Wir treffen uns in einem Café in Prenzlauer Berg, das ist Rainald Grebes Nachbarschaft. Mit seinem Social-Media-Berater arbeitet er gerade an einer Instagram-Umfrage. Alles Werbung für das Konzert am 29. Juli in der Berliner Waldbühne. Deshalb gibt Grebe jetzt auch laufend Interviews. Als es ans Bezahlen geht, stellt sich heraus, dass sein Geldbeutel leer ist. Sehr sympathisch!
Herr Grebe, ich habe am vergangenen Sonntag an Sie gedacht, wegen Ihres Lieds mit dem Titel „Thüringen“. „Schwieriges Thüringen“, heißt es da.
Ach ja, Sonneberg. Die Keimzelle der Bewegung, die Hochburg. Da schwappt es dann rüber. Als ich das Lied geschrieben habe, gab es die AfD noch nicht. Da war das Land noch ohne Arg.
Ist es an der Zeit, ein neues Thüringen-Lied zu schreiben?
Ich habe bei einem Auftritt in Thüringen mal eine Pointe reingebaut. Im Text nenne ich es ja „das Land ohne Prominente“ und dann habe ich gesungen: Björn Höcke, ein Geschichtslehrer aus Hessen. Alle haben gelacht.
Wie sehen Sie den Erfolg der AfD in den neuen Bundesländern?
Naja, ich hab jetzt schon von zwei, drei Leuten gehört, die aus Brandenburg wieder nach Berlin ziehen, weil sie es nicht mehr aushalten. Diese Gespräche. Man muss nur ein Wort fallen lassen, dann platzt es da gleich.
Was für ein Wort?
Habeck. Dann geht es ab.

Beim Konzerttheater „Hallelujah Brandenburg“ am 29. Juli machen etwa 300 Leute mit, darunter die Singing Shrinks (der Chor der Charité), die Bläser der Sogenannten Anarchistischen Musikwirtschaft, die Turner der Berliner Turnerschaft. Und Alligatoah, Bodo Wartke, Anna Mateur und Rene Marik.
Sie wohnen ja auch teilweise in Brandenburg. Kennen Sie das aus eigener Erfahrung?
Klar. Das Land und die Stadt sind einfach sehr getrennt. Und wir sind die Stadt.
Aber Sie sind doch auch halb Landbewohner.
Der große Unterschied ist, da zu sein und nicht wegzukönnen. Dann fühlt man sich abgestellt, gehört zur Gesellschaft nicht dazu.
Woher kommt der Hass auf Habeck?
Der Grünen-Hass ist nicht wirklich tiefenbegründet. Die gelten als die Besserverdienenden, die Städter, die keine Ahnung von den wahren Problemen haben. Stichwort Elektroautos. Auf dem Land gibt’s halt keine Ladestationen. Vor zehn Jahren war das noch anders. 2015 kam Pegida, da war ich gerade in Marokko und habe gesagt: Was ist denn da los in Deutschland. Und jetzt der Putin und die Putin-Freunde auf dem Land.
Gibt es die nicht auch in der Stadt?
Ja, aber nur außerhalb des S-Bahn-Rings.
Woher kommt denn die Putin-Freundschaft?
Das sind solche Wagenknechts. Die alten Linken, auch wenn es sie auch unter Rechten gibt. Die sagen dann: Das kannst du gar nicht verstehen. Vielleicht ist Russland etwas, das nur ihnen gehört.

Und nicht den Städtern und den Westlern, meinen Sie?
Ja, genau. Russland ist halt groß.
Und?
Das heißt, es wird nicht das Negative an Putin gesehen, sondern, dass jemand es schafft, das Land zu regieren. Dass die Verwaltung stimmt. Ich habe gestern mit einem Russen gesprochen, der erzählte von den freundlichen Leuten in der Verwaltung. Dass das System funktioniert. Und das ist dann Putin.
Und deshalb darf er auch Krieg gegen die Ukraine führen?
Das war ja die Nato.
Wollen Sie über Rammstein reden?
