Geopolitik

Nato: Ungewöhnlich scharfe Töne gegen China

In ihrer Abschlusserklärung wendet sich die Nato so deutlich wie noch nie gegen China. Peking und Moskau protestieren.

Der Nato-Gipfel in Vilnius
Der Nato-Gipfel in Vilniusimago

Die Nato hat sich auf ihrem Gipfel in Vilnius überraschend deutlich gegen China positioniert. In der Abschlusserklärung heißt es, „die erklärten Ambitionen und die Zwangspolitik der Volksrepublik China stellen unsere Interessen, Sicherheit und Werte infrage“. Die Volksrepublik China setzte ein „breites Spektrum politischer, wirtschaftlicher und militärischer Instrumente ein, um ihre globale Präsenz und Projektmacht zu vergrößern, bleibt jedoch hinsichtlich ihrer Strategie, Absichten und militärischen Aufrüstung im Unklaren“. Die „böswilligen Hybrid- und Cyberoperationen der Volksrepublik China sowie ihre konfrontative Rhetorik und Desinformation richten sich gegen Verbündete und schaden der Sicherheit des Bündnisses“. China strebt laut Nato-Einschätzung „die Kontrolle wichtiger Technologie- und Industriesektoren, kritischer Infrastruktur sowie strategischer Materialien und Lieferketten an“. Peking wolle seinen wirtschaftlichen Einfluss nutzen, um „strategische Abhängigkeiten zu schaffen und seinen Einfluss zu stärken“. China strebe zudem danach, die „regelbasierte internationale Ordnung zu untergraben, auch in den Bereichen Weltraum, Cyber und Seefahrt“.

Die Nato-Staaten betonen, sie seien „weiterhin offen für eine konstruktive Zusammenarbeit“ mit China, „einschließlich des Aufbaus gegenseitiger Transparenz, um die Sicherheitsinteressen des Bündnisses zu schützen“. Dennoch sieht das Militärbündnis China als Gefahr und will zusammenarbeiten, „um die systemischen Herausforderungen zu bewältigen, die die Volksrepublik China für die euroatlantische Sicherheit mit sich bringt, und um sicherzustellen, dass die Nato dauerhaft in der Lage ist, die Verteidigung und Sicherheit der Verbündeten zu gewährleisten“. Wörtlich heißt es: „Wir stärken unser gemeinsames Bewusstsein, verbessern unsere Widerstandsfähigkeit und Bereitschaft und schützen uns vor den Zwangstaktiken und Bemühungen der Volksrepublik China, das Bündnis zu spalten.“ Man wolle „für unsere gemeinsamen Werte und die regelbasierte internationale Ordnung eintreten, einschließlich der Freiheit der Schifffahrt“.

Die Nato wirft China eine zu große Nähe zu Russland vor: Die „Vertiefung der strategischen Partnerschaft zwischen der VR China und Russland und ihre sich gegenseitig verstärkenden Versuche, die regelbasierte internationale Ordnung zu untergraben“, stünden „im Widerspruch zu unseren Werten und Interessen“. Wörtlich heißt es: „Wir fordern die Volksrepublik China auf, als ständiges Mitglied des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen eine konstruktive Rolle zu spielen, Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine zu verurteilen, Russlands Kriegsanstrengungen in keiner Weise zu unterstützen, Russlands falsches Narrativ, das die Ukraine und die Nato für den russischen Angriffskrieg verantwortlich macht, nicht weiter zu verstärken und sich an die Ziele und Grundsätze der UN-Charta zu halten.“

China sei kein Gegner und man müsse den Kontakt aufrechterhalten, sagte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg nach den Gesprächen in Vilnius am Dienstag. Aber Pekings zunehmend forsches Auftreten beeinträchtige auch die Sicherheit des Verteidigungsbündnisses. „China stellt die auf Regeln basierende internationale Ordnung zunehmend infrage, weigert sich, Russlands Krieg gegen die Ukraine zu verurteilen, bedroht Taiwan und rüstet massiv militärisch auf“, sagte Stoltenberg. Chinas nukleare Aufrüstung sei in Tempo und Ausmaß „beispiellos“ und werde ohne jegliche Transparenz durchgeführt.

Die Nato-Mitglieder hätten vereinbart, weiterhin eng zusammenzuarbeiten, um sich vor Chinas aggressiven Maßnahmen zu schützen, sagte Stoltenberg. Auf Wunsch der US-Regierung nahmen am Mittwoch die Staats- und Regierungschefs Australiens, Japans, Neuseelands und Südkoreas an Beratungen zum weiteren Umgang mit China teil. Washington betont laut dpa „regelmäßig, die Politik Pekings zunehmend als Bedrohung zu sehen“. China werde dabei als Rivale bewertet, nicht als Feind wie etwa Russland, so die dpa.

Die Abgeordnete der Linkspartei und Vertreterin in der parlamentarischen Versammlung der Nato, Sevim Dagdelen, sieht dagegen eine deutliche Zuspitzung im Verhältnis mit China. Sie sagte der Berliner Zeitung: „Die Gipfel-Erklärung der US-geführten Nato muss als Feinderklärung gegen China gelesen werden.“ Sprache und Duktus der Vorgaben des Militärpakts gegenüber Peking erinnerten „an die dunkle Ära des Kolonialismus mit seinen ungleichen Verträgen“. Die Nato zeige „hier endgültig einen Weltgeltungsanspruch an, der den namensgebenden Bündnisbereich des Nordatlantiks weit hinter sich lässt“. Dagdelen weiter: „Die unerträgliche Doppelmoral der westlichen Militärallianz zur weiteren Aufrechterhaltung der US-Dominanz kommt einmal mehr zum Tragen, wenn in Vilnius gegenüber China eine ‚regelbasierte Ordnung‘ beschworen wird, während gleichzeitig Washington von seinen Partnern ungehindert international geächtete Streubomben in die Ukraine liefert.“

Peking warf der Nato vor, „wie zu Zeiten des Kalten Krieges“ zu denken. Zudem verwechsle die Nato „Recht und Unrecht“ und habe „ideologische Vorurteile, die China entschieden zurückweist“, sagte ein Sprecher des chinesischen Außenministeriums am Mittwoch. Die Nato behaupte, ein Verteidigungsbündnis zu sein, während sie ihre Mitgliedsstaaten dazu ermutige, ihre Militärausgaben ständig zu erhöhen, ihre Macht über Grenzen hinweg auszudehnen und auch im asiatisch-pazifischen Raum Konfrontationen zu provozieren, so der Sprecher. China verstehe sich dagegen als „Förderer des Weltfriedens“.

Der Sprecher von Präsident Wladimir Putin, Dmitri Peskow, sagte am Mittwoch nach Angaben russischer Nachrichtenagenturen in Moskau, es sei jetzt der „ideale Zeitpunkt“, die Beziehungen zwischen Moskau und Peking auf hohem Niveau aufrechtzuerhalten. Obwohl die Nato „Instabilität und Aggression“ bringe, hätten Russland und China „niemals einen Block gegen sie gebildet“. Deren Beziehungen seien nicht gegen andere Länder oder Bündnisse gerichtet.