Berlin-Fredrik Harkort ist noch ein relativ neuer Player in der Berliner Edtech-Welt. Im vergangenen Jahr hat er den Online-Nachhilfe-Anbieter „cleverly“ gegründet und sich für die Gründung der Initiative der deutschen Bildungsanbieter engagiert. An einem Maimorgen treffen wir uns in seinem Büro in der Gormannstraße und sprechen über den boomenden Markt der Online-Nachhilfe, Zugänge für Kinder aus armen Familien und die Frage, wie man neuen Schwung in die Digitalisierungsdebatte bringen kann.
Herr Harkort, nachdem im letzten Jahr dauernd über eine rasche Digitalisierung der Schulen gesprochen wurde, ist es jetzt um diese Frage gespenstisch still geworden. Wie kommt das?
Wir sind direkt aus der Corona-Krise in die Ukraine-Krise gegangen – und dadurch hat diese Debatte nicht mehr den Schwung, den sie dringend bräuchte, um die nötigen Veränderungen anzustoßen.
In der Hochphase der Corona-Krise gab es eine große Nachfrage nach Online-Nachhilfe. Ist das immer noch so?
Ja. In der Krise haben Schüler und Eltern gemerkt, wie weit man mit dem digitalen Unterricht kommen kann. Die Berührungsängste sind nicht mehr so groß wie früher. Und vor allem: Durch die Krise gibt es viele Rückstände, Probleme und Verunsicherungen, sodass viele Familien denken: Das schaffen wir jetzt nicht mehr ohne private Unterstützung.
Was meinen Sie, welche Vorteile bietet denn die Online-Nachhilfe im Verhältnis zur klassischen Nachhilfe?
Früher haben die Eltern vielleicht einen Aushang im Supermarkt um die Ecke gemacht und gehofft, dass sich jemand meldet. Aber wir sind deutschlandweit organisiert – und das heißt, dass wir nicht auf lokale Talente angewiesen sind. Wir können einen Schüler aus Berlin mit einer Nachhilfelehrerin aus Bayern vernetzen, wenn wir das Gefühl haben, dass dieser Schüler und diese Nachhilfelehrerin besonders gut zusammenpassen. Außerdem ist es natürlich schon ein Vorteil, dass die Wege wegfallen, dass Eltern ihre Kinder nicht mehr quer durch die Stadt fahren müssen für 45 Minuten Nachhilfeunterricht.
Aber kann online dasselbe Vertrauensverhältnis entstehen wie offline?
Ich denke, dass es helfen kann, wenn der Schüler in seinem vertrauten Raum bleiben kann beim Unterricht – und der Lehrer auch. Und die technischen Möglichkeiten sind inzwischen so gut, dass der Eins-zu-eins-Unterricht per Zoomcall gut funktioniert. Die Aufgaben werden dann über eine virtuelle Tafel geteilt und gemeinsam bearbeitet.
Hat sich denn auch die gesellschaftliche Einstellung zur Nachhilfe verändert?
Ich denke schon. Vor dreißig Jahren haben Eltern erst angefangen, einen Nachhilfelehrer zu suchen, wenn eine Fünf in Mathe auf dem Zeugnis stand und die Versetzung gefährdet war.
Es war peinlich, Nachhilfe nehmen zu müssen.
Ich glaube, heute ist das nicht mehr so. Viele nutzen Nachhilfe einfach, um ihre Leistungen zu verbessern.
Vor dreißig Jahren hatten die Eltern vielleicht noch mehr Zeit, um selbst zu helfen.
Ja, aber die Mehrheit der Familien, die sich bei uns melden, melden sich, weil Eltern und Kinder sich verhakt haben und sich streiten: Weil die Eltern empört sind, dass das Kind in einem bestimmten Fach schlecht ist, sich nicht anstrengt. Oder weil das Kind in die Pubertät gekommen ist und findet: Warum mischen meine Eltern sich überhaupt ein? Und dann kann es die Beziehung ungeheuer entspannen, wenn eine Person von außen auf das Problem schaut.
Sie teilen sich den Markt mit einigen starken Mitbewerbern – mit dem Studienkreis, der Schülerhilfe, mit Easytutor und Gostudent. Ich hörte, dass das in Österreich von Felix Ohswald gegründete Unternehmen Gostudent inzwischen an der Börse mit fast 1,7 Milliarden Euro bewertet wurde und inzwischen in fünfzig Ländern aktiv ist. Dies ist dann wohl der größte Player in diesem Markt, oder?

