Geopolitik

Volker Stanzel: „Das ist für China außergewöhnlich“

Der frühere deutsche Botschafter in China sieht Anzeichen, dass Peking zum ersten Mal international Verantwortung übernehmen will – eine Sensation.

Botschafter a.D. Volker Stanzel
Botschafter a.D. Volker StanzelEmmanuele Contini

Volker Stanzel ist einer der profiliertesten deutschen Außenpolitiker. Der Diplomat und ehemalige Sozialdemokrat erfuhr seine Prägung hörbar durch die auf Dialog ausgerichtete Ost-Politik Willy Brandts. Zugleich lässt Stanzel keinen Zweifel an seiner transatlantischen Orientierung.

Er erlebte viele kritische Verhandlungen mit Russland persönlich. Er wirkte als Diplomat in Peking und hat mit vielen Menschen gesprochen. Im Gespräch am Telefon wird der Respekt deutlich, den Stanzel auch jenen entgegenbringt, die eine ganz andere Weltsicht haben als er selbst. 

Berliner Zeitung: Herr Stanzel, Sie waren deutscher Botschafter in China und Japan, außerdem politischer Direktor im Auswärtigen Amt unter Frank-Walter Steinmeier von 2007 bis 2009, also zu einer Zeit, in der man mit Russland durchaus gesprochen hat.

Volker Stanzel: Und wie! Wir wollten ja Brücken bauen.

Als Botschafter und außerdem studierter Sinologe haben Sie besonderen Einblick in das deutsch-chinesische Verhältnis. Wie sehen Sie die neue China-Strategie der Bundesregierung?

Die China-Strategie lässt sich an zwei Begriffen darstellen: De-Risking und systemische Rivalität. De-Risking wird als Gegensatz zum Entkoppeln gesehen. Entkoppeln ist etwas, das weder China noch Deutschland wollen können. Das bringt die China-Strategie gut zum Ausdruck. Beide Länder sind wirtschaftlich viel zu abhängig von ihrer Einbindung in den globalen Wirtschaftsaustausch, als dass sie sich leisten könnten, sich voneinander zu entkoppeln. Zu Recht steht Risikominimierung im Mittelpunkt. Risikominimierung ist grundsätzlich etwas Normales. Wir minimieren Risiken in unserem Alltag. Das tun einzelne Menschen genauso wie Unternehmen oder Staaten. Doch China tut es in einer problematischen Weise. Nehmen wir das Goethe-Institut in Shanghai: Das hat nur die Genehmigung, als Teil des deutschen Generalkonsulats zu arbeiten. Das heißt, dass normale Chinesen keinen Zutritt ohne Genehmigung haben. Weil Präsident Xi Jinping das Ziel verfolgt, dass Chinesen keinen Zugang zu ausländischen Informationen und Kultur haben sollen, haben wir es hier mit einer „Risikominimierung“ durch die Kommunistische Partei zu tun.

Volker Stanzel
Volker StanzelEmmanuele Contini

Warum will Xi den Zugang zu ausländischer Literatur einschränken?

Der Zugang zu ausländischen Informationen könnte die Chinesen weniger zugänglich für die Indoktrinierung durch die Partei machen. Das geht sehr weit. Nehmen Sie die Tongji-Universität in Shanghai, an der ich einige Vorträge gehalten habe. Die Studenten und Professoren haben mir gesagt: Ja, wir von der Germanistik dürfen Bücher aus Deutschland lesen, aber wir haben keinen Zutritt zu den Bibliotheken nebenan, wo englische und französische Literatur steht. Und bei denen ist es umgekehrt genauso. Das ist eine sehr strikte Umsetzung der Vorgaben von Xi Jinping. So etwas wie ein Zutrittsverbot zu einem ausländischen Kulturinstitut mit Bibliothek und allem, was es da gibt, passt perfekt in das Muster der Kontaktbegrenzung.

War das früher anders?

Es ging auf und ab. Es gab Zeiten, da waren Kulturinstitute ganz verboten, dann waren sie erlaubt als Teil der Universitäten, und dann kam die strenge Zeit, die wir jetzt haben.

