Krise in Deutschland

So schlecht geht's unserer Wirtschaft wirklich: Das bittere Urteil des Economist

Ein DDR-Ampelmännchen, das am Tropf geht: So stellt sich das mächtige britische Nachrichtenmagazin The Economist unser Land vor. Urteil: kranker Mann Europas.

Hat nur bedingt etwas mit der DDR-Wirtschaft zu tun: ein Ampelmännchen, das am Tropf geht.
Hat nur bedingt etwas mit der DDR-Wirtschaft zu tun: ein Ampelmännchen, das am Tropf geht.Screenshot Ricardo Rey/The Economist

Die deutsche Volkswirtschaft liegt am Boden und die Aussichten für die Zukunft sind düster: marode Infrastruktur, überbordende Bürokratie und veraltete Geschäftsmodelle, die den Wirtschaftsstandort Deutschland in ein Industrie- und Technikmuseum verwandeln, während die politischen Parteien paralysiert am Spielfeldrand stehen.

Doch die Einschläge, sie kommen im Sommer 2023 immer näher – und manchmal hilft es auch, wenn wie jetzt das mächtige britische Nachrichtenmagazin Economist unseren Politikern mit dem Gestus einer strengen Gouvernante sagt: Zimmer aufräumen. 

Das Cover aus dieser Woche hat es jedenfalls in sich: Es zeigt ein ostdeutsches grünes Ampelmännchen mit Hütchen, das aber einen Tropf (mit Kochsalzlösung oder eher einem Palliativmedikament?) vor sich herschiebt. Darüber der Titel: „Is Germany once again the sick man of Europe?“ – ist Deutschland wieder einmal der kranke Mann Europas?

„Deutschland ist abgehängt, das goldene Zeitalter ist vorbei“

Zwar ist der Brite höflich und formuliert das Ganze als Frage, aber trotzdem ist der Leitartikel in der aktuellen Ausgabe brisant: Denn schon 1999, steht da, erfand das weltweit wohl relevanteste Nachrichtenmagazin für Deutschland den Begriff „kranker Mann Europas“. Damals lähmten, so schreiben die Journalisten, die Folgen der Wiedervereinigung, eine einbrechende Exportnachfrage, ein verkrusteter Arbeitsmarkt und Arbeitslosenquoten im zweistelligen Bereich die deutsche Wirtschaft. 

Der Rest sei bekannt: Schröders harte Reformen anfang der 2000er-Jahre führten später zu einem „goldenen Zeitalter“ des Aufschwungs, um das viele Europäer uns Deutsche beneideten. „Nur, während Deutschland florierte, drehte sich die Welt weiter. Und Deutschland wurde abgehängt“, lautet das schonungslose Urteil des Economist.

Die Fakten sind schockierend: Die deutsche Wirtschaft schrumpft oder stagniert jetzt seit drei Quartalen und könnte damit die einzige große Volkswirtschaft sein, die im Jahr 2023 schrumpft. Nach Angaben des IWF wird Deutschland auch in den nächsten fünf Jahren (gar nicht oder) langsamer wachsen als Amerika, Großbritannien, Frankreich und sogar Spanien.

„Selbstgefälligkeit und zwanghafte Haushaltsdisziplin“

Viele der Gründe für diesen Abstieg eines Superstars, die der Economist auflistet, sind natürlich bekannt: Jahrelang habe Deutschland mit seinen „alten Industrien“ weitergearbeitet, ohne zu investieren. Diese „Selbstgefälligkeit und zwanghafte Haushaltsdisziplin“ hätten dazu geführt, dass zu wenig öffentliche Investitionen getätigt wurden, und zwar nicht nur in die Deutsche Bahn und die Bundeswehr.

Immer noch investiere Deutschland im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt weniger als halb so viel in Informationstechnologie und Digitalisierung wie Amerika und Frankreich. Dazu komme eine lähmende Bürokratie: In Deutschland ein Unternehmen zu gründen, dauere 120 Tage – doppelt so lange wie im OECD-Durchschnitt. Wer will da schon in Deutschland seine Existenz aufbauen, fragt sich dabei der kritische Leser.

Deutschland habe sich zu lange auf seine Industrie und den Export nach China verlassen, so das Urteil des Economist: Doch in China verlieren nicht nur die deutschen Autohersteller immer mehr Marktanteile gegenüber der einheimischen Konkurrenz. Dazu komme der Trend des „Decoupling“ und damit des Abbruchs bisher wichtiger Absatzmärkte. 

„Mit dem Atomausstieg ein spektakuläres Eigentor geschossen“

Und die Liste der Probleme ist noch länger, Beispiel Energiewende: Die deutsche Industrie verbrauche fast doppelt so viel Energie wie die nächstgrößte Volkswirtschaft in Europa. Zusätzlich hätten die Deutschen einen viel größeren CO₂-Fußabdruck als etwa die Franzosen und Italiener. „Billiges russisches Gas ist nicht mehr verfügbar, und das Land hat mit dem Atomausstieg ein spektakuläres Eigentor geschossen“, lautet der schmerzliche Befund.

Zunehmend fehle es Deutschland auch an den nötigen Talenten: In den nächsten fünf Jahren gingen zwei Millionen Babyboomer in Rente. Schon jetzt sagten zwei Fünftel der Arbeitgeber, dass sie kaum qualifizierte Arbeitskräfte finden. Und „Berlin kann nicht einmal die Hälfte seiner freien Lehrerstellen besetzen.“

Die Politik sei alledem nicht gewachsen: „Nur wenige in der heutigen Regierung sind sich der Größe der Aufgabe bewusst. Selbst wenn sie es wollten, ist die Koalition so zerrissen, dass die Parteien sich nur schwer auf eine Lösung einigen können.“

Marode Infrastruktur: „Der Fetisch der Schwarzen Null“

Außerdem liege die AfD in den Umfragen bundesweit bei mehr als 20 Prozent, nur wenige in der Regierung würden jetzt radikale Veränderungen vorschlagen, weil man Angst davor habe, dieser Partei in die Hände zu spielen, schreibt der Economist.

Und ein Rezept für die Zukunft liefern die Wirtschaftsjournalisten auch noch: Deutschland müsse endlich in Infrastruktur, Talente und Technik investieren, Bürokratie abbauen und mutige Reformen in Form einer „Agenda 2030“ anstoßen. Ganz so wie Anfang des Jahrtausends.

Zu lange habe die Infrastruktur unter dem „Fetisch der Schwarzen Null“ gelitten. Auch wenn die Zinsen jetzt wieder höher seien, sei der Verzicht auf Investitionen immer noch „die falsche Strategie“. 


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