällt es kaum auf, dass in der Gegenrichtung ein Ampelmast steht, der aber keine Lichtsignale hat. Seit 2016 läuft die Planung einer Busschleuse, die es BVG-Bussen erlaubt, vor den Autos abzubiegen. Seit 2017 liegen die ersten Unterlagen vor, aber auch hier fehlten lange die behördliche Kapazität, das Vorhaben in die Tat umzusetzen. „Folge ist, dass sich unsere Busse hinten anstellen und oft zwei oder drei Ampelphasen abwarten müssen“, so Erfurt. Wartezeit: bis zu sechs Minuten. „Eines von vielen abgestimmten, fertig geplanten und genehmigten Projekten, die seit Jahren auf ihre Realisierung warten. Nun befindet sich die Busschleuse im Bau.“

„Der Fahrpreis ist nur einer von mehreren Faktoren“

Rolf Erfurt vergleicht die Bemühungen, mit dem neuen Deutschlandticket für 49 Euro im Monat mehr Kundschaft zu gewinnen, mit einer Party in einem Berliner Club. „Wenn jetzt mehr Menschen als sonst in den Club kommen, muss dort aber auch die Versorgung mit Getränken funktionieren und das Musikprogramm stimmig sein“, sagt er. „Die Qualität muss stimmen, und zum Teil muss sie besser werden.“ Für ihn ist klar: „Wenn Autofahrer sehen, dass Busse schneller vorankommen, wird das ein Anreiz zum Umsteigen sein. Wir müssen alle Möglichkeiten ausschöpfen, Berliner für uns zu überzeugen. Der Fahrpreis ist nur einer von mehreren Faktoren.“

Doch in der Perleberger Straße heißt es erst mal warten. Der Fahrschulwagen, den Erfurt steuert, kann anders als reguläre BVG-Linienbusse Ampeln nicht beeinflussen. Meist funktionieren Vorrangschaltungen so, dass aufgrund von Funksignalen Grünphasen für die BVG verlängert werden. Die Phasen beginnen früher oder sie enden später. Doch nach vielen Jahren Betrieb wären vielerorts Anpassungen erforderlich, sagt ein BVG-Fachmann an Bord. „Es geht darum, die Qualität zu sichern.“ Aber auch das sind langwierige Prozesse. In Berlin dauert es meist Jahre, bis Ampeln umprogrammiert sind.

Zudem gebe es immer noch Vorrangschaltungen, die zum Teil vor mehr als anderthalb Jahrzehnten aus- und seitdem nicht wieder eingeschaltet wurden. Ein Beispiel sind einige Ampeln in der Leipziger Straße in Mitte, die seit mehr als 15 Jahren ohne Vorrang für Busse sind. „Heute könnte man die Vorrangschaltungen nicht mehr aktivieren, dafür ist die Technik einfach zu alt“, so der BVGer.

Rolf Erfurt steuert den Bus jetzt in Richtung Trias-Gebäude, zum Hauptsitz der BVG. Dort hat er sein Büro. „Für unsere Fahrgäste sollten wir neue Dinge wagen“, sagt Erfurt. Er meint: Pilotprojekte, Praxistests.

„Die Heerstraße im Westen der Stadt wäre sehr gut geeignet für ein Leuchtturmprojekt“, so der Betriebsvorstand. „Auf weiten Abschnitten gibt es dort Wechselspuranzeiger, die je nach Verkehrsaufkommen den Straßenraum aufteilen. Technisch wäre es also problemlos möglich, einen der drei Fahrstreifen in Richtung Stadt, die während des Berufsverkehrs am Morgen grün geschaltet werden, für unsere Busse zu reservieren. Wenn die BVG morgens von 6.30 bis 9 Uhr von der Stadtgrenze in Staaken bis zum Bahnhof Zoo eine durchgehende Spur bekäme, würde das unsere Attraktivität für die Fahrgäste enorm erhöhen.“

In ganz Berlin sind Busspuren bedroht

Die Zahl der Menschen, die dies nutzen würden, wäre enorm. „Auf der Heerstraße sind in Spitzenstunden 21 Busse pro Stunde und Richtung mit insgesamt bis zu 3100 Fahrgästen unterwegs. Am Tag werden die bis zu sechs Buslinien auf dieser Strecke im Durchschnitt von 23.000 Fahrgästen pro Tag genutzt“, sagt Erfurt.

