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Knutschen bis die Welt okay ist: Die zweite Staffel der Netflix-Serie „Heartstopper“

Die queere Coming-Of-Age-Serie „Heartstopper“ ist einer der größten Netflix-Hits der letzten Jahre. Warum ist sie so beliebt? Und kann die zweite Staffel mithalten?

Charlie (Joe Locke) und Nick (Kit Connor) auf ihrem Schulausflug in der Stadt der Liebe
Charlie (Joe Locke) und Nick (Kit Connor) auf ihrem Schulausflug in der Stadt der LiebeTeddy Cavendish/Netflix

Wenn die Hände von Charlie und von Nick einander fast berühren, dann funkt es mitunter wortwörtlich. Dann mischen sich fantastische, gezeichnete Graphic-Novel-Spurenelemente in die Spielfilm- oder besser gesagt in die Spielserienwirklichkeit, die auf den Graphic Novels von Alice Osemann basiert. Nick und Charlie gehen auf dieselbe Schule und später auch ins selbe Rugby-Team, und sie haben einander. Sie tollen mit Nicks Hündin im Park umher, und sie verschlingen Milkshakes oder gehen gemeinsam ins Kino. Sie kuscheln und sie knutschen, und sie strahlen einander an, oder manchmal strahlt auch jeder für sich immer noch ganz bezaubert, wenn der andere gerade da war und in Gedanken noch da ist. Klingt das alles ein wenig zu kitschig oder gar zu banal, um einen der größten Netflix-Hits der letzten Jahre zu landen?

Vermutlich kann man das nur denken, wenn man heterosexuell und cisgender ist. Denn: Queers sind es gewohnt, dass sie in der Popkultur entweder gar nicht vorkommen (so war es lange Zeit) oder nur sehr am Rande oder nur als Problemfiguren mit allerlei Drama und Trauma; in Horrorstreifen auch gern als leichtes Mordopfer. „Bring deine Gays zur Strecke“ lautet eine ungeschriebene Drehbuchregel. Kein Wunder, dass schon der Coming-of-Age-Film „Call Me By Your Name“ mit Timothée Chalamet 2017 einen Nerv traf: endlich mal entspannter schwul (beziehungsweise: bisexuell) sein, ohne dass darum ein Riesenaufriss gemacht wird. In dieser Tradition steht auch die britische Netflix-Erfolgsserie „Heartstopper“. Was nicht heißen soll, dass es hier keine Probleme gäbe.

Aber anders als in anderen aktuellen Jugendserien wie „Euphoria“, „Élite“ oder „Tote Mädchen lügen nicht“ (auch hier gibt es überall queere Figuren) geht es in „Heartstopper“ nicht permanent um Drogen, Sex, Intrigen, Mord und Totschlag. Eigentlich nie. Denn „Heartstopper“ wird dem gerecht, dass es manchmal einfach schon kompliziert genug ist, 15 zu sein; andererseits aber auch abenteuerlich schön.

Staffel 2 „Heartstopper“ auf Netflix: Auf den Heartstopper-Effekt ist Verlass

Nick ist bi, aber er tut sich mit dem Coming-out schwer. In Staffel 2 nun wird er es auch seinem Bruder und dem Vater sagen, doch das ist gar nicht so einfach. Charlie ist schon lange geoutet, aber er hatte mit Mobbing zu kämpfen. Und weil er gerade in der Schule nicht so stark ist, wollen seine Eltern in Staffel 2, dass er Nick für eine Weile nicht mehr sieht. Auch im Freundeskreis, zu dem auch Tara und Darcy (ein hinreißend in Szene gesetztes lesbisches Paar) gehören, ist nicht nur Softeis-Schlecken angesagt. Elle ist trans. Ihr Kumpel Tao und sie wollen merklich mehr voneinander, aber geht das, wenn man schon so lang befreundet ist? Und was ist mit Isaac, der anscheinend immer „nur“ mit Büchern kuschelt? Zum Glück steht bald eine Schulfahrt aus der englischen Provinz heraus nach Paris an!

Ein tolles Stilmittel in „Heartstopper“ sind  die feinfühlig integrierten Instagram-Messenger-Dialoge. Recht oft passiert es, dass Charlie oder Nick oder jemand anderes aus der liebevollen Clique im Ringen um die richtigen Worte im Messenger bereits getippte Worte dann doch zurücknimmt und neu anordnet. Stream of consciousness in Zeiten der Follower. Staffel 2 knüpft in vielem nahtlos an Staffel 1 an: Der Heartstopper-Effekt funktioniert wieder prächtig: Feelgood, bei dem zwar auch Trouble aufscheint, aber nie so schlimm, dass keine Hoffnung bliebe. Notfalls knutschen, bis die Welt wieder okay ist.

Aber Staffel 2 macht auch klar: Die geliebten Figuren müssen sich noch mal neu ihrer Vergangenheit und Zukunft stellen. Gleichwohl: Wer Staffel 1 geliebt hat, der wird auch die zweite Staffel „Heartstopper“ warm ins Herz schließen. Die Chemie unter den Schauspielern ist einfach unvergleichlich gut. Und bitte nicht wundern, wenn plötzlich auch im echten Leben Graphic-Novel-Sternchen oder -Herzlein aufstrahlen. Oder wenn man am Ende einer Folge so verträumt lacht, wie es Nick und Charlie tun. Dieses Glücklichsein ist nämlich ansteckend. Versprochen.

Heartstopper. Staffel 2 (VÖ 3.8.), Serie, 8 Folgen, Netflix