Die Investitionen von US-Anlegern in Europa erreichen ein Rekordniveau – und damit auch am deutschen Aktienmarkt. Wie die Financial Times (FT) am Freitag berichtete, haben internationale Investoren in den vergangenen Wochen mehr als 175 Milliarden US-Dollar in globale Aktienfonds und ETFs abseits der Wall Street gesteckt – so viel wie noch nie.
Diese Mittel flossen überwiegend in europäische Märkte und auch nach Deutschland, während US-Fonds zeitgleich starke Mittelabflüsse verzeichneten. Unmittelbar nach der Nachricht ordnet Volker Brühl, Professor für Banking und Finance an der Goethe-Universität Frankfurt und Geschäftsführer des Center for Financial Studies, in der Berliner Zeitung die Lage ein.
US-Kapitalströme befeuern Europas Börsen – aber nicht ohne Risiko
Für Brühl ist klar, dass „die unberechenbare Wirtschaftspolitik von Präsident Donald Trump US-Anleger verschreckt hat“. Die Kapitalflüsse gehen daher nicht nur nach Europa, sondern auch nach Asien, während Europäer ihr Engagement in den USA ebenfalls reduzieren. „Dieser Trend treibt die deutschen und europäischen Aktienindizes in die Höhe, obwohl bei uns die fundamentalen Wirtschaftsdaten alles andere als gut sind“, so Brühl.
Er warnt: Sollte sich das Kapital zu sehr konzentrieren, könne das „im schlechtesten Fall zu Blasen auf den hiesigen Märkten führen, die platzen und zu einem Crash führen könnten.“ Im Moment gibt Brühl allerdings noch Entwarnung – eine Blase sieht er „aktuell nicht“.
Kapital-Umschichtung nach Europa im Mai: Der Wendepunkt nach Zoll-Ankündigung
Der Hintergrund der Ströme ist vielschichtig. Bereits im Mai 2025, kurz nach der Ankündigung neuer US-Zölle unter Trump, wurden fast 25 Milliarden US-Dollar aus US-Aktienfonds abgezogen. Rund 21 Milliarden (ein Viertel des Berliner Haushalts) flossen im selben Monat nach Europa – der größte Zufluss seit vier Jahren. Als Ursache werden insbesondere Sorgen über die US-Haushaltspolitik, steigende Staatsschulden und mögliche Rezessionsrisiken genannt. Die extremen Bewertungen an den US-Börsen sorgen zudem für eine Verwässerung der Vorteile, und der schwächelnde US-Dollar mindert die Rendite für europäische Anleger weiter.
Laut FT gingen viele Investmentprofis erstmals „übergewichtet“ auf Europa und andere Weltregionen. Analysten wie Jim Caron von Morgan Stanley und Alain Bokobza von Société Générale beobachten, dass eine „globale Diversifikation“ zum neuen Standard wird. Der Dollar hat in diesem Jahr gegen andere Leitwährungen rund zehn Prozent verloren; für europäische Anleger bedeutet das, dass der S&P 500 aktuell niedrigere Rendite abwirft.
Aufrüstung dank US-Kapital: Die „German Mag 7“
Am deutschen Aktienmarkt profitiert der Dax besonders von US-Kapital: Laut Goldman Sachs haben sieben deutsche Top-Werte aus Verteidigungs- und Finanzsektor („German Mag 7“) fast zur Hälfte des Dax-Anstiegs auf 24 Prozent in diesem Jahr beigetragen. Auch in anderen europäischen Märkten wie Frankreich und Großbritannien schlagen die neuen Geldströme spürbar durch. Blackrock meldet, dass allein in europäische Aktien-ETFs bis September mehr als 71 Milliarden Dollar flossen – ein klarer Rekord.
Christian Mueller-Glissmann, Research-Leiter bei Goldman Sachs, sieht die Diversifizierung als „wichtiges Gegengewicht“ zur einseitigen US-Ausrichtung. Karim Chedid von Blackrock spricht von einem „Heimatmarkt-Bias“: Nicht nur US-Anleger, auch Europäer bringen ihre Mittel zurück in die Region. Rund ein Viertel der Fondsmanager plant, ihre Europaquote zu erhöhen – nur 16 Prozent wollen noch mehr auf US-Aktien setzen. In der FT wird klar: Europas Attraktivität wächst aus Unsicherheit und globalen Marktchancen, nicht aus Stärke der eigenen Wirtschaftsdaten.
Das Prinzip der offenen Märkte
Im Hintergrund bleibt die Frage: Sind die milliardenschweren Kapitalströme ein Risiko für die Stabilität? Das Prinzip der offenen Börsen ist – auch historisch – das Gegenmodell zur Planwirtschaft. Eine Einschränkung oder Beschränkung ausländischer Investitionen würde der globalen Wirtschaft langfristig schaden, sind sich Experten einig.
In der Tat leben die deutschen und europäischen Märkte von offenen Börsen und internationalen Kapitalflüssen. Sollten die Politsorgen nachlassen oder die Bewertungslücken schrumpfen, können die Ströme aber ebenso rasch wieder abebben. Die Risiken von Blasenbildung bleiben real – befinden sich aber noch in weiter Ferne.