Ja, doch funktioniert Gostudent vor allem als Plattform, die Schülernachfrage und Lehrerangebot möglichst effizient zusammenbringt – und dafür eine Vermittlungsgebühr kassiert. Wir haben da einen anderen Ansatz, wir wollen ein echter Bildungsanbieter sein.
Und was halten Sie für Ihr Alleinstellungsmerkmal?
Wir verfolgen einen ganzheitlichen Ansatz. Wir bieten nicht nur Nachhilfeunterricht an, sondern auch Mentoring. Schlechte Noten sind ja oft nur ein Symptom, und im Mentoring geht es um tiefer liegende Fragen nach Lernmotivation, Arbeitsorganisation, nach Selbstvertrauen und einem guten Gespür für die eigenen Stärken und Schwächen, nach dem, was die Kinder für eigene Träume und Ziele haben. Ich glaube, all das ist sehr wichtig, wenn wir nicht nur die Noten verbessern, sondern die Kinder gut auf das Leben vorbereiten wollen. Ich nenne unsere Methode auch das „positive trojanische Pferd“ – Eltern suchen zunächst nur nach einem guten Nachhilfelehrer und bekommen dann etwas, das über gute Nachhilfe hinausgeht.
Aber ist es nicht auch heikel, in diesen psychologischen Bereich vorzustoßen und so stark steuernd in die Erziehung einzugreifen, wenn die Cleverly-Mentoren doch eher sporadischen Kontakt zum Kind haben?
Wir fokussieren uns im Mentoring auf fachübergreifende Herausforderungen und arbeiten nicht therapeutisch. Wenn wir merken, dass ein Kind wirklich psychische Probleme hat, dann vermitteln wir es weiter. Doch für viele Eltern ist ja die Hemmschwelle für einen Besuch beim Kinder- und Jugendtherapeuten sehr hoch, da können wir manchmal ein hilfreicher Zwischenschritt sein.

Nach dem Verkauf seines ersten Unternehmens „Bodychange“, das Menschen online beim Abnehmen unterstützte, gründete er mit seinem Partner Björn Jopen und seiner Frau Julia Harkort das Edtech-Unternehmen „cleverly“. Sein Ziel ist es, klassische Online-Nachhilfe mit einem ganzheitlichen Mentoring zu verbinden.
Die Initiative deutscher digitaler Bildungsanbieter (iddb) wurde von ihm mit Stephan Bayer (sofatutor) und Alexander Giesecke (simpleclub) im Mai 2021 ins Leben gerufen. Dort sind mittlerweile über 70 Unternehmen organisiert, die die Politik mit ihrer Expertise bei der digitalen Transformation der deutschen Bildungslandschaft unterstützen und zugleich ihre gemeinsamen Interessen vertreten wollen.
Harkort ist Vater von zwei Töchtern im Alter von 6 und 8 Jahren und lebt mit seiner Familie in Berlin-Kladow.
Manche sagen: Cleverly sei nur Nachhilfe für die Reichen, stimmt das?
Eine Stunde bei uns kostet im Durchschnitt 25 Euro – ungefähr so viel wie bei Gostudent. Wir wollen gute Nachhilfelehrer anziehen, also müssen wir sie auch anständig bezahlen. Aber nicht nur reiche Kinder sollten in den Genuss von guter Online-Nachhilfe kommen. Deshalb engagieren wir uns sehr dafür, dass alle Schüler bei uns Nachhilfestunden bekommen können, die bildungs- und teilhabeberechtigt sind.
Das heißt, dass Kinder von Eltern, die zum Beispiel Hartz IV, Sozialhilfe oder Asylbewerberleistungen beziehen, Nachhilfestunden nehmen können und der Staat kommt dann für die Kosten auf?
Ja, das ist eigentlich eine sehr gute Sache. Das Problem ist nur, dass viele Familien gar nicht wissen, dass ihre Kinder Anspruch darauf haben. In Deutschland waren es im April 2020 nur 13,9 Prozent aller anspruchsberechtigten Kinder zwischen 6 bis 15 Jahren, die tatsächlich Angebote aus dem Bildungs- und Teilhabepaket wahrgenommen haben – und in Berlin waren es sogar nur 8,7 Prozent.
