Rainald Grebe sitzt gefasst an einem Schreibtisch in der Landesvertretung Baden-Württemberg in Berlin. Der Künstler und Liedermacher, der seit 2014 an der Autoimmunkrankheit Vaskulitis leidet, die regelmäßig Schlaganfälle verursacht, kämpft sich singend und klavierspielend und schreibend durchs Leben. Die Kunst, sie ist es, die ihn dazu antreibt, weiterzumachen, nicht aufzugeben, morgens aufzustehen. An diesem Mittwochabend in der Landesvertretung spürt man, dass es Grebe nicht leicht fällt, die Krankheit, die ihn älter macht, als er ist, zu akzeptieren. Das Schicksal ist ein mieser Verräter.
An diesem Abend wird in der Landesvertretung die Cosmic Radio Show live produziert. Die Moderatoren haben Grebe zu Gast und die Schriftstellerin Lena Gorelik. Es geht um Neuanfang und Abschiednehmen. Durch die Show führen DJ und Moderator Andreas Vogel sowie Moderatorin und Sprecherin Aliki Schäfer.
Mit der Schriftstellerin Gorelik flutscht es, sie beantwortet bereitwillig alle Fragen, erzählt, wie sie als Kontingentgeflüchtete mit 11 Jahren aus Russland nach Deutschland floh, in welcher Form sie in ihrer Literatur das Ankommen, den Neubeginn, aber auch das Zurücklassen thematisiert. Auch beschreibt sie ausführlich, wie problematisch die russische Sprache für sie wegen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine geworden sei. Dass sie ganz leise spreche, wenn ihre Mutter sie im Zug anrufen würde. Am liebsten möchte sie nach einem solch russischen Telefonat anschließend in den Zug rufen, dass sie aber gegen Putin sei – um sich für ihren kulturellen Background und die Sprache zu entschuldigen.
Rainald Grebe ist wieder da
Bei Grebe bricht der Abend in eine andere Richtung. Er will nicht so recht die Fragen der Moderatoren beantworten, schreckt zurück, ist einsilbig, geradezu abweisend und stur, spielt in seinen Antworten so wie in seiner halbfiktionalen Autobiografie „Rheinland Grapefruit“ mit verschiedenen Formen der Wahrheit und Lüge, wenn es um Fragen nach seiner Person geht.
Aber in den tragischen Sätzen über seine Krankheit erglimmt die ganze Brutalität des Lebens, Grebes Angst, die Wut gegenüber der Ungerechtigkeit, dass er so jung als 50-Jähriger in die Reha musste, dass er seine Krankheit in den Griff bekommen habe, aber nicht wisse, wie lange es noch so weitergehen würde. Noch vor ein paar Monaten sei er mit einem Rollator durch die Fluren einer Klinik gefahren. Jetzt könne er gehen. Das ändere die eigene Einstellung zum Leben. Früher, so Grebe, sei er über die Straße gelaufen und habe an alle möglichen Dinge gedacht. Jetzt gehe er über die Straße und denke nur wundersam an eines: „Ich gehe über die Straße.“
Erst als sich Grebe ans Klavier setzt, schimmert sehr viel Hoffnung durch. Seine Singstimme klingt nicht ganz so fest wie früher, nicht ganz so entschlossen, doch kernig und robust. Seine Läufe am Piano sind etwas staccatoartiger, aber der Lebens- und Leidenswille, er ist da, er gehört zur Kunst. Grebe spielt zwei neue Songs und dann das autobiographische Stück „Krümel“, das von einem 17-jährigen Jungen erzählt, der in der Nähe von Köln (wie Grebe) aufwächst in einer bürgerlich-behüteten Umgebung. Aber da ist schon mit 17 dieser Weltschmerz da und die Wut und die Angst vor dem Abgrund, der aus bloßen Liedern echte Kompositionen macht. „Krümel, Krümel, was ist los mit dir? / Das Leid der Welt liegt auf deinen Schultern / Ah Krümel, Krümel, du bist nicht mehr lange hier / Komm mit mir, es ist alles so einfach.“ Rainald Grebe, er ist wieder da.
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