Das heißt, jetzt ist es strenger als vorher.

Genau.

Eine komplette Abschottung wäre es aber nur, wenn auch die Germanisten keinen Zugang zu deutscher Literatur mehr hätten. Warum ist die Regelung so?

Für den größten Teil der 1,4 Milliarden Chinesen ist es eine komplette Abschottung. Es sind Spezialisten, die etwa Germanistik oder Amerikanistik studieren. Sie müssen natürlich Grundkenntnisse haben, um überhaupt international arbeiten zu können. Das strebt China auch an, und da ist ein gewisser Widerspruch. Diesen Konflikt hat die KP noch nicht wirklich gelöst.

Wie ist aus Ihrer Sicht die Balance Chinas zwischen Öffnung und Abschottung? Öffnet man sich nur so weit, um sich am Ende völlig abschotten zu können?

Aus Sicht der Kommunistischen Partei ist die Abschottung etwas, was immer weiter vervollkommnet werden muss. Es gibt einen Beschluss des Zentralkomitees, einen sogenannten doppelten Wirtschaftskreislauf einzuführen. Es gibt den Binnenkreislauf, und da sollen Ausländer möglichst außen vor bleiben, und es gibt den internationalen Kreislauf, wo China alles, wovon es wirtschaftlich abhängig ist, machen darf. Wir sehen hier auch, was wir im akademischen Bereich schon gesehen haben: Wissenschaftler, Techniker, Ingenieure, Bürokraten dürfen den Zugang zu internationalen Informationen haben, aber der Austausch beschränkt sich auf die Experten. Die große Mehrheit der Bevölkerung braucht mit dem Ganzen nichts zu tun zu haben.

Kann China diesen Kurs durchhalten? Wenn man exportieren will, geht das ja eigentlich nicht. Kann es so eine strikte Trennung geben zwischen Binnenkreislauf und internationalem Kreislauf?

Das ist das Ziel. Wir sehen allerdings, dass es heute noch nicht wirklich funktioniert. Gerade die Privatwirtschaft findet immer wieder Auswege aus der Zwangssituation. Wir sehen aber auch, dass Xi Jinping seit einigen Jahren darauf achtet, dass die private Wirtschaft wieder stärker an der Kandare gehalten wird. Selbst Xi sieht, wie sehr sein Land von der internationalen Wirtschaft abhängig ist. Er hat den Chinesen also gesagt, sie müssten sich auf schwere Zeiten einstellen. Es ist klar, nur mit Staatsunternehmen lässt sich eine Wirtschaft nicht wirklich auf dem Wachstumspfad halten. Ein Lösungsversuch heißt dann: Wir freuen uns, dass wir Privatunternehmen haben, aber sie müssen sich nach den Vorgaben der Partei richten. Es ist völlig offen, wie das weitergeht, etwa, wenn jetzt eine Rezession kommt. Xi hat schon einmal gezeigt – zum Ende der Covid-Zeit -, dass er sehr schnell reagiert, wenn Proteste aus der Bevölkerung kommen, die sich gegen die Partei richten.

Wie könnte eine Kurskorrektur aussehen, wenn es zu einer Rezession kommt und die Leute sich aufregen: Folgt dann mehr Öffnung oder noch stärkere Repression?

Der erste Impuls wäre, repressiver vorzugehen. Wenn das nicht funktioniert, dann gibt es eben eine neue Linie. Xi hat das gerade mit seinem Außenminister gezeigt, der von einem Tag auf den anderen Tag verschwunden ist, vermutlich, weil er intern die Schuld für irgendwelche schlimmen Dinge zugeschoben bekommen hat. Vielleicht erfahren wir es irgendwann. Die KP ist jedenfalls recht gut bei solchen Kurswechseln.

Sie sagen also, das Grundproblem ist die KP.

Ich meine das Grunddogma: Die Partei will dieses Land allein beherrschen. Es ist eine Machtfrage. Die Macht muss der Partei erhalten bleiben, und das hat die Partei, mit einigem Auf und Ab, immerhin die ganzen Jahre seit 1949 mit großem Erfolg geschafft.

Kann sich China in Richtung Demokratie öffnen, oder ist das so festgefahren und das Land zu groß?

