Als Schauspieler gehört das Spielen einer Rolle zum Job. Ja, mehr noch: Das ist geradezu der Inbegriff der Jobbeschreibung eines Schauspielers. Jemand sein für eine Weile, der man eigentlich nicht ist; dem schönen, auch mal wenig schönen Schein zuliebe.
Doch wenn man durchs eigene Leben wandeln muss wie ein Schauspieler, der vorgibt jemand zu sein, der er gar nicht ist, gerät das Leben leicht zum Psycho-Horror. Viele queere Menschen könnten ein Lied davon singen oder ein Buch darüber schreiben – so wie der queere Hollywoodstar Elliot Page es nun mit seinem Memoir „Pageboy“ getan hat.
Der schwule französische Schriftstellerstar Édouard Louis („Das Leben von Eddy“, „Im Herzen der Gewalt“) hat 2019 im Interview mit der New York Times eindringlich über seine Beziehung zu Theater und Schauspiel gesprochen. Dabei erzählte er auch, wie er als Kind einer Arbeiterfamilie in seinem nordfranzösischen Heimatdorf viel Bier trank, über Fußball quatschte und sich über Mädchen lustig machte. Jeder Tag sei eine Performance gewesen - „um mich selbst vor Homophobie und vor männlicher Gewalt zu schützen“. Ein tatsächliches Theaterstück mit queerem Thema, das seine Schulklasse besuchte, verließ er vorzeitig, aus Angst. „Ich stand auf und sagte, diesen Schwuchtel-Kram will ich nicht länger sehen.“ Selbstschutz. Jahre vor seinem Coming-out.
In seinem literarischen Schaffen hat sich Édouard Louis inzwischen umfangreich mit seiner Herkunft und mit seinen vielen kleinen Schritten hin zum Coming-out beschäftigt, mit großem Erfolg. Vermutlich weil viele Queers sich mit seiner Lebensgeschichte zu einem gewissen Grad identifizieren können. Und weil die Bücher für Heteros eine große Horizonterweiterung sind: Wer dachte, das mit dem Schwulsein sei doch heute alles kein Thema mehr, wird drastisch eines Besseren belehrt.

Ähnlich könnte es nun auch vielen Menschen gehen mit „Pageboy“, dem Memoir des Hollywoodstars Elliot Page („Juno“, „Inception“, „X-Men“, „The Umbrella Academy“). Auch wenn die Ausgangsvoraussetzungen doch etwas anders gelagert sind: Elliot Page kommt nicht aus so prekären Verhältnissen wie Louis. Aber auch er wird, an der Ostküste Kanadas, in einer Welt groß, die ihm frühzeitig verklickert, wie man zu sein habe und wie nicht. Es fängt damit an, dass Elliot damals noch nicht Elliot heißt, sondern Ellen. In den Augen seine Umwelt, auch seiner geschiedenen Eltern, ist er zwar ein „Tomboy“, aber doch ein Mädchen, bloß halt „jungenhaft“.
„Pageboy“ von Elliot Page: Das doppelte Coming-out
2014 dann das erste Coming-out als lesbisch; und 2020 das zweite als trans. Im Buch wird klar, wie viel Überwindung das jeweils kostete – und wie sehr es sich doch gelohnt hat für die eigene Seelengesundheit. Elliot Page dürfte der prominenteste Transmann der Welt sein. Aber dass ihm sein Hollywoodruhm viel geholfen hätte bei der Selbstfindung und bei den Coming-outs, das wird man immer stärker bezweifeln bei der mitreißenden Lektüre von „Pageboy“. Im Gegenteil: Das ach so liberale Hollywood der 2000er- und 2010er-Jahre entzaubert Page in seinem Memoir als opportunistischen Laden, der sich nach außen viel offener gibt, als er im Kern ist.
Immer wieder, das erfahren wir im Buch, wurde Page von Hollywoodagenten ermahnt: bloß nicht offen queer sein! Tenor: „Wir haben ja nichts dagegen. Aber viele würden das nicht verstehen. So wird deine Karriere vor die Hunde gehen!“ So ging das Versteckspiel, das Fassaden-Schauspiel also lange weiter. Im Grunde eine Fortsetzung der Kindheit: Schon im zarten Alter von sechs Jahren wollte Page viel lieber Jungsklamotten tragen, doch die Mutter ahnte Böses: Mobbing durch andere Kids. Also: Besser anpassen, nur ja keine Angriffsfläche nach außen bieten! Bis es einen innerlich kaputtmacht.
Lange verschleppte Selbstfindung: Elliot Page und das Memoir „Pageboy“
Elliot Page erzählt von dieser fremdbestimmten Selbstverleugnung auf eine ganz herzzerreißende Weise. Das Buch ist mitunter hochpoetisch und durchweg enorm persönlich. Es gibt keinen Red-Carpet-Gossip zu prominenten Drehpartnern wie Tom Hardy oder Leonardo DiCaprio. Stattdessen erfahren wir viel von den leeren Momenten in einsamen Hotelzimmern. Von Stalking. Von sexuellen Übergriffigkeiten. Von Familiendrama. Von queeren Liebesbeziehungen, aus Angst im Keim erstickt. Aber auch von Menschen, zu denen Page wirkliches Vertrauen fasst und wo er eine echte Nähe zulassen kann.






