An einem schwülen Samstagnachmittag steht Thomas Löb am Rande des Kiefernwaldes am Bahnhof Fangschleuse. Die Menschen, die hier ankommen, fragt er: „Sind Sie für den Spaziergang hier?“ Dann weist er ihnen den Weg: „Ein paar Meter weiter, über den Bahnübergang, an den Bushaltestellen vorbei und rechts in den Wald.“ Auf der Straße fahren weitere Busse vorbei: Vorne auf der Zielanzeige steht das T-Logo des E-Auto-Herstellers Tesla. Die Endstation für diese Busse ist das Autowerk des Unternehmens, seine Gigafactory, nur wenige Kilometer entfernt.
Um die Firma Tesla geht es bei diesem Waldspaziergang, zu dem Thomas Löb die Menschen einlädt. Im Wald wartet Manu Hoyer auf sie; sie ist Vorstandsvorsitzende des Vereins für Natur und Landschaft in Brandenburg und der Bürgerinitiative Grünheide. Gleich neben der 300 Hektar großen Gigafactory ist hier eine Bauerweiterung von 100 Hektar geplant; hier, wo der Wald steht. So sollen in Grünheide langfristig eine Millionen statt 500.000 E-Autos von Tesla gebaut werden.
Im Dezember 2022 stimmte die Gemeindevertretung Grünheide dem Bebauungsplan zu – und damit soll alles hier, wo Manu Hoyers Gruppe über Tannenzapfen läuft und Mücken ausweicht, in Zukunft ganz anders aussehen. Umweltschützer wie sie warnen vor der Gefährdung der Wasserversorgung in Berlin und Brandenburg durch die Baupläne.

„Tesla und die Politik machen hier, was sie wollen“
„Was hier passiert, ist ein Umweltverbrechen ohnegleichen in dieser Gemeinde“, sagt Manu Hoyer zu Beginn des Spaziergangs. Seit 2020 führt sie diese Wanderungen durch den Wald neben der Gigafactory, vor allem um „Aufklärungsarbeit“ zu leisten. Denn die Aufmerksamkeit der Menschen hier vor Ort sei eins der wenigen Mittel, mit denen sie noch gegen die Erweiterung kämpfen könne. Zum heutigen Spaziergang sind etwa 30 Menschen gekommen, darunter Anwohner und Angereiste aus Berlin. „Niemand will mit uns reden, es gibt kein Interesse an unseren Argumenten“, sagt Manu Hoyer. Das gelte für die Politik wie auch für Tesla. Die Kosten einer rechtlichen Klage gegen den Ausbau übersteigen bei Weitem ihre verfügbaren Mittel. „Das weiß die Politik, das weiß Tesla“, sagt Hoyer. „Sie machen also, was sie wollen, und ziehen diese Zerstörung einfach durch.“
Manu Hoyer leitet die Gruppe einen langen Pfad entlang durch den Wald. Am Rande des Weges sind Teile der Waldung mit Planen abgeriegelt; darauf sind immer wieder die Worte „Tesla, hau ab“ zu lesen. Am Ende des Pfads sind die grauen Flächen der Tesla-Gigafactory sichtbar – und auch die Baufahrzeuge rund um sie herum. Manu Hoyer deutet auf eine Landkarte mit Draufsicht auf die Fläche rund um die Gigafactory. Mit ihrem Finger umrandet sie den Teil, der durch die Erweiterung verschwinden soll. Ein Großteil des Waldes wäre dann weg.
Auf der Rückseite zeigt eine weitere Karte die Aufteilung des Geländes in Wasserschutzgebietszonen (WSG). Die Fläche, auf der die Gigafactory steht, ist als WSG III eingestuft: Hier sollen die Verbote und Einschränkungen zum Schutz des Grundwassers am strengsten sein. Aber trotzdem wird die Gigafactory ausgebaut. Die Spaziergänger schütteln den Kopf, es ertönen Rufe wie „ein Verbrechen“ und „Schande“. Manu Hoyer warnt ihr Publikum, bevor der Spaziergang weitergeht: „Je weiter wir gehen, desto schlimmer wird es. Es wird heißer, trockener – und wir müssen zuschauen, während diese Fabrik gebaut wird.“
Die Lage der Gigafactory hat sie immer umstritten gemacht. Die Region Grünheide leidet seit Jahren unter Wasserknappheit – dabei verbraucht die Fabrik schon vor dem Ausbau so viel Wasser wie eine Stadt mit etwa 40.000 Einwohnern. Wenn dieser Verbrauch noch steigt, hätte das drastische Folgen für die Gemeinde und auch für Berlin, warnt Thomas Löb – dem Naturschutzgebiet Löcknitztal könnte die komplette Austrocknung drohen. Löb ist der Landesvorsitzende der Ökologischen Demokratischen Partei (ÖDP) in Brandenburg. Das sei die einzige Partei, die sich gegen den Ausbau der Gigafactory positioniere, sagt Manu Hoyer.