Indien ist eine nicht ganz erfolgreiche, aber immerhin funktionierende Demokratie, und es hat eine größere Bevölkerung als China. Oder wenn man nach Taiwan schaut, das sind 27 Millionen Menschen, eine rein chinesische Gesellschaft, dann ist das eine der liberalsten und demokratischsten Gesellschaften in Asien überhaupt. Ich schließe eine Demokratisierung Chinas ganz und gar nicht aus, aber der Weg dahin ist weit und wird vielleicht strittig sein. Mit knapp hundert Millionen Mitgliedern wird die Kommunistische Partei Chinas auch nicht einfach das Handtuch werfen.

Wie kann der Westen diesen Prozess begleiten? Ich hatte im Interview mit Botschafter Wu den Eindruck, dass ein wirkliches Interesse an einem Dialog besteht. Sollten wir diesen Dialog auch führen, oder sollte es eher in Richtung Sanktionen und wertebasierte Außenpolitik gehen?

Es ist eine sehr komplizierte Politik, die da von uns verlangt wird. Mit der China-Strategie sind wir auf keinem schlechten Weg. Die Dialoge, die Deutschland und die EU seit den 1990er-Jahren initiiert haben – Menschenrechte, Rechtsstaat, Umwelt –, diese Foren haben schon Sinn gemacht, aber in einem viel begrenzteren Rahmen, als wir uns das vorgestellt haben. Die Dialoge haben keine schneeballartigen Entwicklungen ausgelöst. Aber ich sehe deutlich, dass Teile der Eliten, auch der Parteieliten, durch das, was sie gehört und womit sie sich auseinandergesetzt haben, in ihrem Denken mitgeprägt wurden. Der Wandlungsprozess Chinas ist langwierig, aber durchaus möglich und vielversprechend. „Wandel durch Handel“ ist eine Erfolgsgeschichte. China hat sich durch die wirtschaftliche Entwicklung viel stärker gewandelt als Russland. China ist heute ein modernes Industrieland. Was nicht geschehen ist, ist die umfassende gesellschaftliche Veränderung im Sinn von Demokratisierung. Da war die KP viel wachsamer, als wir uns das haben vorstellen können. Als Botschafter habe ich mit vielen Menschen geredet, mit jungen, alten, Wissenschaftlern, Leuten aus der Wirtschaft, auch KP-Eliten – sie sprechen mit sehr viel Verständnis über die Probleme in ihrem eigenen Land oder bei uns.

Kann man mit KP-Eliten einen vertrauensvollen Dialog führen, oder muss man skeptisch sein? Wäre es Paranoia zu denken, die meinen es ohnehin nicht ehrlich?

Sie müssen Ihre Gespräche immer mit Wachsamkeit und einem guten Stück Misstrauen führen. Aber immerhin führen Sie Gespräche, die sehr lang dauern, die sehr in die Tiefe gehen können, und Sie merken: Die wissen, wovon sie reden. Gerade Funktionsträger in der Partei, die durch die zentrale Parteischule in Peking gegangen sind, sind enorm gut ausgebildet. Sie müssen immer im Kopf haben: Ihr Ziel ist ein anderes als meines. Der wird hinterher Notizen über das Gespräch machen, und vielleicht würden mir diese Notizen gar nicht gefallen. Aber ich habe aus dem Gespräch mindestens so viel gelernt wie er.

Botschafter a.D. Volker Stanzel
Botschafter a.D. Volker StanzelEmmanuele Contini

Wissen die chinesischen Amtsträger mehr über uns im Westen als wir über sie?

Ja, eindeutig. Der Grund liegt auf der Hand: 1,4 Milliarden Menschen. Sie können viele Leute damit befassen, zum Beispiel Deutschland und seine Sprache kennenzulernen. Wie viele Menschen können Sie denn bei uns realistisch dafür gewinnen, sich richtig auf China einzulassen? In China ist der Beamtenapparat viel größer, und vergessen Sie nicht: 100 Millionen sind Mitglieder der Partei – mehr als Deutschland Einwohner hat.