Doch immer wieder gibt es Rückschläge. So sind Anwohner der Clayallee in Zehlendorf gegen einen Bussonderfahrstreifen vors Verwaltungsgericht gezogen. Dort bekamen sie im September 2022 Recht – was nach Einschätzung von Experten auch daran lag, dass die Senatsverwaltung für Mobilität ungeschickt agierte. Seitdem wurde in Berlin kein einziger Meter Busspur mehr markiert, und auch anderswo legten Anrainer Widerspruch gegen die Sonderfahrstreifen ein. „Wir freuen uns darauf, uns mit der neuen Senatorin auch zu diesem wichtigen Thema auszutauschen“, sagte Rolf Erfurt.

Warum die M1 nicht öfter verkehrt und die 18 vorerst nicht verlängert wird

Ein weiterer Bereich ist der Fahrradverkehr. Nicht immer werden Radfahrstreifen und andere Anlagen für Fahrräder so geplant, dass der Nahverkehr nicht behindert wird. Eine neue Verwaltungsrichtlinie sieht vor, dass Abstimmungen mit der BVG nur noch dann erfolgen müssen, wenn auf dem betreffenden Straßenabschnitt mindestens 15 Busse pro Stunde fahren – also so gut wie gar nicht mehr. Für die BVG keine guten Nachrichten.

Oft geht es nicht nur um Verbesserungen in der Gegenwart, sondern auch um Planungen für die Zukunft – die nicht verwirklicht werden können, weil selbst kleine Änderungen in Berlin Jahre dauern. In Pankow und Prenzlauer Berg würden sich viele Menschen darüber freuen, wenn die M1 häufiger fahren würde. Aber eine Verdichtung des Fahrplans scheitert auf dieser Straßenbahnlinien unter anderem am Nadelöhr am S- und U-Bahnhof Pankow. Ein anderes Beispiel: Seit 2016 steht fest, dass die Tram 18 nicht mehr in Friedrichshain enden, sondern zum Alexanderplatz in Mitte fahren soll. Doch die jetzigen Ampelvorrangschaltungen ließen eine solche Verdichtung nicht zu. Die „Sättigungsgrenze“ müsste erhöht werden, so ein BVGer. Aber das dauert.

Straßenbahnen der BVG fahren durch die Invalidenstraße in Mitte. Auch bei der Tram lag die reale Durchschnittsgeschwindigkeit 2022 unter der geplanten: 17,5 statt 18,6 Kilometer in der Stunde.
Straßenbahnen der BVG fahren durch die Invalidenstraße in Mitte. Auch bei der Tram lag die reale Durchschnittsgeschwindigkeit 2022 unter der geplanten: 17,5 statt 18,6 Kilometer in der Stunde.Jürgen Heinrich/imago

An vielen Flughäfen gibt es einen Fast Track für Passagiere, die schnell zur Kontrolle kommen wollen. „Für den öffentlichen Verkehr, der von viel mehr Menschen genutzt wird als der Flugverkehr, brauchen wir ebenfalls Fast Tracks“, fordert Erfurt. Das bedeutet nicht nur Vorrang für die BVG, sondern auch, dass Bauvorhaben, die dem Klimaschutz und der Mobilitätswende dienen, Priorität bekommen müssen. „Noch liegen solche Projekte auf demselben Stapel wie die anderen. Das kann nicht sein“, so der BVG-Manager. „Oft sind wir noch nicht mutig genug. Dabei drängt die Zeit.“