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Wegen Justizreform: Israelische Acts beim Pop-Kultur-Festival wollen kein Geld aus Israel

Das Musikfestival Pop-Kultur wird seit 2017 von der BDS-Bewegung boykottiert: wegen Fördergeldern aus Israel. Diesmal gibt es kein Geld von der Botschaft. Was ist da los?

Einer der israelischen Acts, die bei Pop-Kultur 2023 spielen werden: Lola Marsh, hier in Kassel
Einer der israelischen Acts, die bei Pop-Kultur 2023 spielen werden: Lola Marsh, hier in KasselHartenfelser/Imago

Das Berliner Musikfestival Pop-Kultur hat schon lange ein BDS-Problem: 2015 gegründet, wurde es 2017 erstmals zur Zielscheibe der internationalen Boykott-Bewegung BDS (Boycott, Divestment and Sanctions). Die Organisation kritisiert Israel wegen seiner Behandlung der Palästinenser und arbeitet aktivistisch an der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Isolation des Staates. Umstritten ist dabei, ob das eine legitime Form des Protests an der gegenwärtigen israelischen Politik oder generell antisemitisch ist.

Was hat das mit Pop-Kultur zu tun? In den Jahren 2017, 2018, 2019 und 2022 war die israelische Botschaft in Berlin Förderer des Festivals. Es handelte sich um vergleichsweise niedrige, drei- bis vierstellige Fördersummen für einzelne Projekte auf dem Festival, auch Reisekostenzuschüsse für Acts, die aus Israel anreisten. BDS hat daraufhin für das Festival gebuchte Acts eindringlich und lautstark aufgefordert (man könnte auch sagen: unter Druck gesetzt), ihre Teilnahme abzusagen. In nicht wenigen Fällen gelang das. Am meisten Furore machte wohl 2017 die Absage der schottischen Young Fathers. Auch 2022 sagten vier Acts mit Verweis auf die BDS-Kampagne ihre Auftritte ab, nur wenige Tage vor Festivalbeginn.

Könnte das 2023 wieder geschehen? Das Festival findet vom 30. August bis zum 1. September statt. Noch scheint alles ruhig. Das dürfte auch daran liegen, dass dieses Jahr anscheinend kein Geld aus Israel ins Festival fließt. Doch warum ist das so? Auf Anfrage der Berliner Zeitung hat sich das Presseteam des Festivals geäußert: Auch dieses Jahr treten israelische Acts bei Pop-Kultur auf. Die Kosten für ihre Auftritte seien jedoch über die Förderung durch die Initiative Musik (mit Projektmitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien) gedeckt. So weit, so unspektakulär. Doch dann wird es schon heikler.

In der Antwort an die Berliner Zeitung stellt das Festival auch klar, dass grundsätzlich Kulturinstitutionen und Botschaften keine Angebote für Förderung unterbreiten, sondern es sei so: „Künstler*innen beantragen vielmehr über uns bei den jeweiligen Länder-Institutionen zusätzliche Reisekostenzuschüsse.“ Der Punkt, der dann wirklich aufhorchen lässt, ist dieser: „In diesem Jahr haben die israelischen Künstler*innen deutlich gemacht, dass sie in der gegenwärtigen Lage kein Interesse daran haben, derartige Zuschüsse zu beantragen. Aus diesem Grund gab es keine Anträge an die israelische Botschaft.“

Bezieht sich das auf die umstrittene Justizreform in Israel durch die Regierung von Premierminister Benjamin Netanjahu? In Israel gibt es seit Januar 2023 große Proteste gegen die Reform, Kritiker fürchten das Ende einer unabhängigen Justiz. Oder ist mit „in der gegenwärtigen Lage“ gemeint, dass BDS abermals zu Boykotten gegen Pop-Kultur aufrufen könnte, sollte man israelisches Botschaftsgeld empfangen? Oder geht es um beides zugleich? Auf Nachfrage der Berliner Zeitung ergänzt eine der Festival-Pressesprecherinnen: „Mit ,der gegenwärtigen Lage‘ ist die aktuelle politische Lage angesichts der Justizreform in Israel gemeint.“

Interessant wäre auch: Wer sind eigentlich die israelischen Acts, die kein Geld aus Israel wollen? Ein Blick ins Pop-Kultur-Programmheft zeigt, aus Israel kommen Odelly, Lola Marsh und Rasha Nahas. Wobei Odelly gerade über die Tel Aviv–Berlin Co-Creation Residency vom Musicboard in Berlin weilt. Sie benötigt also keine Zuschüsse; ihre Kosten werden vom Musicboard getragen. 