Sie hatten eingangs darauf hingewiesen, dass Ihre Zeit im Außenministerium stark vom Brückenbauen geprägt war. Glauben Sie, dass der deutschen Außenpolitik diese Fähigkeit abhandengekommen ist? Man hat heute den Eindruck, dass die deutsche Außenpolitik sehr defensiv ist.

Nun, die China-Strategie verarbeitet ja die Lehren aus dem Fehlschlag der Russland-Politik. Der ist sehr stark Putin geschuldet. Anfangs dachten wir, Putin könne ein Reformer werden. Später haben wir auf Medwedew gesetzt. Wir, ich auch, haben alte, seinerzeit erfolgreiche Strategien der Ostpolitik weiterverfolgt, die die neue Realität in Russland ausgeblendet haben. Bei dem berühmten Nato-Gipfel in Bukarest – mit dieser High-Noon-Situation zwischen Merkel und Bush – haben wir enorme Rücksicht auf Russland genommen. Kein Wunder, dass nach solchem Selbstbetrug, der schließlich zum russischen Angriffskrieg geführt hat, Brückenbauer generell einen schlechten Stand haben.

Hat Putin die Gespräche mit dem Westen nur als Scharade geführt?

Er hat sich durchaus opportunistisch verhalten und ausgenutzt, was alles möglich war, bis hin zu Nord Stream 2: einem großen Erfolg seiner Politik, die nun wirklich kein Brückenbau war.

War Putins Rede vor dem Bundestag nur Show, oder war sie ehrlich gemeint?

Teils teils. Ich denke, auch das war ein Testballon: Wie komme ich an? Und er hat stehenden Applaus bekommen. Er hat es, aus seiner Sicht, genau richtig gemacht.

Sie sagen also: Die Wende der deutschen Außenpolitik gegenüber Putin beeinflusst auch die deutsche China-Politik?

Das sehen Sie ganz deutlich. Aber zunächst: Wirtschaftlich schränkt die KP den Spielraum ausländischer Unternehmen vielleicht immer mehr ein. Aber die wissen, auf was sie sich einlassen, wenn sie in China investieren. Solange ihre Investitionen sich lohnen, bleiben sie in China, wenn nicht mehr, werden sie gehen. Hier passt der Vergleich mit dem westlichen Umgang mit Putin nicht. Politisch allerdings ist es anders. Da haben wir die „systemische Rivalität“, von der auch die China-Strategie spricht. Und nach den Erfahrungen mit Russland ist klar: Auch im Fall Chinas müssen wir bei Brückenbau-Versuchen sehr wachsam sein. Zwei Beispiele: Wenn bei der sogenannten „Neuen Seidenstraße“ ab und zu mal ein Partnerland Chinas die geheimen Verträge offenlegt, sehen wir: Die chinesische Seite hat darauf geachtet, dass in jedem Fall Gerichtsstand China ist. Hier hat natürlich die Partei immer das Sagen. Die Partei will kontrollieren, was die chinesischen Unternehmen und ihre Partner im Ausland tun. Es geht auch hier um die Sicherung der Macht der Partei. Ein anderes Beispiel ist die Uno: Die Chinesen versuchen, die Uno durch Resolutionen und sprachliche Formulierungen so zu verändern, dass alles mit den Zielen der KP zu vereinbaren ist, auch wenn es von den Zielen der Uno entfernt und der Idee von Demokratie in der Welt diametral entgegengesetzt ist. Hier sehe ich den Kern dessen, was mit systemischer Rivalität gemeint ist, und hier müssen wir folglich unsere Interessen verfolgen, und das heißt erneut: wachsam sein.

Also die KP will, dass die UN sich in Richtung der Ziele der KP verändern?

Die KP Chinas will, dass sie global immer mehr Freiheiten bei der Durchsetzung ihrer Ziele erhält und so ihre Macht, egal wo, schützen kann.

Welche Rolle spielen die BRICS-Staaten (die lose Allianz von Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika, Anm. d. Red.) dabei? Man hat den Eindruck, dass China sagt, wir haben auch Verbündete, etwa in der Allianz mit Russland in der Ukraine?