Holzt Tesla den Wald ab, verschwinden Lebensräume für Tiere und ein CO₂-Absorber
Der Spaziergang geht weiter durch den Wald. Thomas Löb deutet auf die Kiefern rund um den Fußweg, die teils etwa 50 Meter hoch sind und bereits unter den Folgen der Gigafactory gelitten hätten. „Diese Bäume sind teils Tiefwurzler“, erklärt er. „Kommen sie nicht mehr an den Grundwasserspiegel, dann ist es vorbei.“ Durch den Verlust der Bäume verschwindet auch der Lebensraum für viele Tierarten; Löb spricht von geschützten Fledermausarten, er deutet auf einen Raben in einem Baum. Auch das Moos, das den Waldboden bedeckt, könnte verschwinden – und damit ein widerstandsfähiger Absorber von CO₂.
Die Gigafactory habe neben den oft gefeierten 12.000 Arbeitsplätzen allerdings viele weitere Probleme mit sich gebracht, sagt Thomas Löb: Der Wohnungsmarkt sei „durch die Decke gegangen“, die zweispurige Fahrbahn neben dem Bahnhof Fangschleuse soll vierspurig werden. „Früher war alles hier idyllisch, man konnte hier hinkommen und dem Sonnenuntergang zuschauen“, sagt er. „Nun wird das ganze Bundesland industrialisiert ohne Ende.“ Am Tag nach dem Spaziergang bestätigt der Ministerpräsident Brandenburgs, Dietmar Woidke (SPD), das Bundesland bemühe sich um eine Ansiedlung des Rüstungskonzerns Rheinmetall für die Produktion von Teilen des Kampfjets F-35.
Tesla-Gegnerin Manu Hoyer: „Ich kämpfe weiter, solange der Wald noch da ist“
Die zunehmende Luftfeuchtigkeit im Wald weicht schließlich einem sintflutartigen Regenguss; der Spaziergang muss vorzeitig abgebrochen werden. Für Manu Hoyer, Thomas Löb und einige Mitspazierenden geht das Gespräch weiter im griechischen Restaurant am Bahnhof Fangschleuse. Bei Salat und Gyros-Teller werden weitere Fragen gestellt und beantwortet – unter anderem, ob wegen des großen Wasserverbrauchs bei der Herstellung E-Autos wirklich so klimafreundlich seien, wie sie oft dargestellt werden.

Der nächste Waldspaziergang in Grünheide findet am 8. Juli statt. Manu Hoyer will diese Führungen weiterhin leiten – solange der Wald noch da ist und solange sie dadurch eine Chance sieht, die Erweiterung zu verhindern. Sie tut das nicht ohne eine leise Angst davor, dass auf ihre friedliche Bewegung die gleichen Konsequenzen zukommen könnten wie auf die Klimaaktivisten der Letzten Generation: Sie befürchtet Razzien und Verfolgung der Strafbehörden. „Ich kann nur weiterkämpfen mit meiner Person und meiner Stimme“, sagt sie.