Ich war bei der Ex-Frau von Till Lindemann in der Physiotherapie. Und ich kenne seinen Halbbruder. Mit dem habe ich schon viel gemacht auf der Bühne. Das ist ein sehr guter Typ. Der wusste das alles gar nicht, was jetzt in der Zeitung stand.
Gibt es bei Ihnen eine „Row Zero“?
Bei mir ist es so, dass ich vor Groupies Angst habe. Ich geh da eher weg. Das gibt ja nur Probleme danach. Denen muss man dann erklären, dass man ganz anders ist als auf der Bühne. Das ist ja nur meine Arbeit. Ich fand es damals sehr scheiße, als die Lyrik von Till Lindemann rauskam. Dass das nicht verbunden wurde mit der Person.
Tragen Sie eigentlich noch den Indianerschmuck?
Eigentlich nicht. Da kommt ja postwendend die Sache mit der kulturellen Aneignung. Der Schmuck war ein leichter Scherz. Jetzt ist das immer beschwert. Das hält der nicht aus. Das ist ja nicht inhaltlich gemeint. Die Diskussion um kulturelle Aneignung kollidiert mit dem Beruf des Schauspielers, des Verkleidens. Ich setz mir vieles auf und setz es wieder ab. Und das wird mir jetzt genommen. Das Indianerteil hat eine Geschichte. Mein Vater ist Karl-May-Experte. Das ist so ein Karl-May-Ding. Das ist nicht die Geschichte der Ureinwohner, sondern eine innerdeutsche Geschichte mit sehr vielen Bezügen. Der Indianerschmuck war früher schon old time. Karl May las man vielleicht noch in den 50er-Jahren. Aber in den 90er-Jahren nahm man das eher humorvoll. Die sächsische Tradition. Auf der anderen Seite finde ich es gut, dass das jetzt Thema ist. Ich respektier das. Ich knicke ein. Der Schmuck schafft es nicht, der hält das nicht aus.
Sie würden Ihr „Brandenburg“-Lied nicht mehr schreiben, haben Sie kürzlich gesagt. Warum das denn, es ist so lustig?
Das Lied ist ja nicht schlecht, aber ich habe ein Problem mit den knalligen Pointen. Ich wohn da ja. Ich habe es jetzt auch wirklich lange nicht mehr gesungen. Aber für die Waldbühne – ja, denke schon.
Ihr Konzert in der Waldbühne hat den Titel „Halleluja Berlin“, das ist ja ein Zitat aus dem „Brandenburg“-Lied.
Diese große Veranstaltung geht auch nur wegen dieses Liedes. Daher kommt meine Bekanntheit.
Macht es einen Unterschied, dass Sie als Westler die Lieder über die ostdeutschen Bundesländer geschrieben haben?
Klar. Es stimmt zwar alles. In Thüringen essen sie Hunde – ist alles erlebt, aber der Blick ist von außen. Der Blick des Trip-Advisor- oder Baedecker-Wessis. Comedy – das ist ja alles aus Köln. Böhmermann, Stefan Raab. Die sagen auch immer: der blöde Osten.
Würden Sie es akzeptieren, wenn Ihnen jemand sagt, Sie als Westler dürfen kein Lied über den Osten machen?
Ich bin zum Glück noch frei. Und das beruht ja alles auf Erfahrung.
In der Waldbühne wird der Charité-Chor auftreten. Wie sind Sie an den gekommen?
Den hat mir mein Arzt an der Charité empfohlen.
Wie geht es Ihnen eigentlich, wenn ich Sie das fragen darf?
Ganz gut. Ich hatte jetzt anderthalb Jahre so einen Schwindel als Folge der Schlaganfälle, und der ist seit drei Tagen weg. Also der Hauptschwindel, nicht die Nebenschwindel.
Nehmen Sie Medikamente?
Einen ganzen Eimer voll. Ich spritze mich auch selber. Ich bin Patient. Das Trügerische ist: Ich habe keine Schmerzen mehr. Fünfzehn Schlaganfälle habe ich gemerkt, die anderen nicht.
Wie hat das Ihre Sicht auf das Leben verändert? Versuchen Sie, es mehr zu genießen, wie es in solchen Fällen immer heißt?
