Kolumne

Nach AfD-Sieg in Sonneberg: Jetzt heulen die Ossis wieder

Ein Spiegel-Kolumnist fordert sein Geld zurück, weil die Ostdeutschen falsch gewählt haben. Doch wenn es wie in Schwerin anders ausgeht, wird das kaum beachtet. Eine Kolumne.

Rico Badenschier hat in Schwerin die Stichwahl gegen einen AfD-Kandidaten gewonnen.
Rico Badenschier hat in Schwerin die Stichwahl gegen einen AfD-Kandidaten gewonnen.Jens Büttner/dpa

Vor zehn Tagen hat Rico Badenschier in Schwerin eine wichtige Wahl gewonnen. Eine Stichwahl gegen einen Kandidaten der AfD, um das Amt des Oberbürgermeisters. Mit fast 68 Prozent der Stimmen, also ziemlich deutlich, wenn auch die Wahlbeteiligung bei nur 49 Prozent lag. Ich habe Badenschier vor einigen Wochen getroffen, ich war nach Schwerin gefahren, um darüber zu schreiben, wie die Stadt sich in den 33 Jahren nach der Wiedervereinigung verändert hat.

Badenschier ist in der SPD und war auch vor der Wahl schon Oberbürgermeister. Er bestand darauf, dass wir uns nicht im historischen, glänzend sanierten Zentrum der Stadt trafen, sondern in einem der großen Plattenbauviertel. Dem Teil der Stadt, der oft übersehen wird, und der ihm wichtig zu sein schien. Badenschier kam mit seinem Fahrrad und ohne Pressesprecher. Er ist 44, stammt aus Chemnitz und war Arzt, bevor er 2016 zum ersten Mal gewählt wurde. Auf der Straße sprachen ihn Leute an. Ein Mann fragte, warum zwei Anbieter ihre Hüpfburgen so nah beieinander aufgebaut hatten. Wo es sonst in der Gegend so wenig Angebote für Kinder gebe. Badenschier nahm jede Frage ernst und radelte danach zurück zum Rathaus.

Ich hätte seinem Sieg größere, deutschlandweite Aufmerksamkeit gewünscht. In den Medien, auf Twitter. Er hatte im Osten gegen die AfD gewonnen! Ein junger, ostdeutscher Politiker. Aber sein Erfolg wurde kein großes Thema.

Schwerin war eben nicht Sonneberg. Da hat am Wochenende der Mann der AfD gewonnen. Ein kleiner Landkreis, nur eine Landratswahl. Die Aufmerksamkeit seitdem ist riesig. Ich verstehe das zum Teil. In Thüringen ist die AfD so radikal wie nirgendwo sonst, sagen alle, die diese Partei seit Jahren beobachten. Es ist wichtig, hinzusehen, was sie jetzt dort tut, wie es den Menschen im Landkreis gehen wird, die nun unter einem AfD-Politiker leben müssen.

AfD gewählt? Geld zurückzahlen!

Aber darum schien es vielen gar nicht zu gehen, die sich auf das Ergebnis stürzten. Auf Twitter las ich am Abend nach der Wahl, dass sich Ostdeutschland schämen solle. Wegen Sonneberg. Ganz Ostdeutschland. Ein Grünenpolitiker war dieser Ansicht. Am nächsten Morgen teilte mir ein Journalist mit, dass jetzt wieder ein paar Ossis herumheulen, „weil die Hälfte von ihnen an einem Ort Faschismus gewählt haben“. Wahrscheinlich zähle ich jetzt auch dazu.

Ich dachte an Schwerin und daran, was mir der Medienwissenschaftler Lutz Mükke in einem Interview gesagt hat: Der Osten interessiert den Westen und regt ihn auf, wenn er die Abweichung ist. Wenn er dem Klischee entspricht.

Auf Spiegel online forderte der Kolumnist Nikolaus Blome sein Geld aus dem Osten zurück. Blome ist Politikchef bei RTL und n-tv. Ich weiß nicht, was er persönlich an den Osten überwiesen hat. Er will das Geld zum Glück auch nicht von mir persönlich, nicht von „den Ossis“, die gebe es nämlich gar nicht. Ich überlegte kurz, ob er im Ost-West-Diskurs damit schon ein wenig weiter ist als andere Westdeutsche. Blome will jedenfalls Geld zurück von Ostdeutschen, die AfD wählen. Von Berlinern (offenbar auch Ost-Berlinern) und Westdeutschen, die AfD wählen, will er erst mal nichts. Dabei würden sich doch da in Zukunft auch Möglichkeiten ergeben? Von allen Ostdeutschen wünscht Blome sich: mehr Dankbarkeit.

Nach der Wahl in Schwerin hat Rico Badenschier, der Wahlsieger, dem NDR über die AfD gesagt, er fühle „ein kleines bisschen Groll darüber“, dass es in den Medien aus ganz Deutschland, die vor der Wahl aus Schwerin berichtet hatten, „nur darum gegangen sei, wie das mit der AfD habe passieren können“.