Literatur

Wie die Bestseller-Autorin Hera Lind die DDR-Geschichte für sich entdeckte

Die Frauenbuchautorin aus Bielefeld schreibt jetzt DDR-Tatsachenromane. Aber mit den Tatsachen ist das bei ihr so eine Sache. Eine Kolumne.

Hera Lind in einer Talkshow
Hera Lind in einer TalkshowBartilla/imago

Als ich mich an einem Freitagabend durch die Fernsehprogramme zappte, blieb ich beim MDR hängen. In der „Riverboat“-Talkshow. Der ehemalige Spiegel-Chefredakteur Klaus Brinkbäumer saß mit einer blonden Frau und einem sächselnden Mann zusammen, der als „Dieto“ vorgestellt wurde. Die Frau war die Schriftstellerin Hera Lind, „Dieto“ war 1965 aus der DDR geflohen. Lind hat über sein Schicksal ein Buch geschrieben, das auf der Bestsellerliste steht. Kaus Brinkbäumer sagte, dies sei bereits ihr sechster DDR-Tatsachenroman.

Ich war verblüfft. Nicht nur, dass der ehemalige Spiegel-Chefredakteur jetzt Talkshowmoderator war, sondern vor allem darüber, dass unter den Autoren, die sich mit der DDR beschäftigten, eine neue, unerwartete Mitspielerin aufgetaucht war: Hera Lind aus Bielefeld.

In den 90ern schrieb sie Bestseller über Frauen mit Männerproblemen, „Das Superweib“ war ihr größter Erfolg. Danach war es lange ruhig um sie, und irgendwann muss sie historische Stoffe für sich entdeckt haben, DDR-Tatsachenromane, wobei das mit den Tatsachen so eine Sache ist.

Das Prinzip von Linds DDR-Büchern ist das Gleiche wie bei ihren Frauenromanen: zuspitzen, vereinfachen, verkitschen. Männliche Helden sind bei ihr so „stark wie Bären“, weibliche „jung, blond und zart“, und die Bösen sind – anders als im echten Leben – stets die anderen. „Plündernde, prügelnde, vergewaltigende“ Trupps „russischer Siegersoldaten“ am Kriegsende zum Beispiel. Amerikaner dagegen haben „gutmütige Gesichter“, „starke Hände“, „weiße Zähne“. In Linds DDR-Beschreibungen spielen Wochenkrippe, Staatssicherheit, Flucht und Gefängnis eine große Rolle. Die schwedische Band Abba wird verboten, auch wenn sie das nie war.

In ihrem jüngstem Werk „Mit dem Mut zur Liebe“ spielt „Dieto“, der sächselnde Mann aus der „Riverboat“-Talkshow, die Hauptrolle. Ein Star-Artist aus Dresden, der 1965 über Jugoslawien mit seiner Frau aus der DDR geflohen war, gleich zweimal hintereinander, weil er bei der ersten Flucht seine Jonglierbälle und Artistenkostüme vergessen hatte. Das begeistert Hera Lind. Im „Riverboat“ ruft sie: „Da sitzt mein Dieto im Auto und denkt sich: Ich brauch meine Bälle, meine Kostüme.“

„War ja alles selbstgemacht“, erklärt „Dieto“. Er will viel erklären, kommt aber nicht immer dazu. Hera Lind legt ihre Hand auf seinen Arm, erklärt dem Publikum, „Dieto“ neige dazu, „sich ein bisschen zu verzetteln“ und erzählt dann, wie es wirklich war. Es fällt mir schwer zuzuschauen. Die Westdeutsche behandelt den Ostdeutschen wie ein Kind, das nicht für sich selbst sprechen kann. Die Geschichte der Nachwendezeit im MDR-Talkshow-Format.

Ich rufe „Dieto“ an, ein paar Tage später, der Verlag hat mir seinen Kontakt geschickt. Er wohnt seit den 70ern in Italien, „zwischen lauter Reichen“, erzählt er, ein freundlicher Mann, der mir ein wenig den Wind aus den Segeln nimmt. Seine Frau, inzwischen verstorben, war Hera-Lind-Fan, sie kam 2011 auf die Idee, der Autorin ihre Lebensgeschichte zu schicken, die er „tagebuchartig“ aufgeschrieben und schon anderen angeboten hatte, auf Deutsch und auf Englisch. Lind zeigte Interesse, als Erste, ihr Verlag lehnte ab. Sie sollte lieber weiter Frauenromane schreiben. Dieto blieb dran, Lind wechselte den Verlag, und dann – endlich – klappte es, konnte seine Geschichte erscheinen.

Dieto ist glücklich, ich bin ernüchtert, denn ich begreife mal wieder: Es geht gar nicht darum, wer wie DDR-Geschichten erzählt, man kann schon froh sein, wenn sie überhaupt erzählt werden. Der Osten ist ein Risiko auf dem westdeutsch dominierten Buchmarkt, und Hera Lind mit ihren DDR-Tatsachenromanen eine Ausnahme, sogar sie. Im MDR sagte sie, ihr nächster sei bereits fertig.