So wenig? Auf welche Studie beziehen Sie sich?
Auf eine Expertise des Paritätischen Wohlfahrtsverbands. Bisher hat die Bundesregierung noch keine einheitliche Statistik herausgegeben.
Also mehr als neunzig Prozent der Berliner Kinder, die eine kostenlose Lernförderung erhalten könnten, erhalten sie nicht? Und das in einer Situation, in der sozial schwache Schüler durch Corona extrem ins Hintertreffen geraten sind?
Wir würden hier natürlich gerne schnell einspringen. Aber mit dem Wort „schnell“ ist es so eine Sache im Bildungsföderalismus. Stellen Sie sich vor, wenn ich Kindern aus hilfsbedürftigen Familien im Rahmen von Bildungs- und Teilhabegutscheinen Unterstützung anbieten möchte, dann muss ich mit jedem einzelnen der über 400 Landkreise sprechen und mich als Anbieter absegnen lassen – ein extrem mühsamer und zeitraubender Prozess, der meine Mitarbeiter monatelang beschäftigt halten würde. Deshalb haben wir bisher nur bei ein paar großen Kreisen angefragt und dort, wo Familien auf uns zugekommen sind. Nun haben wir immerhin die ersten acht BuT-Kinder bei uns.
Leider ist es ja auch so, dass die Gelder aus dem Corona-Aufholprogramm des Bundes nur sehr langsam abfließen. Das ist ähnlich wie beim Digitalpakt.Vor einem Jahr wurde die sogenannte Nachhilfe-Milliarde ausgelobt – und die deutschen digitalen Bildungsanbieter, die in der Corona-Krise Schülern und Lehrern zum Teil sehr geholfen haben, wurden nicht beteiligt. Das hat Sie und andere dazu bewegt, die Initiative deutscher digitaler Bildungsanbieter zu gründen, die iddb. Was hat sich seitdem getan?
Im ersten Schritt waren es etwa 25 Bildungsanbieter und gemeinnützige Organisationen, die sich zusammengeschlossen haben. Inzwischen sind es rund 70, die sich hinter unseren Kernforderungen versammeln.
Und die wären?
Unser wichtigstes Anliegen ist es, das Potenzial digitaler Bildungsangebote aufzuzeigen und dazu in einen Austausch zu treten mit Politik, Verwaltung und Gesellschaft. Wir wollen gehört werden, wir wollen unterstützen, wollen unsere Expertise und unsere Ideen einbringen.
Bei vielen Akteuren in der Bildungspolitik – und Verwaltung spüre ich zwar guten Willen, aber einen Mangel an Know-how, Fantasie und Möglichkeitssinn. Ich erinnere mich noch an eine Veranstaltung mitten im Lockdown, als ein paar digitale Bildungscracks Frau Merkel und Frau Karliczek erklären sollten, was sie so machen. Frau Merkel hat sehr erstaunt zugehört und manchmal gefragt: Ach, das ist schon möglich?
Zum Glück beginnt es jetzt langsam, dass wir gehört werden. Vor Kurzem war ich im Bundestag beim Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung eingeladen – und bei der KMK, als die Ständige Wissenschaftliche Kommission ihre Vorschläge zur Digitalisierung vorgestellt hat.
Sie fordern eine nationale Bildungsplattform, was ist damit gemeint?
Wir wollen eine Plattform, auf der alle digitalen Bildungsanbieter vertreten sind, die einen bestimmten Zertifizierungsprozess durchlaufen haben – damit die Schulen sicher sein können, dass diese die Anforderungen an den Datenschutz erfüllen, und aus Sicht ihrer Nutzer gut funktionieren. Dann wollen wir, dass es nach der Anschubfinanzierung des Digitalpakts eine regelmäßige staatliche Investition in digitale Lehr- und Lernmaterialien gibt – und dass die Schulen mehr Budgetautonomie bekommen, damit sie selbst entscheiden können, was sie nutzen. Und schließlich wünschen wir uns, dass es Bildungs- und Teilhabegutscheine auch für digitale Bildungsangebote gibt. Damit auch Kinder aus prekären Lebensverhältnissen auf sie zugreifen können.
Was halten Sie von der neuen Regierung und von Frau Stark-Watzinger, der neuen Bildungsministerin?