Der erste Impuls Chinas war zu sagen, wir sind an der Seite Russlands, was aus chinesischer Sicht eigentlich heißt: Russland ist an unserer Seite, es ist ein Klienten-Staat. Dann hat Peking angenommen, die BRICS seien natürliche Verbündete gegen den Westen. Das war nicht so. Indien, Südafrika und Brasilien suchten nach einer eigenen Position. Das ist eine neue Herausforderung für China. China hat niemals versucht, gemeinsam mit anderen aktiv Politik zu gestalten. Jetzt musste es eine gemeinsame Position mit den drei anderen BRICS-Staaten suchen. Eine Entwicklung der letzten Jahre wurde auf einmal wirklich akut, denn je stärker China wurde, desto mehr wurde China angesprochen: Was denkt ihr denn, was würdet ihr machen? Und China hat früher immer bloß geantwortet: Wir sind für Frieden. So ging Peking auch in die Ukrainekrise und musste merken, so ging es nicht mehr. Den neuesten Schritt in dieser Entwicklung haben wir jetzt in Jeddah beim Gipfel zur Ukraine gesehen. Einer der besten Diplomaten Chinas, Li Hui, hat daran teilgenommen und sich, wie Teilnehmer berichten, aktiv in die Diskussionen eingeschaltet. Das ist für China außergewöhnlich. Ich glaube, wir sehen hier einen Prozess, von dem noch nicht einmal Peking so richtig einschätzen kann, wohin er führen wird – dass nämlich China notgedrungen und zumindest teilweise Verantwortung in der internationalen Politik übernehmen wird. Der Schritt von den BRICS zu Jeddah ist ein großer Schritt für die chinesische Politik. Wir haben hier Bewegung, die wir so noch nie gehabt haben.

Ist das positiv oder erst recht bedrohlich?

China ist eine Weltmacht, und wenn eine Weltmacht bereit ist, Verantwortung zu übernehmen, dann ist das sehr willkommen.

Nehmen die Amerikaner diese Entwicklung auch wahr?

Die Amerikaner waren in Jeddah ja auch dabei. Aber sie haben ja eine sehr komplizierte eigene China-Politik. Sie müssen sich mit der Ukraine beschäftigen, obwohl sie sich lieber auf China konzentrieren würden, sie sehen, dass China in anderen Weltgegenden enorm an Einfluss gewinnt. Dann gibt es die wirtschaftlichen Themen, etwa mit der Chip-Gesetzgebung. Aber die Teilnahme Chinas in Jeddah ist nicht nur eine Nuance, die man in Washington übersehen würde.

Muss Deutschland unter Umständen eine andere China-Politik fahren als die USA?

Unser Ziel muss sein, unsere China-Politik möglichst eng mit unseren Partnern zu gestalten, den Europäern wie mit den Amerikanern. Die gemeinsame Abstimmung hat Biden sehr gut hinbekommen, beginnend mit dem G7-Gipfel 2021. Die Frage ist aber: Können wir da überhaupt mithalten, können wir auf Dauer mitgestalten? Hier kann man zweifeln, solange wir Europäer uns nicht einmal einig über unsere eigene China-Politik sind. Also: Wir sind stärker, wenn wir transatlantisch handeln. Für die Chinesen ist der Zerfall der europäischen Einigkeit, der sich schon vor dem Ukrainekrieg abgezeichnet hat, natürlich ein Gewinn. Dass sie das ausspielen, haben Sie an der Auseinandersetzung mit Litauen oder mit Tschechien gesehen. Und zu Beginn des Ukrainekriegs haben die Chinesen versucht, den Europäern klarzumachen, es sei schlecht für sie, wenn sie sich zu sehr an den Amerikanern orientieren. Es hat fast das ganze erste Kriegsjahr gedauert, bis die Chinesen gesehen haben, dass ihre Position in Europa als negativ gesehen wurde und nicht als neutral-positiv. Seither ist Peking deutlich vorsichtiger geworden, obwohl China natürlich bei allem, was die Europäer und die Amerikaner trennt, nur gewinnen kann.

Also Sie würden sagen: Bei der deutschen China-Politik bleibt Washington im Fahrersitz?

Ja.