Die Aussichten sind nicht so gut. Ich sterbe jetzt nicht gleich, aber mein Gehirn zersetzt sich. Was ich habe, ist eine Gefäßkrankheit. Die kleinen Adern im Gehirn platzen oder verengen sich. Und es kann halt sein, dass ich nach dem nächsten Schlaganfall blöd bin. Ich bin jetzt in der Phase, in der ich versuche, meinen Beruf noch auszuüben. Aber Gleichgewicht, Kraft – das ist ein Problem. Und dann frage ich mich, was ich mache, wenn ich nicht mehr auftreten kann. Aber genießen? Es ist schön, dass wir hier reden, dass das noch geht. Früher habe ich mir nie gesagt, wie wichtig Familie ist. Aber jetzt: Ich bringe mich nicht um, weil ich so viel Schönes habe. Aber die Fantasie hat man.
Ich habe gelesen, Ihre Krankheit sei gut behandelbar.
Es gibt Menschen, die sind medikamentös eingestellt und können lange leben. Aber ich habe eine Unterform der Vaskulitis, eine unklare Diagnose. Und das ist schwierig. Da müssen die Ärzte rumprobieren.
Fühlen Sie sich ungerecht behandelt?
Von wem?
Vom Schicksal.
Nee. Ich sehe viele andere, denen es auch schlecht geht.
Es gibt auch viele, denen es gut geht.
Ja, aber das hat sich jetzt verabschiedet, dass man zu denen gehört. Plötzlich sieht man nur Leute, die krank sind oder todkrank oder die sterben. Im Krankenhaus kriege ich irgendwelche Infusionen, und neben mir liegt einer, der auch nicht weiß, was er hat. Mein Problem ist, dass ich einen Schlaganfall kriegen kann, nach dem ich nicht mehr fähig bin zu denken. Am Rollator zu gehen, war auch hart. Das sind so Zeichen. Letzte Woche habe ich nicht mehr sprechen können, aber nur ganz kurz. Das hat sich angefühlt wie Kriechstrom im Gehirn. Letztes Jahr habe ich nach den Schlaganfällen drei Blutverdünner bekommen, und dann trat Blut aus ins Gehirn. Ich habe Stammelanfälle bekommen. Davor habe ich Angst.

Und vorm Sterben?
Was auch immer das ist. Sterben. Mein Gott. Ich habe ja auch immer noch das Gefühl, dass ich halbwegs jung bin. 52. Ich bin auch noch in dieser Welt. Ich sitze im Café. Ganz real ist das Blödwerden und damit noch lange leben. Und dann nicht entscheiden zu können, ob man abgestellt werden will oder nicht.
Haben Sie eine Patientenverfügung?
Ja. Auch ein Testament, alles. Da steht drin, dass ich keine lebenserhaltenden Maßnahmen will. Aber wenn dann der Punkt kommt, ist es vielleicht ganz anders. Ich kann das nicht einschätzen. Wenn ich blöd bin, müsste das meine Familie entscheiden. Darüber habe ich auch mit meiner Freundin gesprochen. Aber was ist das dann für ein Gespräch. Man muss in der Situation sein.
Und jetzt treten Sie in der Waldbühne auf.
Vielleicht. – Ja, ja, ja, ja.
Das Konzert sollte anlässlich Ihres 50. Geburtstags stattfinden. Das ging dann wegen Corona nicht. Haben Sie zwischendurch gedacht, Sie werden es nicht mehr in die Waldbühne schaffen?
Ja. Naja. Die Wege dort sind sehr lang, und die Kraft ist ein Problem. Da drei Stunden lang zu spielen. Und davor die Werbung, die Interviews. Peter Fox muss nur schnipsen, dann hat er die Waldbühne voll.
Und Sie müssen ackern?
Ja, klar. Ich bin auch nicht mehr so präsent in den Medien. Das ist hart. Es ist ein Geschenk, das noch machen zu können. Klar. Danach brauche ich eine Woche Urlaub.
Wo denn?
Brandenburg, Schweiz, Charité. Mal sehen.