Interessanter ist der Fall von Rasha Nahas, die in Berlin lebt. Auf ihrem X-Profil (ehemals Twitter) hat sie sich bereits am 22. Juni zu Pop-Kultur und Israel geäußert: „Ich habe die Einladung zu spielen unter der klaren Bedingung angenommen, dass es keine Förderung durch die israelische Regierung geben wird.“ Das Festival habe ihr zugesichert, dass es dieses Jahr keinerlei Förderung durch Botschaften geben werde. Sollte sich daran etwas ändern, werde sie ihren Auftritt canceln. „Als palästinensische Frau, aber auch einfach als Mensch“ stehe sie für ihre Prinzipien; sie sei „gegen antipalästinensischen Rassismus, Antisemitismus, antischwarzen Rassismus, Islamophobie, Sexismus, Homophobie und Transphobie“.

Bleibt noch Lola Marsh. Wir haben nachgefragt. Dort reagiert man reserviert. Die Agentin schreibt, die Band habe weder israelische Fördermittel beantragt noch seien sie ihr angeboten worden. Mit den von uns erwähnten „Gerüchten“, dass dieses Jahr die israelischen Acts kein Geld von Israel gewollt hätten, sei man nicht vertraut. Die Band werde die Sache nicht weiter kommentieren. Auf unsere Nachfrage, ob politische Motive eine Rolle spielen, wurde lediglich die vorherige Antwort wiederholt: „Lola Marsh haben von der israelischen Botschaft für die kommende Pop-Kultur weder Geld beantragt noch ist es ihnen angeboten worden.“

Während Rasha Nahas also sehr deutlich macht, dass sie das Festival boykottieren würde, sollte israelisches Geld fließen, hüllen sich Lola Marsh in Schweigen. Wenn man das Festival-Statement beim Wort nimmt, dass die israelischen Acts in diesem Jahr „in der gegenwärtigen Lage“ kein Interesse an Geld aus Israel haben, müsste man sich bei Lola Marsh eigentlich zumindest mit dieser Option auseinandergesetzt haben. Sagen will man dazu aber offenbar nichts.

Es wirkt wie die Ruhe vor dem Sturm. Wollten die israelischen Acts einem BDS-Shitstorm zuvorkommen? War es möglicherweise auch dem Festival ganz recht, dieses Jahr endlich mal keinen BDS-Ärger zu haben und sich auf die Musik konzentrieren zu können? Doch um welchen Preis? Haben die israelischen Acts ihre eigene Botschaft boykottiert? „Kampagnen, welche die wirtschaftliche, kulturelle und politische Isolierung von Israel zum Ziel haben, lehnen wir nach wie vor ab“, heißt es vom Festival jedenfalls. Indirekt hat BDS aber eben doch ins Festival hineingewirkt, auch diesmal. Selbst wenn es dafür nicht mal nötig war, dass Künstler in letzter Minute noch absagen.

In einem Statement zu dem Festival nimmt die israelische Botschaft auf Anfrage der Berliner Zeitung keinen direkten Bezug auf einzelne Künstler und deren Agieren. Hier heißt es: „Das Pop-Kultur-Festival ist eines der wichtigsten Musikfestivals in Deutschland, und wir sind sehr stolz, dass regelmäßig Musiker*innen aus Israel zu Gast sind, die hier ihr Talent präsentieren können.“ Die Botschaft verweist auf „ein großartiges Austauschprogramm für Künstler*innen zwischen Berlin und Tel Aviv“, das an das Festival angeschlossen ist. Und dann der abschließende Satz mit einem wichtigen wenn: „Aus diesem Grund unterstützen wir das Festival grundsätzlich immer sehr gerne, wenn wir einen Antrag auf Förderung erhalten.“ Diplomatischer kann man es wohl kaum sagen.