Bücher

Cancel Culture: Wie eine App verbannte Bücher wieder zugänglich macht

Eine App aus den USA umgeht Cancel-Regelungen für Bücher in Bibliotheken. Was steckt dahinter und wer ist der prominenteste Fan dieser Lektüre-App?

Ein Tisch mit verbannten Büchern, hier in einer Buchhandlung im Bundesstaat New York
Ein Tisch mit verbannten Büchern, hier in einer Buchhandlung im Bundesstaat New YorkTed Shaffrey/AP

Bücher können Fenster in die Welt hinaus sein. Horizonterweiternd, buchstäblich. Aber gerade deshalb ist der Zugang zu ihnen schon immer auch ein heißes Eisen: Selbst der direkte Zugang zur Bibel blieb ja lange, im Sinne der mächtigen Kirchengelehrten, den Volksmassen verwehrt; vor den Übersetzungen in Landessprachen, etwa durch Luther.

Besonders polarisierend geht es in Sachen Bücherbann schon lange in den USA zu. Eines der großen Beispiele der Weltliteratur: J.D. Salingers „Der Fänger im Roggen“ (1951) über den aufmüpfigen Holden Caulfield. Zwischen 1961 und 1982 war es in amerikanischen Bibliotheken (auch, aber längst nicht nur in Highschools) das meistverbannte Buch. 1981 war es aber zugleich auch des zweitmeist unterrichtete Buch in den USA. Für die einen war es vulgärer Schund. Für die anderen ein Klassiker des Kanons. Wobei sich die zweite Sichtweise mittlerweile zumindest an den akademischen Literatur-Instituten durchgesetzt haben dürfte.

In den letzten Jahren nehmen Buchverbote in den USA wieder zu. Von 2021 auf 2022 hätten sich Verbotsversuche fast verdoppelt, meldet der Bibliotheksverband American Library Association. Wie die Schriftstellerorganisation PEN America ermittelt hat, waren zwischen Juli 2021 und Juni 2022 sage und schreibe 1600 Titel vom Bann betroffen. Je nach Region und Bibliothek sind es unterschiedliche. Am meisten verboten wird in den konservativen Bundesstaaten Florida und Texas. Auffällig: Oftmals trifft es queere Titel für ein jugendliches Publikum.

Eine App soll diese Cancel Culture nun umgehen: Die Applikation „The Palace Project“ (eine Bibliotheks-App der Digital Public Library of America) stellt eine Spezialfunktion namens „The Banned Book Club“ zur Verfügung. Sogar der ehemalige US-Präsident Barack Obama hat bereits dafür die Werbetrommel geschlagen, als er im Juli seiner Sommer-Leseliste auf X (Ex-Twitter) veröffentlichte.

Wie funktioniert „The Banned Book Club“? Via Geo-Lokalisation kann die App feststellen, welche Bücher in den Bibliotheken um einen herum verbannt sind. Diese Titel werden dann als E-Book-Download angeboten. Haken bei der Sache: In Berlin, überhaupt in Deutschland, funktioniert die App eigentlich nicht. Man muss sich schon in den USA befinden. Wobei freilich Mittel und Wege existieren, Geo-Lokalisation zu manipulieren.

Aber wer steckt eigentlich hinter dem Projekt? Die Digital Public Library of America (DLPA) ist ein Projekt an der Harvard University und wurde dort 2010 ins Leben gerufen. Es geht dabei ums Digitalisieren und Zugänglichmachen von Kulturgütern. Für „The Banned Book Club“ arbeitet man mit der App „The Palace Project“ zusammen. Finanziell unterstützt wird das Projekt von der 1940 in Miami gegründeten, gemeinnützigen Knight Foundation, die sich zum Ziel gesetzt hat, Qualitätsjournalismus, Community-Arbeit und Künste zu unterstützen.

Vermutlich sieht man von Miami aus auch besonders die Gefahren, die in Florida vom republikanischen Gouverneur und Präsidentschaftskandidaten Ron DeSantis ausgehen. Einem ausdrücklich anti-liberalen Gegner queerer Menschen. Und vielleicht bald schon Präsident der USA.